Jugend und Religion
Ein Besuch beim Stuttgarter Jugendpfarrer
Pater Jörg Widmann ist Stadtjugendpfarrer in Stuttgart. Seine Aufgabe ist es, Jugendliche von Glauben und Kirche zu begeistern. Das sei „nicht einfach, aber auch nicht möglich“, sagt der 49-Jährige.
veröffentlicht am 30.04.2017
Donnerstagabend im Gemeindezentrum der Pfarrei Liebfrauen in Stuttgart. Auf den abgewetzten blauen Sofas im Jugendraum sitzt ein halbes Dutzend Jugendlicher. Auf dem braunen Couchtisch dazwischen breitet P. Jörg Widmann ein weißes Plakat aus, legt ein paar dicke Stifte daneben und einen Stapel kleiner, bunter Zettel. DeJuGo#17 steht groß in der Mitte des Plakats, eine Abkürzung für Dekanatsjugendgottesdienst Nummer 17. P. Widmann und Gemeindereferentin Gerda Engelfried haben Jugendliche eingeladen, den Gottesdienst mit ihnen vorzubereiten: die Firmlinge aus der Pfarrei, ihre selbst noch jungen Betreuer und die „alten Hasen“, wie P. Widmann das Team derer nennt, die schon öfter bei den Gottesdiensten mitgemacht haben. Wären alle gekommen, dann wäre der Jugendraum mit seiner Sofaecke und der selbst gebauten Theke viel zu klein gewesen. Aber damit hat P. Widmann nie ernsthaft gerechnet.
Seit sieben Jahren arbeitet der 49-Jährige in Stuttgart in der Jugendseelsorge, seit drei Jahren ist er Stadtjugendpfarrer. „Kirchliche Jugendarbeit braucht Geduld und eine gewisse Hartnäckigkeit“, erklärt er. „Man darf sich nicht frustrieren lassen, wenn mal nur wenige kommen. Nicht zählen, wie viele es sind, sondern sich über jeden freuen, der da ist.“ Für heute haben drei Jugendliche noch kurzfristig per WhatsApp abgesagt: „Sorry, muss noch lernen.“ „Mir ist was dazwischengekommen.“ „Macht nix“, sagt P. Widmann und tippt das auch als Antwort in sein Smartphone. „Dann bist du eben nächstes Mal wieder dabei.“ Immer erreichbar sein. Möglichst sofort antworten und immer wieder nachfragen und zum Mitmachen auffordern. Für den Jugendseelsorger sind das die Grundlagen seiner Arbeit. Und das Smartphone ist dabei sein wichtigstes Werkzeug.
Als Stadtjugendpfarrer ist er im Team mit seinen beiden Mitbrüdern Clemens Mörmann und Matthias Bogoslawski sowie drei Gemeindereferenten für das gesamte Dekanat Stuttgart zuständig, das zwölf Pfarreiengemeinschaften umfasst, also 44 Einzelpfarreien auf die ganze Großstadt verteilt. Es ist nicht einfach, da überall präsent zu sein. Umso wichtiger sind deshalb Facebook und WhatsApp, um Kontakt mit den Jugendlichen zu halten, die in einer der Pfarreien aktiv sind. Und natürlich der persönliche Kontakt bei Events wie den Dekanatsjugendgottesdiensten, die fünfmal im Jahr an wechselnden Orten stattfinden.
Zum Salesianer Don Boscos berufen
„Mit jungen Menschen etwas zu bewegen, das war schon immer mein Ding“, sagt P. Widmann. Schon als Jugendlicher engagierte er sich in seiner Heimatpfarrei im nordrheinwestfälischen Velbert. Damals waren dort noch Salesianer Don Boscos tätig und Jörg Widmann war von deren Arbeit beeindruckt. Trotzdem ist er nicht gleich Salesianer geworden. Die Idee, in den Orden einzutreten, kam ihm erst viel später, mit 33 Jahren. Damals arbeitete er als Industriekaufmann und mochte seinen Beruf durchaus gerne. „Aber es war nicht das, was mich erfüllt hat. Dafür hatte ich noch immer nebenbei die Jugendarbeit.“ Ein Salesianer sprach ihn dann darauf an, ob er sich nicht vorstellen könnte, seine Berufung als Salesianer Don Boscos zu leben. Damit begann Jörg Widmann seinen Weg in den Orden und legte 2002 schließlich die Erste Profess ab.
