Freundschaft
Sie waren Freundinnen – aber dann kam der Krieg
Unsere Autorin Stefanie Kortmann erlebt gerade mit, wie der Krieg in der Ukraine eine Kinderfreundschaft in Deutschland zerstört. Emily und Lana dürfen sich nicht mehr treffen, Gespräche sind unmöglich. Wie kann das sein?
veröffentlicht am 02.03.2022
Meine Freundin Silke ist sprachlos. Das passiert nicht oft. Und sie ist planlos - das passiert eigentlich nie. Eigentlich steht sie mit Mann, Hund und den zwei Kindern mitten im Leben. Jetzt steht sie da und ist still. Der Krieg in der Ukraine, der eben gefühlt immer noch weit weg schien, ist völlig unerwartet angekommen. In ihrer Familie.
Betroffen ist ihre Tochter Emily. Die Elfjährige schaut ihre Mutter traurig und verstört an. Im Leben des Teenagers ist zuletzt viel passiert, zu viel würde Emily sagen. Die Familie musste wegen Eigenbedarf in eine neue Wohnung ziehen. Emily hat Heimweh nach dem alten Haus. Und dann war da noch dieser Schulwechsel, hinein in eine Klasse, wo sie bislang nicht so richtig Anschluss gefunden hat. Zum Glück hatte sie ihre beste Freundin an ihrer Seite, Lana.
Bisher plauschte man über den Gartenzaun. Aber jetzt ist Krieg
Lanas Eltern kommen aus Russland, leben aber schon viele Jahre in Deutschland. Sie sind integriert, bewohnen ein Eigenheim, plauschen mit den Nachbarn am Gartenzaun. Dass sie sich nicht haben impfen wollen gegen Corona, hat meine Freundin Silke mit einem Achselzucken quittiert: „Das muss man schließlich selbst wissen.“ Nun aber herrscht Krieg in der Ukraine und Russland mit Putin an der Spitze ist der Aggressor, der ohne Rücksicht auf das Völkerrecht Truppen Richtung Kiew schickt.
Zurecht – kommentiert das Lanas Papa, der gerne auch russisches Fernsehen einschaltet. Putin handle richtig. Lana glaubt dem Vater bedingungslos. Sie schreibt Emily, sie solle sich nicht blenden lassen, nicht alles glauben, was westliche Medien berichten. Emily ist, genauso wie mit der Frage zur Corona-Impfung, völlig überfordert. Hat Lana Recht? Ist der Krieg mit irgendwas zu rechtfertigen? Was ist falsch, was ist richtig? Krieg ist grausam, das weiß sie und würde lieber mit Lana auf eine Friedens-Demo gehen, anstatt diese merkwürdigen Textnachrichten zu lesen.
Was tun, wenn man nicht mal mehr miteinander sprechen kann?
Doch Lana bleibt bei ihrer Linie – mehr noch, sie schafft sogar andere Meinungen um sich herum ab. So blockiert sie ihre Freundin auf dem Chat-Portal. Auch in der Schule gibt es nur noch wenig Austausch, die Treffen am Nachmittag finden nicht mehr statt. Gefühlt ist das Ende der Diplomatie erreicht. Traurig und verstört schaut Emily ihre Mutter an. Was nun?
Ich kenne Lana und ihre Familie nicht. Aber ich kenne den sensiblen Charakter von Emily. Und ich verstehe, dass meine Freundin Silke gerade planlos ist. Auch ich habe keinen guten Ratschlag für sie. Wir Christen sollten nach dem Gesetz der Nächstenliebe handeln. Vor diesem Hintergrund sollten wir Frieden stiften wo immer es geht – natürlich mit Worten. Aber wenn Worte nicht mehr ausgetauscht werden können – was dann?
Gute, tragfähige Freundschaften halten auch unterschiedliche Meinungen aus, das musste ich als junger Mensch auch erst lernen. Sich in Argumenten aneinander reiben, Gedanken austauschen, streiten, auch mal unterschiedliche Standpunkte akzeptieren ist nicht immer einfach, aber es geht, wenn beide Parteien es wollen und wenn gleichzeitig die Suche und die Sehnsucht nach Gemeinsamkeiten nicht aufhört. Ein einseitig verordnetes Schweigen aber hält keine Freundschaft aus. Ich wünschte, Emily wäre diese Erfahrung mit gerade mal elf Jahren erspart blieben. Und ich wünsche ihr, dass sie den Mut nicht verliert, auf die Kraft der Freundschaft zu vertrauen. Ihr junges Leben hat gerade erst begonnen, sie wird, wie jeder von uns, gute Gefährten brauchen.