Erste Hilfe
Krisenseelsorge in der Schule
Gymnasiallehrerin Martina Reiner ist Krisenseelsorgerin im Schulbereich und Mitglied des Krisenteams der Erzdiözese München und Freising. Im Gespräch erzählt sie, was bei einem Einsatz geschieht und warum Beziehungsarbeit wichtig ist.
veröffentlicht am 28.12.2020
„Wenn der Tod in die Schule kommt“ – so überschreibt der Fachbereich Schulpastoral die Krisenseelsorge auf seiner Internetseite. Das klingt dramatisch.
Ja, es passiert immer wieder, dass Schüler oder Lehrkräfte sterben, dass Unfälle passieren oder – im extremsten Fall – jemand Amok läuft. In meinen 18 Monaten als Krisenseelsorgerin hatte ich bisher einen Akuteinsatz. Ein Schüler hatte kurz vor Weihnachten Suizid begangen. Zwei Kollegen und ich sind zu seiner Schule gefahren, um die Lehrkräfte zu unterstützen und für die Schüler ansprechbar zu sein.
Was haben Sie konkret gemacht?
Bei jedem Einsatz ist es zunächst wichtig, gemeinsam mit der Schulleitung die weiteren Schritte zu besprechen: wer zu informieren ist, welche Sprachregelung getroffen werden soll, wer besondere Betreuung braucht. Ein Todesfall ist immer ein Schock. Es gilt, aus der dadurch ausgelösten Handlungsunfähigkeit herauszukommen. An erster Stelle steht also das Krisenmanagement.
Klassische Seelsorge ist erst der zweite Schritt?
In dem genannten Fall hatte der Schulleiter die betroffenen Jahrgangsstufen zusammengerufen und sie über den Suizid informiert. Danach herrschte ein paar Stunden absolute Stille. Die Schüler hatten keinen Redebedarf. Für die Lehrkräfte war das schwer auszuhalten. In dieser Phase waren es vor allem sie, die unsere Unterstützung brauchten. Einzeln betreut haben wir dann noch die Freundin des Verstorbenen. Meine Aufgabe war es, herauszufinden, was sie braucht, welche äußere Struktur für sie angemessen ist. Als Krisenseelsorgerin kann ich nichts wieder geradebiegen oder ungeschehen machen. Ich bin da, um zu stabilisieren.
Gibt es Möglichkeiten, Schulen auf solch existenzielle Situationen vorzubereiten?
Als Krisenteam gehört es zu unseren Aufgaben, Konzepte zur Prävention zu erstellen. Wir bieten zum Beispiel Fortbildungen für Lehrkräfte zu Tod und Trauer an, weisen auf Materialien hin und auf Filme, die man in Freistunden zeigen könnte. Ziel ist es, das Thema an den Schulen wachzuhalten, dafür sensibel zu sein und zu bleiben. Denn falls etwas passiert, ist es hilfreich, wenn man sich zuvor damit auseinandergesetzt hat. Und ganz wichtig ist Beziehungsarbeit und das daraus resultierende Zusammengehörigkeitsgefühl. „Wir pflegen ein gutes Miteinander“ – wenn eine Schulgemeinschaft das sagen kann, ist sie auch für den Krisenfall gerüstet.