Hilfe für Angehörige
Wenn Eltern sich schuldig fühlen
Ein Kind landet im Knast. Für die Eltern ist das der Super-GAU. Christel Brendle von der Beratungsstelle für Angehörige von Inhaftierten erklärt, was Eltern von Inhaftierten bewegt und wie sie lernen können, mit der schwierigen Situation umzugehen.
veröffentlicht am 31.08.2015
Wie reagieren Eltern, wenn sie erfahren, dass ihr Kind eine Straftat begangen hat?
Die Eltern, die zu uns zu einem Beratungsgespräch kommen, sind schockiert. Das ist für sie der Super-GAU. Man muss wissen, dass man nicht einfach ins Gefängnis hineinspazieren und sagen kann, ich möchte mein Kind besuchen. Wenn das Kind in Untersuchungshaft ist, brauchen die Eltern erst eine Besuchserlaubnis, die beim Gericht beantragt werden muss. Dies dauert einige Tage bis einige Wochen. Die Eltern dürfen in Bayern mit ihrem Kind nicht telefonieren. Außer durch Briefe gibt es keinen Kontakt. Die Post dauert allerdings, weil alles über den Ermittlungsrichter läuft, auch etwa zwei bis drei Wochen. Wenn das Kind volljährig ist, erhalten die Eltern aus Datenschutzgründen keine Informationen. Die ersten Wochen sind für die Eltern brutal.
Was geht emotional in den Eltern vor angesichts der Erkenntnis, dass ihr Kind kriminell ist?
Die Eltern schämen sich ohne Ende. Es sind ja Leute aus der Mittelschicht, die zu uns in die Beratungsstelle kommen, darunter Polizisten, Schulleiter, ganz normale Angestellte. Für sie gab es das Thema Gefängnis nicht. Sie würden niemals einem Nachbarn erzählen, dass ihr Kind im Gefängnis ist, erzählen es häufig nicht einmal in der Familie. Da werden dann bei jedem Familienfest irgendwelche Ausreden erfunden. Wenn die Eltern sich dann nach vielen Monaten und großem Leidensdruck doch öffnen, geht es ihnen besser.
Reagieren Mütter und Väter unterschiedlich?
Die Mütter zeigen sich emotionaler. Psychosomatische Erkrankungen sind bei ihnen häufiger. Die Väter sagen eher, ich will mit dem Sohn oder der Tochter nichts mehr zu tun haben. Sie sprechen selten offen über ihre Gefühle. Wir hatten einen Mann in der Gruppe, der erzählt hat, dass er nachts aufwacht und sich fragt, wo es angefangen hat, dass sein Kind auf das falsche Gleis gekommen ist, wo genau der Zeitpunkt war, wo er möglicherweise etwas nicht mitbekommen hat, wo er anders hätte reagieren müssen.
Kommt diese Frage nach der Schuld, nach einer Mitverantwortung nicht bei allen Eltern?
Ja, die Frage kommt bei allen. Die meisten lernen dann, diese Schuldfrage auf die Seite zu legen. Das „Was wäre gewesen, wenn…?“ ist überflüssig, es ändert nichts an der jetzigen Situation.
Heißt das, die Eltern sollten die Verantwortung abgeben an das Kind?
Viele Eltern, die zu uns in die Gruppe kommen, sagen nach ein paar Monaten oder Jahren: Ich stehe hinter meinem Kind, aber ich stehe nicht hinter der Straftat. Sie sagen, nicht ich wurde straffällig, sondern mein Kind, und nun muss es die Konsequenzen dafür tragen. Ich glaube, das ist eine gesunde Einstellung. Die Eltern geben somit die Verantwortung an ihre Kinder zurück, ohne sie fallen zu lassen.
Man kann dem Kind Unterstützung anbieten, indem man es zum Beispiel während der Inhaftierung regelmäßig besucht. Die Inhaftierten im Gefängnis wissen das sehr zu schätzen. Sie sehen, dass es auch Gefangene gibt, bei denen keiner mehr zu Besuch kommt.
Erleben Sie, dass Eltern straffällig gewordener Kinder von ihrem sozialen Umfeld diskriminiert werden?
In der Regel nicht. Vor allem in der Stadt lebt man anonym, da bekommen Nachbarn oder Kollegen die Situation nicht mit. Allerdings schämen sich die Eltern oft so sehr für ihre Kinder, dass sie niemandem von der Inhaftierung erzählen und sich somit selbst isolieren. Schwieriger ist es auf dem Land, vor allem, wenn es eine Straftat war, die ein öffentliches Interesse geweckt hat, wie es zum Beispiel bei Sexualstraftaten der Fall ist. Das wird dann ein Spießrutenlauf für die Eltern, da ist das soziale Umfeld oft gnadenlos.
Werden die Eltern auf irgendeine Weise in die von der Justiz verhängten Maßnahmen einbezogen, gibt es vielleicht sogar Hilfsangebote für sie?
Die Justiz berücksichtigt die Rolle der Eltern nur, wenn es darum geht, ob jemand Lockerungen bekommt oder ob ein Gefangener vorzeitig entlassen wird. Da wird zum Beispiel genau registriert, ob der Gefangene von seiner Mutter oder seinem Vater oder auch seinem Partner regelmäßig Besuch bekommen hat. Damit wird seine Sozialprognose begünstigt. Wenn es um eine vorzeitige Entlassung geht, können Eltern ihr Kind ebenfalls sehr unterstützen, indem sie ihm bei der Wohnungs- und Arbeitssuche helfen. Ohne festen Wohnsitz kann ein Gefangener nicht vorzeitig entlassen werden.
Angebote der Salesianer Don Boscos und Don Bosco Schwestern für straffällig gewordene Kinder und Jugendliche
Die meisten der Salesianer-Einrichtungen in Deutschland, die in der Jugendhilfe tätig sind, haben auch mit straffällig gewordenen Kindern und Jugendlichen zu tun. Diese werden in der Regel über die örtlichen Jugendämter in die entsprechenden Maßnahmen vermittelt und den Einrichtungen zugewiesen. Zu den Angeboten gehören die Betreuung in (intensivpädagogischen) Wohngruppen und pädagogisch-therapeutischen Intensivgruppen genauso wie die Ableistung von Sozialstunden anstelle von Arrest.
So vermittelt zum Beispiel das Projekt „Lifeline“ des Don Bosco Jugendwerks Bamberg zwischen jungen Straftätern und gemeinnützigen Institutionen, in denen die Jugendlichen ausstehende Zahlungen als Sozialstunden ableisten können. Andere Wege geht das Zentrum für Umwelt und Kultur in Benediktbeuern: Das Projekt „Tagwerk“ gibt straffällig gewordenen Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren die Möglichkeit, anstelle von Arrest oder der Ableistung von Sozialstunden sich intensiv mit ihrer Tat zu beschäftigen; im praktischen Arbeitseinsatz für gemeinnützige Projekte des Naturschutzes und der Umweltbildung können sie außerdem eigene Stärken und Lebensperspektiven für ihre Zukunft entdecken.
In mehreren Einrichtungen der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwestern können junge Straftäter auch direkt Sozialstunden ableisten.