Syrien

Ort der Hoffnung für Kinder in Damaskus

Die Salesianer Don Boscos haben Damaskus während der Kriegsjahre nicht verlassen. Trotz der Gefahren blieb das Don Bosco Zentrum in der syrischen Hauptstadt geöffnet. Heute besuchen etwa 1.200 Kinder und Jugendliche pro Woche die Einrichtung.

veröffentlicht am 14.10.2020

"Willkommen in Damaskus!“ Pater Munir Hanachi tritt aufs Gas und manövriert den Don Bosco Bus geschickt durch eine Lücke im dichten Verkehr. In der Hauptstadt Syriens läuft das Leben scheinbar wie gewohnt. Der Verkehr staut sich, in den Schawarma-Läden drehen sich riesige Fleischspieße am Grill, abends trinkt man in den Bars rund um Bab Touma libanesisches Bier und amerikanische Cocktails. Der Beginn der Kämpfe um Damaskus liegt nun bald acht Jahre zurück. Im Juli 2012 brachen heftige Gefechte zwischen der syrischen Armee und den Rebellen in den Vororten und Teilen des Stadtzentrums aus. Damals fragte die Provinzleitung, ob die Salesianer Syrien verlassen möchten. „Wir entschieden uns, zu bleiben“, sagt Pater Hanachi, Direktor der Salesianer-Gemeinschaft in Damaskus.

In den folgenden Jahren sollte der Krieg nicht mehr von ihrer Seite weichen. „Das Schwierigste war die Angst“, sagt der Pater. Viele Jugendliche, die das Don Bosco Zentrum besuchen, wohnen in entfernten Stadtteilen. Der Weg von ihren Wohnungen ins Zentrum war wegen möglichen Beschusses unsicher. Und selbst im Don Bosco Haus bestand die Gefahr, dass jederzeit eine Mörsergranate im Spielhof einschlagen konnte. Andererseits war der Besuch im Zentrum für die jungen Menschen eine Ablenkung vom Krieg. Hier konnten sie Freunde treffen und gemeinsam spielen – ein paar Stunden Auszeit von der Katastrophe, in die sich ihr Leben verwandelt hatte. Pater Hanachi musste daher jedes Mal aufs Neue entscheiden, ob er das Risiko auf sich nahm, den Don Bosco Bus loszuschicken, um die Jugendlichen abzuholen.

Immer noch Kontrollen und Angriffe 

Im Frühjahr 2018 brachte die syrische Armee die letzten Vororte unter ihre Kontrolle. Doch ganz verschwunden ist der Krieg nicht. An Dutzenden Militärcheckpoints in der Stadt führen Soldaten Kontrollen durch und immer wieder beschießt Israel militärische Ziele im Großraum Damaskus mit Raketen.

Das Don Bosco Haus – weiß verputzt, kleiner Vorgarten mit schmiedeeisernem Zaun – steht in einer ruhigen Nebenstraße im Al-Salheya-Viertel. Durch eine schmale Zufahrt lenkt Pater Hanachi den Bus auf den Spielhof an der Hinterseite des Gebäudes. Im Hof und im Erdgeschoss des Hauses wimmelt es von Kindern und Jugendlichen. Auf der Bühne im Don Bosco Saal sind auf Stangen zwei Engelsflügel aus Pappe montiert. Manar Hanoun ist die Erste, die die Bühne betritt und sich zwischen die Flügel stellt, die nun aussehen, als wären sie auf ihrem Rücken angewachsen. Die Kinder lachen und knipsen Fotos mit ihren Smartphones. Schon bildet sich eine lange Schlange. Alle wollen als Engel fotografiert werden.

Dreimal die Woche unterstützt Hanoun die Salesianer als Animateurin. Die 25-Jährige lebt bei ihren Eltern in Maarat Sednaya, einer christlichen Siedlung nördlich von Damaskus. Mit ihrem Wein- und Olivenanbau und den orangen Ziegeldächern der Häuser erinnert die Gegend an die Toskana. Während des Krieges seien ein paarmal Kämpfe in der Region aufgeflackert, sagt Hanoun. Die Unsicherheit war groß. „Gott sei Dank wurden das Haus meiner Familie und die Nachbarschaft nie beschossen.“ Zum Studieren musste Hanoun nach Damaskus. „Mein erstes Jahr an der Uni war 2012, am Höhepunkt der Kämpfe.“ Die meiste Zeit erlaubten ihre Eltern Hanoun daher nicht, in die Hauptstadt zu fahren. Sie versäumte Kurse und Examen. „Ich habe zwei Jahre verloren“, sagt sie. Hanoun litt unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit. Sie sei ständig traurig gewesen, hatte keine Lust, irgendetwas zu tun. „Die Tage verstreichen, alles wird bedeutungslos.“ In Sednaya betreiben die Salesianer einen Jugendtreffpunkt. Dort hatte sie Pater Hanachi kennen gelernt. „Das veränderte mein Leben“, sagt sie heute. Der Pater konnte Hanoun für die Ideen Don Boscos begeistern, und sie begann, sich als Animateurin zu engagieren. „Das gab mir ein positives Gefühl.“ In Maarat Sednaya stehen heute die meisten Häuser leer. „Der Großteil der Einwohner ist ausgewandert, nach Australien, Kanada, an andere Orte“, so Hanoun. Auch sie denkt daran, das Land zu verlassen.

