Mit Bildung in ein neues Leben
Unterricht für Mädchen in Pakistan
Viele Mädchen in Pakistan werden schon früh verheiratet und können nicht zur Schule gehen. Die Salesianer Don Boscos setzen in dem islamischen Land vor allem auf Bildung. In Quetta werden christliche und muslimische Kinder gemeinsam unterrichtet.
veröffentlicht am 30.04.2018
Jacinta* kann jetzt wieder lachen und positiv in die Zukunft schauen. Früher war das anders, denn sie hatte vor allem eine Erfahrung machen müssen: nicht geliebt zu werden und unerwünscht zu sein. Mit zwölf Jahren kommt sie in das Mädchenwohnheim „Laura Vicuña“ in Quetta im Westen Pakistans. Ihren Vater hat sie mit vier Jahren durch Krebs verloren und ihre Mutter verlässt sie, als sie noch klein ist. Jacinta wächst erst bei einer Tante, dann bei einem Onkel auf. Als dieser unerwartet stirbt, kann sie zwar bei seiner Frau bleiben, aber diese ist hart zu ihr und lässt sie spüren, dass sie nicht zur Familie gehört. Die damals Neunjährige muss sich um den Haushalt kümmern: putzen, kochen und aufräumen. Sie wird gnadenlos ausgebeutet, hat aber nicht den Mut und die Kraft, sich zu wehren. Das ändert sich erst, als sie in die Schule kommt. Dort beginnt sie zu verstehen, wie schlecht und ungerecht sie von ihrer Tante behandelt wird. Sie wird mutiger und rebelliert, stößt damit jedoch auf Unverständnis. Sie erfährt nur noch mehr Härte. So flieht sie und wird schließlich in das Don Bosco Mädchenhaus gebracht.
Jacinta ist kein Einzelschicksal in dem islamischen Land. Viele Mädchen in Pakistan werden als Haushaltshilfen ausgebeutet. Eine moderne Form der Sklaverei. Die Mädchen haben keine Rechte, werden oft geschlagen und missbraucht, leben völlig isoliert. Viele Mädchen in Pakistan werden zudem vor dem 18. Lebensjahr verheiratet und besuchen dann meistens keine Schule mehr. „Dies ist ein großes Problem, denn Bildung ist der Schlüssel zur Bekämpfung von Armut und erweitert den Lebenshorizont der Mädchen“, betont Pater Joel Jurao, der seit 2017 die Einrichtung in Quetta leitet. Wichtig sei die Unterstützung der Familien. Sie müssten in den Prozess mit eingebunden werden.
Mut machen und füreinander da sein
„Als Jacinta zu uns gekommen ist, war sie sehr verstört und depressiv. Mit ihren zwölf Jahren hatte sie einfach schon zu viel Schlimmes erlebt“, so Pater Joel. Die Salesianer in Quetta hören ihr zu, zeigen ihr, dass sie willkommen ist und viel Potenzial in sich hat. Jacinta fasst wieder Mut, möchte weiter zur Schule gehen. Im Don Bosco Zentrum besucht sie jetzt die 6. Klasse. „Sie ist sehr intelligent und lernt mit Begeisterung. Aber es gibt auch immer wieder Phasen, in denen sie in Depressionen verfällt“, erklärt Pater Joel. Besonders schwierig ist es für sie, wenn die anderen Schülerinnen von ihren Eltern oder Verwandten abgeholt werden und sie allein in der Einrichtung zurückbleibt. „Das schmerzt sie sehr, sie vermisst ihren Vater und weint dann auch oft“, so eine der Good Shepard Schwestern, die die Mädchen mitbetreuen. „Die anderen Mädchen helfen ihr, machen ihr Mut, und so kann sie mittlerweile trotz ihres Schicksals wieder positiv in die Zukunft schauen“, so Pater Joel.
97 Prozent der Bewohner in Pakistan sind Muslime. Christen stellen eine Minderheit dar. In dem Mädchenwohnheim von Don Bosco werden nur christliche Mädchen aus armen Familien betreut. In die Don Bosco Schule gehen muslimische und christliche Mädchen gemeinsam, der Religionsunterricht wird jedoch getrennt durchgeführt. Immer wieder kommt es in dem islamischen Land zu Übergriffen auf religiöse Minderheiten, auch die Don Bosco Einrichtung in Quetta war schon davon betroffen. Doch die Arbeit soll trotzdem weitergehen. „Die Mädchen brauchen unsere Unterstützung. Und in Bildung liegt die Chance, etwas zu verändern“, so Pater Joel.
