Trier

Im Margareta Bosco Haus finden junge Wohnungslose Rat und Hilfe

Junge Männer, die von Armut und Obdachlosigkeit betroffen sind, finden im Margrata Bosco Haus in Trier eine Anlaufstelle. In dem ehemaligen Kasernengebäude gibt es eine Notschlafstelle, Trainingsappartements und individuelle Betreuung und Beratung.
  • Thomas Hoffmann

veröffentlicht am 20.02.2024

Wer hier ankommt, ist durch alle Netze gefallen. Endstation Margareta Bosco Haus? Gneisenaustraße 44 in Trier-West. Ein Stadtteil, der oft in schlechtem Licht dasteht. Hier im Quartier werden skurrile Sendungen wie „Hartz und herzlich“ (RTL2) gedreht. Wie wahrheitsgetreu die sind? Die meisten, die hier leben, schütteln den Kopf, winken ab.

Und dennoch: Der Standort ist bewusst gewählt. Hier finden wohnungslose junge Männer eine Unterkunft auf Zeit. Junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren. „Wir sind hier eine Anlaufstelle für junge Erwachsene, wir bieten Notschlafstätte und Trainingsappartements“, sagt Nina Kautenburger. „Aber das Wichtigste, das wir hier bieten, ist die Beratung. Für alle Lebensbereiche, in denen die jungen Leute herausgefordert sind“, sagt sie. Für die meisten, die hier anklopfen, sei beinahe das ganze Leben eine Herausforderung.

Kautenburger leitet das Margareta Bosco Haus. Sie und ihre Kollegen wissen, dass sie gebraucht werden. „Wir sind seit Anfang 2023 dauerhaft voll belegt“, sagt die 26-Jährige. Die Hilfe hier hat sich rumgesprochen, die meisten Bewohner kommen auf Empfehlung. Das Benedikt-Labre-Haus, eine Einrichtung der Wohnungslosenhilfe, ist einer von vielen Kooperationspartnern des „MBH“. Aber viele weitere ziehen hier gemeinsam mit der Don Bosco Einrichtung an einem Strang: der SKF, ­Jugendberufsagentur, Schuldnerberatung, Suchtberatung, Krankenhäuser, Jobcenter, Jugendamt, Gesundheitsamt – kurz: alle die, die im jeweiligen Einzelfall helfen können. „Andere junge Menschen stehen einfach vor unserer Tür und bitten um Hilfe“, sagt Kautenburger.

Der letzte Anker

Wer hierher kommt, legt keinen großen Wert darauf, seine Geschichte der Öffentlichkeit preiszugeben. Auf das Bild in Zeitung und Fernsehen verzichten alle. Kein Wunder: Zeitungen und vor allem das Internet vergessen nie. Alle hoffen auf bessere Zeiten. Wer will da irgendwann als junger Wohnungsloser wiedererkannt werden?

Kautenburger kennt die Geschichten der jungen Männer. Viele gleichen sich. „Wer hier ankommt, der ist durch alle Systeme gefallen“, berichtet die taffe Frau, „viele haben Jugendhilfeeinrichtungen durchlaufen. Und wir sind hier der letzte Anker.“ Eine Art halbwegs sicherer Hafen? „Wir sind die Stelle, die noch Hoffnung gibt, wo andere aufgegeben haben.“ Aus diesem Satz klingt Zuversicht, die sich auch auf die Bewohner ausbreitet. „Wir grenzen nicht aus, wir lehnen nicht ab“, sagt die Erzieherin, „auch nicht die ganz speziellen Kandidaten …“

