Offen sein

Was Kinder über den Tod wissen wollen

Mit ihren Kindern über den Tod zu reden, fällt vielen Eltern schwer. Sie glauben, das Thema würde die Kleinen überfordern. Ganz im Gegenteil, sagt Diplom-Pädagogin und Autorin Margit Franz. Die Kinder wollen verstehen, was es mit dem Sterben auf sich hat.

veröffentlicht am 28.12.2020

Soll man mit Kindern über den Tod sprechen?
Ja, selbstverständlich, und am besten nicht erst dann, wenn das Thema aktuell ist. Krisenfreie Zeiten kann man nutzen, um sich auf Krisen vorzubereiten. Vielleicht entdecken die Kinder einen toten Vogel im Garten, und schon kommt man ins Gespräch. Man kann einen Spaziergang über den Friedhof machen oder bei einem Bestattungsinstitut ins Schaufenster gucken. Es gibt auch wunderbare Bilderbücher zu dem Thema.

Macht das Kindern nicht unnötig Angst, überfordert es sie nicht?
Meiner Erfahrung nach ist das nicht der Fall, wenn der Erwachsene ganz natürlich mit dem Thema umgeht. Es ist wichtig, dass man das Thema nicht tabuisiert und nicht von den Kindern fernhält. Sie können damit umgehen, wenn es die Erwachsenen können.

Umgekehrt setzt das voraus, dass die Eltern kein Problem damit haben …
Das ist der springende Punkt. Viele Erwachsene haben die Idee, die Kinder sind zu klein, es überfordert sie. Aber im Grunde sind viele Erwachsene damit selbst noch sehr klein. Da ist etwas in den Kinderschuhen steckengeblieben und konnte sich im Laufe der Biografie nicht weiterentwickeln. Weil vielleicht in der Familie nie darüber gesprochen wurde, weil es ein tabuisiertes Thema war. Auch Paare klammern das Thema aus, denken gar nicht darüber nach, wie machen wir es mit einer Betreuungsvollmacht oder einer Patientenverfügung. Das sind Themen, die man gerne vor sich herschiebt.

Eigentlich ist das ein bisschen verantwortungslos. Denn es ist die Aufgabe der Erwachsenen, dieses Tabu zu überwinden und den Kindern Erfahrungen zu ermöglichen. Das bedeutet auch, dass die Kinder erfahren, ich kann mit Mama und Papa darüber sprechen. Man kann als Erwachsener sagen, es fällt mir ein bisschen schwer, darüber zu sprechen, aber wir können es ja mal zusammen probieren. Dann ist man authentisch.

Hinzu kommt: Die Kinder machen es einem wirklich leicht. Sie sind offen, interessiert, neugierig und verbinden mit diesem Thema noch nicht die Erfahrungen, die wir gemacht haben. Sie fragen einfach ganz unverblümt. Dann kann man mit ihnen ins Gespräch kommen – und zwar möglichst immer nur über das, was sie gefragt haben. Es ist oft ein Problem, dass die Kinder eine Frage stellen und die Erwachsenen denken, sie müssten unglaublich weit ausholen. Das müssen sie gar nicht. Es reicht, wenn man dem Kind eine Antwort auf seine Frage gibt und darauf vertraut, dass es gegebenenfalls nachfragt. Man kann auch immer fragen, was interessiert dich an der Frage, warum ist sie für dich wichtig, oder hast du noch weitere Fragen. Manchmal kommt eine Frage plötzlich und überraschend, sodass wir nicht so recht wissen, was wir darauf antworten könnten. In einer solchen Situation kann ich dem Kind auch sagen, da muss ich erst einmal darüber nachdenken.
   
Wenn wir auf der Sachebene mit den Kindern kommunizieren, sollten wir das immer mit der Gefühlsebene verknüpfen. Wenn sie wissen wollen, was passiert mit dem toten Menschen, wird der ein Skelett, und wir sagen, ja, er wird ein Skelett, ist es wichtig, auch zu fragen, was macht das jetzt mit dir, wie fühlt sich das für dich an. Denn auf der einen Seite wollen die Kinder verstehen, wie das eigentlich geht mit dem Leben und dem Tod und dem Sterben, wollen es ganz genau wissen, vor allem die älteren Kinder etwa ab dem Anfang des Grundschulalters. Aber je mehr sie wissen und verstehen, desto mehr wird das Thema auch mit Ängsten besetzt. Sie haben dann schon einen realistischeren Zugang zur Welt, verstehen, dass der Tod unwiderruflich ist. Und dann machen sie sich natürlich Sorgen, dass Mama oder Papa sterben könnte. Diese Sorge ist ja auch berechtigt, und genau darüber können wir dann wieder mit den Kindern sprechen. Wir können aus der Lebenswelt der Kinder heraus erklären, dass und wie wir auf uns aufpassen, dass wir so lange leben wollen, bis das Kind erwachsen ist, dass wir Vorsorge getroffen haben.

Wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, sollen die Kinder den Toten dann sehen?
Ja, auf jeden Fall. Aber das Kind muss darauf gut vorbereitet werden und gut begleitet sein. Man kann dem Kind sagen, der Verstorbene liegt jetzt in einem Sarg, ein Sarg ist eine Holzkiste. Je mehr Vorerfahrung und Wissen ein Kind schon hat, desto besser kann man daran anknüpfen. Man kann dem Kind sagen, der Tote fühlt sich kalt an, weil das Blut nicht mehr durch seine Adern fließt, er ist steif, er sieht vielleicht ein bisschen blass aus. Es sieht aus, als ob er schläft, aber er schläft nicht, er ist tot. Für immer. Er kann nichts mehr fühlen, nichts mehr sehen, nichts mehr riechen, nichts mehr hören, nichts mehr essen. Man muss den Begriff Tod erklären. Ein Kind weiß nicht, was tot heißt.