Die Arbeit der Salesianer in Pakistan begann bereits im Jahr 1998. Pater Peter Zago wurde als einer der ersten Salesianer nach Quetta berufen. Der gebürtige Italiener setzte sich dafür ein, dass Christen und Muslime zusammen unterrichtet werden können. Helmut Merkel, Don Bosco Engagierter und Freund von Pater Zago, erinnert sich an die Zeit: „Zunächst wurde Pater Peter als Christ fast überall angefeindet. Als die Schule ihren Betrieb aufnehmen wollte, wollten die Mullahs ihm den Unterricht verbieten und beschuldigten ihn, die Kinder gegen den Islam aufzuhetzen. In einer von großer Umsicht und Diplomatie getragenen Rede erklärte er: ‚Wir werden die Kinder unterrichten und gut ausbilden. Wir haben für Ihre Kinder in der Schule auch einen Gebetsraum eingerichtet, damit sie jederzeit beten können.’ Pater Peter Zago sprach mit fester, energischer Stimme und erntete bei den misstrauischen Mullahs viel Respekt. Nach kaum einem Jahr schickten die Eltern ohne alle Bedenken ihre Kinder in die Schule.“
Pater Peter Zago verstarb mit 82 Jahren im Dezember 2017 in seiner italienischen Heimat Piemont. In Pakistan wird seine Arbeit von den Salesianern fortgeführt – trotz angespannter Sicherheitslage. Die Don Bosco Einrichtungen sind sehr angesehen. Viele muslimische Eltern erkennen mittlerweile, dass Bildung für ihre Töchter der Schlüssel für ein besseres Leben ist. Keine Selbstverständlichkeit in einem Land, das für Mädchen und Frauen zu den gefährlichsten der Welt gehört. In der pakistanischen Verfassung ist schon seit 1973 die Gleichstellung von Männern und Frauen festgeschrieben. Doch tatsächlich sind Frauen und Mädchen in dem islamischen Land zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt. Viele können nicht schreiben und lesen. Pakistan hat noch immer eine der niedrigsten Einschulungs- und Alphabetisierungsquoten weltweit.
Ein Zuhause auf Zeit
Im Mädchenwohnheim „Laura Vicuña“ in Quetta finden die jungen Frauen im Alter zwischen zehn und 16 Jahren ein „Zuhause auf Zeit“. Die Unterstützung im Alltag durch die Salesianer Don Boscos und die Good Shepard Schwestern sowie die familiäre Atmosphäre stärken die jungen Bewohnerinnen auf ihrem Weg in ein selbstständiges Leben.
So wie Anjali*, die den Schritt in die Selbstständigkeit geschafft hat. Sie kam mit ihrer Familie nach Quetta und half durch Zufall im Don Bosco Haus in der Küche aus. Dort entdeckte sie ihren Wunsch, zu lernen. Ihre Eltern willigten ein und so besucht die 13-Jährige jetzt die 6. Klasse im Don Bosco Zentrum, wohnt im Laura Vicuña Haus und kann mit Zuversicht in die Zukunft schauen. „Das Beste, was wir den jungen Menschen in Quetta geben können, ist Bildung. Die Mädchen müssen in die Schule gehen können, und die Jungen lernen dort, dass Mädchen gleichberechtigte Partner unserer Gesellschaft sind“, betont Pater Joel.
* Namen von der Redaktion geändert
Mehr Informationen über die Arbeit der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwestern in Pakistan bei Don Bosco Mission Bonn, Don Bosco Mission Austria und der Missionsprokur der Don Bosco Schwestern.
An der Seite der Jugendlichen
Die Salesianer Don Boscos sind in Pakistan an zwei Standorten tätig: in Lahore und in Quetta. In Lahore betreiben sie seit 2002 das Don Bosco Berufsbildungszentrum, in dem benachteiligte Jugendliche eine professionelle Ausbildung in den Bereichen Elektrik, Sanitär, Metall- und Holzverarbeitung erhalten. Das Zentrum in Quetta umfasst eine Primar- und Sekundarschule für Mädchen und Jungen sowie ein Mädchenwohnheim.