Interview
Videospiele für Kinder – ja oder nein?
Videospiele haben große Vorteile, bergen aber auch Risiken. Medienpädagoge Sebastian Ring plädiert dafür, dass Eltern bei den Videospielen ihrer Kinder mitspielen und Regeln mit ihnen aushandeln.
veröffentlicht am 18.05.2022
Videospiele üben auf viele Kinder und auch auf viele Erwachsene eine große Faszination aus. Was macht das Spielen auf PC, Konsole oder Smartphone so besonders?
Der besondere Reiz liegt in dem, was digitale Spiele besonders gut können: Sie vermitteln Geschichten und ermöglichen Interaktion. Ich kann Einfluss nehmen auf die Entwicklung einer Geschichte und erlebe mich selbst als wirksam. Am Computer oder am Smartphone in der U-Bahn ist es auch einfacher, alleine zu spielen. Und wir können die Grenzen von Zeit und Raum überwinden. In manchen Onlinespielen finde ich rund um die Uhr irgendjemanden auf der Welt, der mit mir spielen will.
Dennoch haben die meisten Eltern schon in ihrer Kindheit gehört, dass sie nicht zu lange vor dem Bildschirm sitzen sollten. Sind Videospiele gut für Kinder?
Nicht jedes Computerspiel ist per se gut für Kinder. Es gibt viele Spiele für Erwachsene, die für Kinder nicht interessant oder auch ungeeignet sind. Das kennen wir von Filmen oder aus der Literatur genauso. Natürlich richten sich aber viele Spiele dezidiert an Kinder. Es ist sicher eine große Herausforderung für alle Erziehenden, darauf zu achten, dass eine Balance besteht zwischen dem Spielen am Computer und beispielsweise dem Spielen draußen. Viele Spiele schaffen Anreize, die so viel Spaß machen, dass man schnell die Zeit aus dem Blick verliert. Bei den Kleineren ist es die Aufgabe der Eltern, hierauf zu achten. Im Jugendalter und Richtung Erwachsenenalter muss man das natürlich auch selber lernen.
Eltern sollten also die Bildschirmzeit ihrer Kinder einschränken?
Ich würde immer dafür plädieren, das sehr stark an den Interessen der Kinder und Jugendlichen selbst auszurichten. Welche Spiele spielen sie gerne? Was verbinden sie damit und was fasziniert sie daran so? Es wäre schön, wenn Eltern stärker einsteigen, das begleiten und auch selbst mitspielen würden. Ein Sechsjähriger ist sicher überfordert davon, sich selbst Grenzen zu setzen. Aber ab dem beginnenden Jugendalter sollten Eltern ihre Kinder auch in die Ausgestaltung von Regeln einbeziehen.
Gibt es heute andere Risiken durch Videospiele als früher?
Früher hat man bei der Diskussion über Jugendmedienschutz sehr stark auf die Inhalte geschaut, also darauf, ob die Abbildungen entwicklungsbeeinträchtigend waren. Mit Onlinekommunikation und Konsumräumen in Videospielen sind auch neue Risiken stärker in den Blick gerückt. Sie können auftauchen, wenn Kontakte angebahnt werden, die über das Spielen hinausgehen. Online sexuell angemacht zu werden, das sogenannte Cybergrooming, oder aufgrund des eigenen Geschlechts oder der eigenen Herkunft beleidigt zu werden, sind solche Risiken. Auch vor Kostenfallen muss man junge Menschen schützen.
Was können Eltern machen, um aufmerksam zu sein?
Erstens sollten sie auf die Jugendschutzkennzeichnungen achten. Zweitens sollte man die Kinder beim Spielen begleiten. Je jünger sie sind, desto stärker ist auch Präsenz angesagt. Wenn wir die Kinder dabei unterstützen, die Aufgaben zu bewältigen, die ein Spiel stellt, bekommen wir auch mit, welche Risiken entstehen. Genauso gut ist es, sich mit anderen Eltern auszutauschen und mit den Kindern und Jugendlichen im Gespräch zu sein. Die Sensibilität dafür, was passieren kann, ist das Zentrale. Besonders Jugendliche können wir nicht mehr vor jedem Risiko komplett schützen. Auch hier würde ich dafür plädieren, Regeln mit den Kindern und Jugendlichen auszuhandeln und auch zu erklären, warum man bestimmte Dinge nicht will. Und wenn ein Elfjähriger ein Spiel ab 18 spielen will, ist es nicht nur das Recht der Eltern, das zu verbieten, sondern auch ihre Pflicht. Gleichzeitig entziehen sich dann Kinder dem auch oft und spielen es bei einem Kumpel. Es gibt durchaus unterschiedliche Erziehungsstile und Ansprüche von Eltern, wie sie solche Dinge mit ihren Kindern aushandeln wollen. Eltern müssen da für sich einen Weg finden.
Studien zeigen, dass Jugendliche digitale Medien durch die besondere Situation während der Coronapandemie deutlich mehr nutzen. Welche Bedeutung hatten Videospiele in dieser Zeit?
Während der Kontaktbeschränkungen waren Kinder und Jugendliche von vielen sehr wichtigen sozialen Kontakten abgeschnitten. Onlinespiele boten hier einen wichtigen Raum, um in Kontakt zu bleiben, und auch, um sich aus der möglicherweise beengten Situation in der Familie zu Hause ein Stück zurückziehen zu können. Dass die Zeit vor der Konsole oder dem Smartphone mit Beginn der Pandemie teilweise stark zugenommen hat, darf da nicht verwundern.
Müssen sich Eltern deshalb Sorgen machen?
Über die lange Zeit hinweg haben sich möglicherweise andere Alltagsstrukturen etabliert. Eltern sollten das natürlich im Blick haben und – falls das die Jugendlichen nicht ohnehin von selbst tun – mit neuen Anreizen für neue Balance sorgen.
Wir haben viel über Risiken gesprochen. Aber was können Kinder durch Videospiele lernen?
Prinzipiell kann man aus jedem Spiel etwas lernen. Spiele sind Als-ob-Situationen, sodass ich gefahrlos Dinge ausprobieren kann, die ich mich sonst nicht trauen würde. Daraus kann ein Mehrwert für mich, für meine Persönlichkeitsentwicklung, aber natürlich auch für soziale Prozesse entstehen. Ich kann neue Leute kennenlernen oder sie auf eine andere Art kennenlernen, mit ihnen zusammenarbeiten und gemeinsames Handeln organisieren. Das sind alles Dinge, die wir in irgendeiner Form in unserem Leben lernen müssen.
Weitere Informationen
Pädagogische und inhaltliche Beurteilungen diverser Videospiele gibt es unter:
- Spieleratgeber der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW
- Information zu digitalen Spielen des österreichischen Bundeskanzleramts
Infohefte für Eltern zu verschiedenen Themen rund um Computerspiele können beim JFF – Institut für Medienpädagogik, Kategorie Games, abgerufen werden.