Kautenburger und ihre Mitstreiter treffen jeden Tag auf Menschen mit hohem Suchtpotenzial, viele konsumieren, einige bringen Strafakten mit. „Wir werten nicht“, ist das Grundmotto im Trierer Margareta Bosco Haus. Für das Team, das zum Jugendhilfezen­trum Don Bosco Helenenberg gehört, stehen zunächst einmal junge Menschen vor der Tür, die Hilfe brauchen. Wenn ein 18-Jähriger ohne Wohnung, ohne Hoffnung und ohne helfende Familie vor ihr steht, dann bewegt das Kautenburger emotional. „Das nimmt mit. Da frage ich mich, was da wohl der persönliche Knackpunkt war, was schiefgelaufen ist.“

Bei null anfangen

Viele, die hier ankommen, haben permanente Wechsel und permanente Ablehnung erfahren. Manche fühlen sich auch nur abgelehnt – für den Einzelnen macht das aber am Ende keinen Unterschied. Viele haben ein gutes Netzwerk, ziehen von Kumpel zu Kumpel, sind Meister des Couchsurfings.

Das „Café 44“ unter dem Dach des Hauses ist eine Anlaufstelle für alle Menschen zwischen 18 und 25 Jahren. Hierher kommen auch junge Frauen. Es gibt Darts, Kicker, Gesellschaftsspiele. Das sind aber nur die Eisbrecher für die Atmosphäre. Der Schwerpunkt ist die Beratung. „Erst einmal muss eine Vertrauensbasis geschaffen werden.“ Der Satz leuchtet ein. Dabei hängt der Café-Besuch von teils kuriosen Faktoren ab. Etwa vom Wetter, von der Belegung des MBH, aber auch vom Tag. Am Ende des Monats ist mehr los als am Anfang.

Viele Café-Besucher und MBH-Bewohner fangen bei null an. Das Team hilft ihnen bei profanen Angelegenheiten wie der Eröffnung eines Kontos, die häufig abgelehnt wird, weil es keinen Ausweis gibt.
„Ablehnung“ – ein ständiger Begleiter bei allen, die ihren Anker im MBH werfen müssen. „Lob kennen nur die wenigsten, mit positivem Feedback können sie nicht umgehen“, sagt Nina Kautenburger. „Sie reden sich auch selbst schlecht.“ Don Bosco setzt genau da an, nimmt die jungen Leute als Menschen an, reduziert sie nicht auf ihre Probleme.

Helfende Hände

Eine Geschichte, die sie besonders mitgenommen hat? Kautenburger stockt. „Alle Lebensgeschichten sind auf ihre Art und Weise besonders“, meint sie, „und das, was diese jungen Menschen geschafft haben, schafft nicht jeder.“ Sie erklärt, was sie meint: „Sie sind alle Überlebenskünstler. Obwohl ihr Leben häufig perspektivlos erscheint, besitzen sie noch Hoffnung, dass es sich ändern wird.“

Doch es gibt die Geschichten, die hängen bleiben. Auch Michael Schneider, der pädagogische Leiter des Jugendhilfezentrums, kennt sie. „Gleich zum Start“, erinnert sich Schneider, „kam ein junger Mann. 23 Jahre alt. Er kam aus dem Knast. Perspektivlos. Wohnungslos. Verurteilt wegen Drogenbesitz. Sachbeschädigung kam noch dazu.“ Seine Strafe hatte der junge Mann abgesessen, seine Probleme waren noch da. Vor allem Schulden haben ihn gedrückt. „Eins hat ihn damals ausgemacht“, weiß Schneider bis heute: „Er war nach dem Gefängnis an einem Wendepunkt. Er wollte den kriminellen Weg seines ‚Vorlebens‘ verlassen.“

