Raum geben
Pufferzonen gegen Hochwasser des Alltags
Angesichts der aktuellen Überschwemmungen und des Umgangs damit stellt Hannes Pernsteiner fest: Hochwasser können auch ein Sinnbild für Stress und Überforderung sein. Wie er und seine Familie versuchen wollen, solchen Situationen vorzubeugen.
veröffentlicht am 25.09.2024
Eine Naturkatastrophe ist ein einschneidendes Erlebnis – für Erwachsene und erst recht für Kinder. Vor wenigen Tagen standen wir als Familie nach einer Woche pausenlosen Starkregens an der über die Ufer getretenen Wiener Donau. Fassungslos und ehrfürchtig starrten wir auf die Wassermassen, die mit nie gesehener Wucht vorbeischossen, allerlei Schwemmgut mit sich trugen und alles mitrissen, was sich ihnen in den Weg stellte. Tagelang herrschte Ausnahmezustand, viele Dörfer, Landstriche und Verkehrswege waren überschwemmt. Auch die Keller einiger Bekannter und Nachbarn wurden überflutet. Die Schäden waren enorm, es gab sogar einige Todesopfer.
Nun wird darüber debattiert, wie sich das Land vor solchen Jahrhundertereignissen schützen kann, die aufgrund des Klimawandels häufiger werden. Ein Ansatz fasziniert mich dabei besonders: die Renaturierung, also das Wieder-Zugestehen von Raum für Flüsse und Bäche. Die Wahrung oder Schaffung von Pufferzonen erlauben dem Hochwasser, sich auszudehnen, was den Abfluss verzögert und die Gefahr mindert. Bei uns um die Ecke gibt es ein solches Überflutungsgebiet: den Nationalpark Donauauen, ein paradiesischer Rückzugsort für Tiere, Pflanzen und unsere Spaziergänge oder Radtouren – solange er nicht, wie kürzlich, unter Wasser steht.
Wenn das Wasser bis zum Hals steht
Hochwasser taugt auch als Sinnbild für menschliche Situationen. Kürzlich zum Schulstart gab es bei uns zuhause viel Stress: Der Neubeginn, das Besorgen von Schulsachen und die Elternabende, dazu mehrere durchgearbeitete Wochenenden in Folge. All das führte dazu, dass meine jüngste Tochter ihre ersehnte Geburtstagsparty nicht feiern konnte – wir hatten weder Zeit noch Kraft dafür. Bald schon wird sich die Situation bei anstehenden Mathe-Klassenarbeiten und Klausuren ähnlich zuspitzen. Diese legen für gut eine Woche viel anderes lahm und führen zu einem Schlafdefizit, weil ich dann wohl wieder bis Mitternacht mit den Kindern über den Aufgaben sitze und versuche, nicht zu verzweifeln.
Natürlich jammere ich auf hohem Niveau, denn es könnte viel schlimmer kommen: Erkrankungen, Unfälle, Pflegebedürftigkeit, Arbeitsverlust und finanzielle Engpässe, Beziehungs- und Erziehungskrisen, Hausbau oder Umzug, und erst recht Migration und Flucht stellen Belastungen ganz anderen Kalibers dar. Dennoch sind es oft nicht die großen Katastrophen, sondern die kleinen Krisen des Alltags, die uns das Gefühl geben, dass uns das Wasser bis zum Hals steht. Wenn sich unerledigte Aufgaben, familiäre Verpflichtungen und Arbeitsdruck auftürmen, kommt es sehr darauf an, ob wir uns davon überwältigen lassen oder einen gelassenen Umgang damit finden.
Verschnaufpausen im Familienkalender
Meine Frau und ich versuchen, wie beim Hochwasserschutz vorzubeugen, statt nur zu reagieren. Es braucht eingeplante Verschnaufpausen im Familienkalender, in denen es nicht um Programm und Leistung geht. Bewusste kleine Pufferzonen, in denen der unvermeidliche „Starkregen“ des Lebens ausdehnen und abfließen kann, ohne dass wir davon gleich überflutet werden. Raum zum Wachsen, für Beziehung und Kreativität. Wir halten uns in diesem Schuljahr die Mittwochabende frei, für besondere Verwendung nach Bedarf. Und ich nehme mir vor, die Wochenenden strikter einzuhalten – mit dem Ausschlaf-, Großeinkauf- und Hausarbeitstag am Samstag und dem für Gott, Familie und Besuche reservierten Sonntag. Dieser Rhythmus tut uns allen gut.