Don Bosco Heiligenstadt
Die Villa Lampe im Cyberspace
Für Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit ist es wegen der Corona-Beschränkungen nicht einfach, mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu bleiben. Die Villa Lampe der Salesianer Don Boscos in Heiligenstadt hat ihren Betrieb in virtuelle Räume verlegt.
veröffentlicht am 03.03.2021
Schnell noch den Wasserkocher anschmeißen und einen Kräutertee machen. Die dunkle Schokolade liegt schon neben der Tastatur bereit, jetzt kann es losgehen: Bruder Mike Goldsmits setzt sich an seinen Schreibtisch im Büro und macht es sich so bequem wie möglich. Ein langer Dienst steht an. Von 14 bis 21 Uhr wird er online sein – um Jugendlichen bei den Hausaufgaben zu helfen, mit ihnen zu reden oder gemeinsam zu spielen.
Seit Anfang Januar 2021, als absehbar war, dass das Jugendzentrum der Salesianer Don Boscos in Heiligenstadt nicht wie gewohnt seinen Betrieb wieder aufnehmen kann, haben sich viele Aktivitäten der Villa Lampe in den Cyberspace verlegt. Die Idee dazu kam von den Praktikanten im Offenen Bereich. Sie erzählten Mike Goldsmits von „Discord“, einem Onlinedienst, der ursprünglich für Computerspieler gedacht war, mittlerweile aber auch für Chats und Videokonferenzen genutzt wird. Der große Vorteil dieser Plattform: Die Jugendlichen sind dort bereits. „Es ist schwierig, Jugendliche auf komplett neue Plattformen zu bekommen. Wir müssen uns an die aktuelle Lebenswirklichkeit der Jugendlichen anpassen“, erklärt Mike Goldsmits. „Über die sozialen Netzwerke posten wir zwar auch, kommen dort aber mit den Jugendlichen in keine richtige Interaktion. Bei Discord merken wir, dass wir nicht nur Inhalte liefern, sondern unsere Jugendlichen suchen uns direkt auf und wollen mit uns in Kontakt treten. Das ist richtig schön, das zu erleben.“ (Interview mit Mike Goldsmits über die digitalen Angebote der Villa Lampe)
„Unter vier Ohren“
Vor Mike Goldsmits stehen drei Monitore. Seit es die Villa Lampe virtuell gibt, hat der 42-jährige Sozialpädagoge multimedial aufgerüstet. Eine hochauflösende Webcam, ein gutes Headset – das gehört jetzt zu seiner Grundausstattung. Punkt 14 Uhr loggt er sich ein. Doch da passiert meistens noch nicht viel. Zeit für ihn, nebenher Büroarbeit zu erledigen und Dienstpläne zu schreiben. Parallel schaut er immer wieder, ob von den Jugendlichen jemand online ist, um schnell reagieren zu können. An manchen Tagen sind die Mitarbeiter der Villa Lampe quasi unter sich, an anderen Tagen sind es zehn bis 15 Jugendliche, die sich dazu schalten: „Das ist wie ‚im richtigen Leben‘. Ganz von Laune, Wetterlage und möglichen Serienstarts bei Netflix abhängig“, sagt Mike Goldsmits schmunzelnd.
Die Villa Lampe hat den Anspruch, auch digital das anzubieten, was sie sonst auszeichnet. Das bedeutet, dass sie auf dem Discord-Server ebenfalls mehrere Themenkanäle hat. Es gibt Chaträume, um sich bei den Hausaufgaben helfen zu lassen, Räume, um gemeinsam eine Runde zu zocken, und sogenannte Sprachkanäle, um sich einfach zu unterhalten – so wie es die Jugendlichen bei einem Glas Cola auch im Bistro der Villa Lampe machen würden. Außerdem können sie im Kanal „Unter vier Ohren“ ihre Sorgen loswerden. „Hier können die Jugendlichen ungestört mit einem Mitarbeiter sprechen, ohne dass jemand anders dazwischen platzt“, führt Mike Goldsmits aus. „Das wird ab und an genutzt und ich habe das Gefühl, dass es ihnen auch gut tut.“
Spätestens ab 18 Uhr kommen immer mehr Besucher auf die Plattform. Der 18-jährige Karl ist regelmäßig mit dabei: „Es ist cool, wenn man mal wieder jemanden sieht, wenn auch nur über den Rechner, und zusammen etwas macht. Anstatt daheim zu sitzen und eben nichts zu machen.“ Vor Weihnachten hat er die Mitarbeiter der Villa Lampe das letzte Mal live gesehen. Zusammen überlegen sie, was sie als Erstes machen wollen, wenn die Villa Lampe wieder normal geöffnet hat. „Mir fehlt das Tischtennis-Spielen“, ruft Mike Goldsmits sofort. „Ich glaube, ich habe das schon verlernt.“ Für den 17-jährigen Danilo ist nur wichtig, „einfach wieder da zu sein, direkt in der Villa Lampe“. Da sei er schon lieber.