Wenn der Verstorbene sehr entstellt ist, zum Beispiel aufgrund eines schlimmen Unfalls oder einer Krankheit, sollte man ein Kind vor so einer Erfahrung schützen. Man muss dann andere Möglichkeiten finden, damit sich das Kind gut verabschieden kann.

Sollen die Kinder bei der Beerdigung dabei sein?
Das ist wichtig. Denn das ist das Ritual, bei dem wir uns von dem Verstorbenen verabschieden. Durch den Abschied am offenen Sarg und die Beerdigung wird dem Kind klar, der Opa oder die Oma oder der Bruder ist tot, deswegen wird er jetzt beerdigt. Wenn diese Erfahrung fehlt, ist es schwierig, dem Kind zu erklären, der Opa ist verbrannt worden, er ist jetzt in einer Urne und die wird in die Erde gelegt. Das Kind stellt sich dann immer den lebendigen Opa vor, der mit ihm gelacht hat oder mit dem es ein Bilderbuch gelesen hat. Dem Kind fehlt dann eine wichtige Information.

Bei der Beerdigung sollte das Kind einen Erwachsenen haben, der ihm zur Seite steht, seine Fragen beantworten und die Beerdigung bei Bedarf mit ihm verlassen kann. Wenn das Kind gehen möchte, muss das möglich sein. Darauf sollten wir vorbereitet sein.

Wie können Eltern ihre Kinder in der Zeit der Trauer am besten begleiten?
Die Eltern haben in dieser Situation eine eigene Betroffenheit. Sie sind Vorbilder, wie trauern geht. Ungünstig wäre es, wenn sie ihre Trauer verstecken, um die Kinder nicht noch trauriger zu machen. Es ist wichtig, dass ein Kind seine Eltern weinen sieht, dass Eltern Rituale haben, dass es einen Ort der Trauer in der Familie gibt, dass der Stuhl eines Verstorbenen leer bleibt und die Lücke, also der Verlust, spürbar ist. Dass die Eltern dennoch den Alltag so gut wie möglich aufrechterhalten, denn das gibt den Kindern Orientierung und Sicherheit. Wichtig ist auch, dass die Eltern offen sind für die Fragen des Kindes, vielleicht ein gutes Bilderbuch auswählen, das ein Türöffner für Gespräche sein kann. Dass die Kinder weiter in die Kita gehen, ihre Freunde treffen, ihr Leben leben können. Dass die Eltern nicht die Idee im Kopf haben, wie ein Kind trauern müsste, sondern einfach gucken, wie trauert mein Kind, was tut es, was tut ihm gut.

Wie trauern denn Kinder?
Sehr unterschiedlich. Sehr sprunghaft im Vergleich zu Erwachsenen. Wir können ja tagelang, wochenlang, jahrelang trauern. Das wäre für ein Kind nicht gut, das würde seine Entwicklung gefährden. Trauerarbeit ist Schwerstarbeit für Körper, Geist und Seele. Kinder sind in einem Moment himmelhoch jauchzend, machen Quatsch, sind vergnügt und im nächsten Moment sind sie zu Tode betrübt. Manche Kinder ziehen sich zurück, andere verhalten sich, als ob nichts passiert wäre.

Trauer verläuft in Phasen, daran kann man sich ein bisschen orientieren. Aber bei Kindern ist das individuell sehr unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren ab: Welche Vorerfahrungen haben sie? Wie alt sind sie, also welche Vorstellungen vom Tod haben sie? Wie sprechen Erwachsene mit ihnen und wie gestalten sie mit den Kindern gemeinsam die Trauer? Ein Kind, das aus der Trauergemeinschaft ausgeschlossen wird, kann nicht trauern. Ein Kind, das einbezogen wird, wird wahrscheinlich trauern, und das ist wichtig und gut. Trauer ist die angemessene Reaktion auf einen Verlust. Wenn Kinder intensiv trauern können, dann können sie einen Verlust gut verarbeiten. Der einzige Weg, der aus der Trauer führt, ist der Weg, der durch die Trauer führt. Dabei müssen wir sie gut begleiten und sie gut einbeziehen. Willst du mit auf den Friedhof gehen? Was möchtest du noch tun für dein verstorbenes Brüderchen? Soll der Teddy mit in den Sarg? Viele Kinder bemalen den Sarg. Der Trauer einen Ausdruck geben, sich aktiv mit der Situation auseinandersetzen, das ist entscheidend. Wenn die Eltern das nicht schaffen, wenn sie merken, dass sie selbst zu tief betroffen sind, wenn der Tod sehr plötzlich kam oder die Umstände besonders dramatisch sind, sollten Eltern sich professionelle Hilfe holen.

Margit Franz, Diplom-Pädagogin und Diplom-Sozialpädagogin, war als Erzieherin, Kita-Leiterin, Pädagogische Fachberatung und Lehrbeauftragte tätig. Sie ist Fachreferentin und Autorin mehrerer Fachbücher zur Trauerarbeit mit Kindern, unter anderem „Tabuthema Trauerarbeit“ und „Mit Kindern über Abschied, Verlust und Tod sprechen“.



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