Dabei war das MBH ein Steigbügelhalter zum Schwung ins neue Leben. Der Mann, vielleicht hieß er Marcel*, hatte seine Ausbildung abgebrochen. Mithilfe des Helenenberg-Teams konnte er den Weg zum Elektroniker doch noch fortsetzen. Das war der Grundstein dazu, seinen Schuldenberg abzutragen. „Was jetzt so simpel klingt“, weiß Schneider, „ist in Wahrheit die Summe vieler kleiner Schritte. Immer wieder wurde Marcel beraten. Immer wieder war er versucht, aufzugeben. Und immer wieder hat er hier helfende Hände gefunden, die seine Hand gegriffen haben.“ Besonders wichtig dabei ist Struktur. Das Umfeld muss sortiert sein. Morgens aufstehen, Dinge erledigen, Termine einhalten, Pro­bleme lösen, abends zurückkehren. „Wer seinen Tag so verbringt, für den sieht es gut aus, nicht zurück in den Drogen- oder Alkoholsumpf zu fallen“, weiß der erfahrene Pädagoge.

Angenommen werden

Viele haben ähnliche Erfahrungen gemacht wie Marcel. Alle haben viel Ablehnung gespürt. Zu Hause, bei den Eltern, bei Geschwistern, in einer Pflegefamilie, in Jugendhilfeeinrichtungen, in der Schule, im Ausbildungsbetrieb. „Wichtig ist für alle“, da sind sich Kautenburger und Schneider einig, „dass dieses Gefühl der ständigen Ablehnung verschwindet. Die Menschen müssen sich angenommen fühlen.“ Das Telefon klingelt. „Ich bin Nina Kautenburger!“, sagt die Erzieherin freundlich in den Hörer. „Wir haben uns schon kurz gesehen. Komm einfach gleich vorbei, unsere Tür ist offen.“

Wer im MBH wohnt, braucht viel Zeit, anzukommen. Erste Erfolge werden gefeiert, etwa wenn es heißt: „Er lässt sich auf Beratung ein!“ Doch es gibt mehr Bedarf, als das Margareta Bosco Haus abdecken kann. Wöchentlich kommen junge Leute, die nicht aufgenommen werden können. Für sie ist selbst in der Notschlafstätte kein Platz. Das Team schmerzt es, wenn es Nein sagen muss.

Dennoch sagt Nina Kautenburger lächelnd: „Wohnungslosenhilfe ist etwas Besonderes. Und es ist wunderschön. Die Menschen kommen freiwillig her, das ist eine Grundlage zur Arbeit.“ Um 18 Uhr öffnet jeden Tag die Notschlafstätte. Unter den Bewohnern entwickelt sich ein Gruppengefühl. Sie spielen etwas, manchmal gibt es gemeinsame Pfannkuchen-Dinner. Gemeinsam essen, lachen, Geschichten erzählen. Es entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl, das viele vorher nie kennengelernt haben. Weil keiner ausgegrenzt wird. Ablehnung kennen sie alle. Das Gefühl, angenommen zu werden, nicht.

Aber alle im Margareta Bosco Haus wissen auch: „Die Jungs sind hier, um zu gehen.“ Sie kennen die Grat­wanderung, die sie jeden Tag meistern müssen: „Es darf nicht zu schön sein. Jeder, der geht und den Sprung ins selbstständige Leben schafft, ist ein Erfolg. Auch wenn die Beratung immer weiterläuft“, sagt Nina Kautenburger.

*Name von der Redaktion geändert

Das Margareta Bosco Haus

Das Margareta Bosco Haus (MBH) in Trier ist eine Einrichtung des Jugend­hilfezentrums Don Bosco Helenenberg. Es richtet sich an von Armut und Obdachlosigkeit betroffene Männer zwischen 18 und 25 Jahren. Es bietet Notschlafstelle, Trainingsappartements und Beratung in heiklen Lebenslagen. Die entkoppelten jungen Menschen sollen in die Gesellschaft integriert werden – mit menschenwürdigen Unterkünften, individueller Betreuung und Beratung, die Wege aus der Wohnungslosigkeit aufzeigt. Gefördert wird das MBH durch die Herbert- und Veronika-Reh-Stiftung, Leiwen, die Stadt Trier, das Jobcenter der Stadt Trier, das Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration des Landes Rheinland-Pfalz und die Salesianer Don Boscos.

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