Wichtiges Medium für Ehemalige
Trotzdem schätzen die Jugendlichen die digitale Präsenz des Jugendzentrums. „Die Villa Lampe geht ja immer mit den Jugendlichen“, sagt Karl lapidar. „Da war schon zu erwarten, dass was kommt.“ Ein Lob, das Mike Goldsmits kurz sprachlos macht und ihm zeige, „dass wir auf dem richten Weg sind“. Doch für lange Gespräche ist jetzt keine Zeit mehr. Die Jugendlichen wollen spielen. Schnell wird sich auf „Among us“ geeinigt. Die Szenerie: Alle Mitspieler sind Crewmitglieder in einem Raumschiff und müssen gemeinsam Aufgaben lösen. Doch unter ihnen gibt es zwei Verräter, die entlarvt werden müssen. Die Verdächtigen werden per Abstimmung gewählt und anschließend aus dem Spiel geworfen. Und es geht auch gleich richtig zur Sache. Wilde Diskussionen entbrennen, wer die Bösewichter sind. „Wer so oft sabotiert, ist immer Marco!“, wird gleich ein Schuldiger ausgemacht. Marco ist der Praktikant im Offenen Bereich der Villa Lampe. Er unterstützt Mike Goldsmits heute online – genauso wie eine Erzieherin und ein FSJler.
Neben Karl und Danilo spielen auch Liza und Sophie mit. Sie haben beide ihr Freiwilliges Soziales Jahr in der Villa Lampe gemacht und studieren mittlerweile in Erfurt. Für sie ist die virtuelle Version des Jugendzentrums eine gute Möglichkeit, um in Kontakt zu bleiben. „Sonst könnten wir ja nur mal in den Semesterferien vorbeischauen“, sagt Liza. „Schön wäre es, wenn später beides ginge. Zusammensitzen in der Villa und sich digital treffen.“ Ein Vorschlag, über den Mike Goldsmits auch schon nachgedacht hat. „Gerade für die Ehemaligen ist das in dieser Zeit ein wichtiges Medium geworden. Daher glaube ich schon, dass wir hier weiterhin ein Angebot haben werden – wenn auch nicht mehr in dem Umfang natürlich.“ (Geplatzte Träume – So geht es jungen Menschen in der Pandemie)
Familiäre Atmosphäre
„Noch eine Runde, dann skribbln wir“, ruft jemand. „skribbl.io“ ist ein Spiel, das alle kostenlos über einen Link aufrufen können und wie Montagsmaler funktioniert. Einer zeichnet auf seinem Tablet, Handy oder PC, die anderen sehen es und müssen erraten, welches Wort gesucht wird. „Alien – das ist ein Alien.“ „Nein, eine Frisur.“ Der gesuchte Begriff war „Pickel“. Eine Runde folgt der nächsten, die Abläufe sind schnell. Man merkt, wie vertraut hier zusammengespielt wird. „Alter, was ist das denn?!“ „Klar, Du hättest es anders gezeichnet.“ Schottenrock, Essstäbchen, Ohr – die Wörter fliegen rasant durchs Netz. „Hua – voll gut, ich hab’s richtig.“ Ein einfaches Spiel, das aber allen Spaß macht und Gemeinschaft schafft. Das merkt auch Mike Goldsmits immer wieder: „Die ganze Atmosphäre ist sehr familiär. Auch das Miteinander von Groß und Klein funktioniert sehr gut. Unser jüngster Besucher hier ist zwölf Jahre alt. Wenn er mal einen Abend nicht da ist, dann fragen die Älteren sofort, wo ist denn unser Freddy. Das ist schon ein nettes Miteinander.“
21 Uhr. Mike Goldsmits verabschiedet sich von den Jugendlichen und schaltet seinen PC aus. Es war ein anstrengender Nachmittag und Abend – die ganze Zeit vor dem flackernden Monitor. Trotzdem freut er sich jedes Mal genau auf diese Stunden. „Wenn ich vormittags im Büro sitze, wo noch nichts los ist, ist das schon ein bisschen...“, er macht eine kurze Pause und fährt vorsichtig fort, „langweilig. Auch wenn ich natürlich arbeite, aber das ist sehr monoton. Mit den Jugendlichen – das ist tatsächlich Begegnung, die da stattfindet. Von daher ist das auch echt immer so mein Tageshighlight, wenn dann Jugendliche da sind und wir etwas zusammen spielen und ich merke, dass da Begegnung im Raum ist.“
Mit den Folgen der Corona-Pandemie für junge Menschen beschäftigen wir uns umfassend im Don Bosco Magazin 3 (April/Mai) 2021. Alle Artikel aus dem Heft zu diesem Thema sowie weiterführende Reportagen, Interviews und Statements stehen online zur Verfügung.