Was ihn bis heute am meisten an Don Bosco fasziniert, sind dessen Optimismus und Gottvertrauen: „Er hat sich nie entmutigen lassen und er hat seinen Jugendlichen immer etwas zugetraut“, betont P. Widmann. Genau das möchte er selbst auch tun. Zum Beispiel bei der Vorbereitung des Dekanatsjugendgottesdienstes an diesem Donnerstag. Nach einer kurzen Einführung dazu, was ein Gottesdienst eigentlich ist, teilt er bunte Zettel an die Jugendlichen aus. Sie sollen aufschreiben, was sie gerade bewegt, was sie vor Gott bringen möchten. „Es ist gut, wenn das Thema von den Jugendlichen selbst kommt – denn dann spricht der Gottesdienst auch andere Jugendliche an. Dann merken alle, die kommen, dass Kirche Antwort geben kann auf Fragen, die sie wirklich berühren“, erklärt P. Widmann. Manchmal ist er selbst erstaunt, welche innovativen Ideen die jungen Menschen haben, wenn es um die Gestaltung des Gottesdienstes geht, und welche eigenen Gedanken und Glaubenserfahrungen sie einbringen, wenn sie selbst Texte formulieren oder sogar predigen.
„Im Alter zwischen 14 und 20 sind viele Entscheidungen gefordert, die Jugendliche für ihr Leben treffen sollen. Sie in dieser Phase zu begleiten, ist wichtig und spannend, aber natürlich auch anstrengend“, sagt der Jugendseelsorger. Trotz aller guten Vorsätze ist er manchmal enttäuscht, wenn zum Beispiel mal wieder einer abspringt, von dem er gedacht hatte, er würde sich engagieren. Dann zieht P. Widmann sich gerne in die kleine Hauskapelle der Wohnung zurück, in der er mit seinen beiden Mitbrüdern lebt. „Wenn ich dort bete, kann ich auch ganz gut von dem Ärger loskommen“, erklärt er.
Als seine wichtigste Aufgabe sieht er es an, Jugendlichen klarzumachen, dass sie im Glauben an Gott eine Antwort auf diese Sinnfrage finden können. Dabei fängt er nicht immer gleich an, von Jesus zu erzählen, wenn er Jugendliche trifft. „Sie merken von selbst, dass ich Kirche bin und irgendwann kommen dann schon Fragen danach.“ Erst einmal gehe es darum, Angebote zu machen, bei denen Jugendliche Gemeinschaft erleben und Sinnfragen diskutieren könnten.
Solche Gelegenheiten schaffen der Stadtjugendpfarrer und seine Kollegen zum Beispiel bei der Firmvorbereitung, aber auch mit offenen Angeboten im Jugendzentrum YouCh. „Den Namen haben die Jugendlichen selbst ausgesucht – als Verschmelzung der Wörter You und Church“, erzählt P. Widmann. Und auch die Räume in einer ehemaligen Mesnerwohnung gleich neben der Kirche St. Nikolaus im Osten von Stuttgart haben sie selbst gestaltet und eingerichtet. Dort finden jetzt zum Beispiel jeden Mittwochabend offene Treffen statt, bei denen über Glaubensfragen diskutiert oder auch einfach nur gemeinsam Fußball geschaut wird.
Die eigenen Talente entdecken
„Jugendliche haben oft das Gefühl, in der Gesellschaft nur nach Leistung bemessen zu werden“, erklärt P. Widmann. „Ich will ihnen deshalb vermitteln, dass sie von Gott so angenommen werden, wie sie sind, ohne Leistung bringen zu müssen. Dass es aber auch wichtig ist, seine Talente zu entdecken und zu nutzen.“ Im YouCh gibt es deshalb verschiedene Arbeitsgruppen, in die junge Menschen sich je nach Interessen und Talenten einbringen können: ein Technik-Team, ein Spiri-Team und eine Musik-Combo. Und wenn alle zusammenhelfen, entstehen dann zum Beispiel Jugendgottesdienste, die mit guter Musik, stimmungsvoller Beleuchtung und den richtigen inhaltlichen Impulsen das Zeug dazu haben, junge Menschen wirklich anzusprechen.
Im Jugendraum der Pfarrei Liebfrauen sind die Themenvorschläge auf den kleinen, bunten Zetteln gesammelt. Jetzt wird darüber diskutiert: über PC-Spiele und Prüfungsängste, über die bevorstehende Entscheidung zur Ausbildung und den Sinn von Fastenzeit. Am Ende steht das Thema, um das es im Gottesdienst gehen soll, und die ersten Aufgaben sind verteilt. Aber es wird auf jeden Fall einen zweiten Vorbereitungstermin geben. Vielleicht kommen dann noch ein paar Jugendliche mehr. P. Widmann jedenfalls wird wieder und wieder dazu einladen.
Spirituelle Angebote im YouCh
Zusammen mit dem katholischen Jugendreferat bieten die Salesianer Don Boscos in ihrem Geistlichen Zentrum YouCh in Stuttgart spirituelle Angebote, Veranstaltungen und Fahrten für junge Menschen an. Das YouCh soll Jugendlichen Zeit und Raum bieten, über ihre Lebens- und Glaubensfragen zu reden und sich auszutauschen. Aktuelles Jahresprogramm zum Download auf der Homepage der Salesianer Don Boscos in Stuttgart