Der Krieg hat Träume zerstört

„Viele Jugendliche haben alle Hoffnung verloren“, sagt Bruder Dany Kerio. Der Salesianer mit dem kurz rasierten Bart hat gerade einen Massentanz im Hof organisiert. Zur Musik hat er mit seinen Armen wie mit Flügeln gewackelt, ist vor- und zurückgesprungen und die Kinder haben es ihm nachgemacht. Auch wenn die Jugendlichen hier ausgelassen sind und lachen, dürfe man nicht vergessen, dass fast jeder von ihnen tragische Verluste erlitt, so der Bruder. Der neunjährige Krieg habe berufliche und familiäre Träume geraubt.

Auch die Zukunft sieht für Syrien nicht gut aus. Laut der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) betrage die syrische Wirtschaftsleistung heute nur noch ein Achtel des Vorkriegsniveaus. Die Sanktionen, verhängt von EU-Staaten und den USA, tragen weiter zum ökonomischen Notstand bei. Gegenüber den Bündnispartnern sieht sich die Assad-Regierung verpflichtet, Teile ihrer Ressourcen zu verpfänden. So hat sich Russland hohe Gewinnbeteiligungen an den Öl- und Gasfeldern und beim Phosphatabbau gesichert. Die Krise lässt den Wert des syrischen Pfund verfallen. Das durchschnittliche monatliche Einkommen liegt bei etwa 50 US-Dollar, die Miete beträgt doppelt so viel. Wer kann, geht einem Zweitjob nach.

Trotzdem setzt Bruder Kerio sich dafür ein, dass die jungen Leute in Syrien bleiben. Um Perspektiven zu schaffen, vergeben die Salesianer Mikrokredite. Sechs Jugendliche wurden mit bis zu 3.000 US-Dollar unterstützt, was ihnen den Start in die Selbstständigkeit ermöglichte. Das Projekt wird 2020 fortgesetzt und auf Aleppo ausgeweitet.

Ein Luxuskleid für einen Abend

Das wirtschaftliche Elend zwingt die Menschen zu Alternativen. Rita Zukhen konnte ihre Idee dank eines Mikrokredits der Salesianer umsetzen: Sie verleiht Gewänder. „Den Luxus, ein teures Abendkleid für nur einen Anlass zu kaufen, können sich viele nicht mehr leisten“, sagt sie. Auf einem Kleiderhänger präsentiert die 25-Jährige ihre Kollektion an Abendkleidern, in einer Glasvitrine stellt sie die dazu passenden Accessoires aus. Zwischen zwölf und 25 US-Dollar kostet es, ein Kleid auszuleihen. 100 US-Dollar und mehr würde der Kauf eines neuen Abendkleides kosten. Noch reicht ihr Einkommen nicht aus, um finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Sie lebt daher bei ihren Eltern. Aber Zukhen ist zuversichtlich. Um auch im Winter, wenn es traditionell wenige Hochzeiten gibt, das Geschäft zu beleben, will sie ihr Sortiment ausweiten, mehr Accessoires und auch Jeans und T-Shirts anbieten.

Bei der Fahrt durch eine verlassene Siedlung am Rande der Ghouta wirbelt der Don Bosco Bus Staub auf. Die Ghouta ist ein grüner Oasengürtel, der die Hauptstadt umschließt und wo bis vor dem Krieg Obst, Gemüse und Reis angebaut wurden. Häuserruinen zeugen von den Kämpfen, die in der Ghouta bis 2018 andauerten. Die Menschen, die hier lebten, sind geflohen; in andere Teile Syriens, in den Libanon, nach Europa. Wiederaufbau gibt es, wenn überhaupt, nur punktuell. Hinter den Ruinen breiten sich die Äcker aus. Hier haben die Salesianer Bauland erworben. Das Land liegt unweit von Jeramana, einem christlichen Vorort, von wo ein Großteil der Jugendlichen kommt, die das Zentrum in Damaskus besuchen. Letzteres ist wegen der großen Besucherzahl zu klein geworden. Das neue Zentrum soll neben einem Spielhof und der Kirche den Jugendlichen berufliche Ausbildung anbieten. „Vom Installateur über Schneider bis Web-Entwickler – es wird eine Menge Trainings geben“, so der Pater. Die Nachmittagssonne gibt dem Grün des Grases eine intensive Farbe. Pater Hanachi blickt voll Zuversicht über das neu erworbene Land: „Das Ausbildungszentrum wird die Jugendlichen befähigen, Syrien nach neun Jahren Krieg wiederaufzubauen.“  

Mehr Informationen über die Arbeit der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwestern in Damaskus bei Don Bosco Mission Bonn, Don Bosco Mission Austria und der Missionsprokur der Don Bosco Schwestern.

Don Bosco in Damaskus

In der 1992 gegründeten Niederlassung der Salesianer Don Boscos in Damaskus leben zurzeit drei Priester und ein Bruder. Etwa 1.200 Jugendliche besuchen Woche für Woche das Zentrum. Die Jüngsten sind im Volksschulalter, die Ältesten studieren oder haben ihr Studium bereits abgeschlossen. Rund 60 Jugendliche und junge Erwachsene unterstützen die Salesianer als Erzieher und Animatoren.