Aschau
Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen: „Nicht die Diagnose, sondern der Mensch steht im Vordergrund“
Verlässliche Beziehungen aufbauen und viel Zeit investieren – das sind für den Psychologen Peter Taraba die wichtigsten Grundvoraussetzungen, um junge Menschen mit einer seelischen Beeinträchtigung erfolgreich begleiten zu können.
veröffentlicht am 20.02.2023
Laut der Weltgesundheitsorganisation hat die Corona-Pandemie weltweit zu einem starken Anstieg psychischer Krankheiten bei Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen geführt. Inwiefern ist das auch bei Don Bosco Aschau zu spüren?
Das ist schwer zu beantworten, denn unsere Jugendlichen werden vor allem über die Arbeitsagentur oder die Jugendämter in unsere Einrichtung geschickt. Das bedeutet, dass da schon eine gewisse Vorauswahl besteht. Daher kann ich nicht pauschal sagen, dass beispielsweise Depressionen häufiger auftreten. Aber ich habe den Eindruck, dass die Schwere der psychischen Erkrankungen stark zugenommen hat. Neben Depressionen zählen zu unseren Hauptdiagnosen momentan Angst- und Zwangsstörungen sowie Lerneinschränkungen.
Welche Jugendlichen sind davon vor allem betroffen?
Jugendliche mit Traumata in der Vergangenheit und einer ausgeprägten Dünnhäutigkeit. Wir haben bei uns viele höchst empfindsame junge Menschen, die Mobbing erleben mussten und enorme Schwierigkeiten haben, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten. Sie sind da sehr vorsichtig, machen sich viele Gedanken und brauchen dadurch sehr lang, um Vertrauen zu fassen.
Was benötigen die Jugendlichen in solch einer Situation am dringendsten?
Der amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Irvin Yalom hat einmal gesagt: „Beziehung heilt.“ Genau das ist der Hauptpunkt. Da leisten unsere Erzieherinnen und Erzieher sowie unsere Ausbilder eine unfassbar wichtige Beziehungsarbeit. Sie werden schnell zum ersten Ansprechpartner, Schwester- oder Elternersatz. Aus diesem Grund haben Beziehungsabbrüche aus den unterschiedlichsten Gründen nachhaltig negative Auswirkungen auf die psychische und emotionale Stabilität der Jugendlichen. Vertrauen und Beziehung aufzubauen, benötigt allerdings Zeit. Das ist der zweite wichtige Punkt. Die Jugendlichen sind viel in der Gruppe unterwegs – beim Frühstück, in der Schule, bei der Arbeit. Wir merken bei unseren Einzelgesprächen immer, wie sehr die Jugendlichen den Austausch zu zweit genießen. So wird noch deutlicher: Du bist nicht allein, wir packen das gemeinsam. Gruppenerfahrungen sind wertvoll, aber zuerst braucht es Zeit, um Beziehungen wachsen lassen zu können.
Was macht Don Bosco Aschau hier besonders aus?
Ich glaube, dass dieses Haus für viele Jugendliche tatsächlich ein Ort ist, an dem sie gern sind, weil sie sich willkommen und respektiert fühlen. Sie werden als Person gesehen. Auch für mich als Psychologe spielt die Diagnose teilweise keine Rolle. Es ist zunächst egal, ob derjenige, der vor mir sitzt, eine Lernbehinderung, Depression oder Angststörung hat. Die Diagnose soll nicht im Vordergrund stehen, sondern der Mensch – und jeder dieser jungen Menschen soll bei uns eine tolle Zeit haben und einen schönen Beruf lernen.