Jugend und Europa
Wie junge Europäer in die Zukunft blicken
Europa steht vor großen Herausforderungen: die wirtschaftliche Situation, die Flüchtlingsfrage, Abschottungstendenzen einiger Länder. Wir zeigen, wie junge Europäer in die Zukunft schauen.
veröffentlicht am 01.01.2018
Die Jugend gibt es nicht. Schon gar nicht, wenn es um junge Menschen aus ganz Europa geht. Aktuelle Umfragen zeigen, wie europäische Jugendliche ticken, welche Träume und Werte sie haben, welche Fragen und Probleme sie umtreiben. Bei einigen Themen sind sie sich relativ einig, bei anderen gibt es große Unterschiede.
So blicken 54 Prozent der jungen Europäer optimistisch in die Zukunft. 43 Prozent sehen ihrem weiteren Leben eher pessimistisch entgegen. Das zeigt die Studie „Generation What?“, an der bis März 2017 europaweit fast eine Million junge Menschen aus 35 Ländern teilgenommen haben. Am meisten Sorgen machen sich die Jugendlichen demnach um die Jobsuche (37 Prozent), die Umwelt (36 Prozent) und das Bildungssystem (27 Prozent). In Deutschland blicken nur 22 Prozent sorgenvoll auf den späteren Beruf, was vermutlich damit zusammenhängt, dass die Jugendarbeitslosigkeit hier so niedrig ist wie in kaum einem anderen europäischen Land. Die jungen Deutschen sorgen sich mehr um ihre finanzielle Situation, bezahlbaren Wohnraum und Renten.
Die Familie ist jungen Europäern wichtig
In ganz Südosteuropa sind Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse und Armut die drängendsten Sorgen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, betont die Studie „Jugendliche in Südosteuropa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. In Italien, Griechenland, Spanien und Frankreich bereitet die berufliche Zukunft jeweils etwa der Hälfte der jungen Menschen Kopfzerbrechen, viele wollen emigrieren. Die anhaltende Abwanderung der geistigen Elite stellt für die Entwicklung dieser Staaten die größte Bedrohung dar.
Die Familie ist jungen Europäern sehr wichtig. Auf die Frage nach Personengruppen, Ereignissen und Dingen, die ihnen im Leben besonders wichtig sind, nannten die Teilnehmer der aktuellen Studie „Junges Europa“, die von der TUI Stiftung in Auftrag gegeben wurde, am häufigsten ihre engere Familie. Es folgten Freunde, Schule/Bildung und Liebe/Sex. Geld wurde nur von der Hälfte der Befragten als besonders entscheidend genannt und landete damit auf Rang sieben. Auf die Frage nach gesellschaftlichen Werten, die für sie eine besondere Bedeutung haben, nannten junge Europäer vor allem Menschenrechte, Frieden und Sicherheit.
Als Kern der Europäischen Union sehen der TUI-Studie zufolge 76 Prozent der jungen Europäer die wirtschaftliche Zusammenarbeit. 70 Prozent betonen den Zusammenschluss von Ländern mit offenen Grenzen, in dem man frei reisen, wohnen und arbeiten kann. 63 Prozent sehen die EU als Friedensbündnis.
Zuwanderung als Bereicherung
Kritik üben junge Europäer vor allem an der fehlenden Formulierung konkreter politischer Ziele und Pläne (37 Prozent), an der Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsländer untereinander (32 Prozent) sowie am Einfluss der EU auf die nationalen Regierungen (31 Prozent).
In der Frage der EU-Mitgliedschaft herrscht große Einigkeit unter jungen Europäern: In allen Ländern würde sich bei einem Referendum eine Mehrheit für den Verbleib ihres Landes in der EU aussprechen. Sogar in Griechenland (52 Prozent) und in Großbritannien (58 Prozent). Deutlich skeptischer sind junge Europäer in der Frage der Mitgliedschaft in der Währungsunion: Nur Deutsche, Franzosen und Spanier votieren mehrheitlich für den Verbleib in der Euro-Zone.
In den Ländern, die sich um einen Beitritt zur Europäischen Union bewerben, unterstützen die meisten Jugendlichen den Integrationsgedanken, so das Ergebnis der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die Studie „Generation What?“ liefert insbesondere Antworten bezüglich der Werte und Ansichten zu unterschiedlichen Themenbereichen. Beim Thema Zuwanderung beispielsweise ist sich das junge Europa extrem einig: In allen Ländern sieht die Mehrheit der jungen Menschen – unabhängig von Alter, Geschlecht und Bildung – Zuwanderung als Bereicherung. 73 Prozent aller Befragten denken, dass Zuwanderung von Menschen aus anderen Ländern die kulturelle Vielfalt im eigenen Land bereichert. Die junge Generation in Deutschland ist im Europavergleich mit 80 Prozent am stärksten dieser Ansicht.
Glücklich werden ohne Gott
Die Politik hat einen sehr schweren Stand im jungen Europa: Nur ein Prozent vertraut ihr völlig und 16 Prozent vertrauen ihr mehr oder weniger. Dem stehen 82 Prozent gegenüber, die kein Vertrauen in die Politik haben (45 Prozent haben „überhaupt keines“ und 37 Prozent haben „eher keines“). Das Vertrauen in die Politik ist dabei keine Frage des Geschlechts, wohl aber der Bildung: Je niedriger die Bildung, desto größer ist das Misstrauen.
Auch religiöse Institutionen haben bei den jungen Europäern ein Akzeptanzproblem: 58 Prozent aller europaweit Befragten haben laut „Generation What?“ überhaupt kein Vertrauen in religiöse Institutionen, weitere 28 Prozent eher kein Vertrauen. In keinem einzigen der befragten Länder finden sich mehr als drei Prozent, die religiösen Institutionen voll vertrauen. Auch der Gottesglaube spielt für das persönliche Glück kaum eine Rolle: 85 Prozent geben an, ohne den Glauben an einen Gott glücklich sein zu können.
"Eine Europäische Union, die in der Bewältigung ihrer Krisen nicht den Sinn dafür wiederentdecken würde, eine einzige Gemeinschaft zu sein, die sich stützt und hilft – und nicht eine Gesamtheit von kleinen Interessengruppen – würde nicht nur vor einer der wichtigsten Herausforderungen ihrer Geschichte versagen, sondern auch eine der größten Chancen für ihre Zukunft verpassen.“
Papst Franziskus im Oktober 2017