Bildung gegen Ausgrenzung

Eine Schule für Musahar-Kinder in Indien

Die Musahar stehen im hinduistischen Kastenwesen noch unter den „Unberührbaren“. Sie werden ausgegrenzt, viele Kinder gehen nicht zur Schule. Die Salesianer sind überzeugt: Nur Bildung kann den betroffenen Familien helfen.

veröffentlicht am 07.06.2020

Der achtjährige Tarik* geht gerne zur Schule. Er hat dort auch Freunde gefunden. Besuchen dürfen ihn seine Freunde zu Hause aber nicht. Tariks Familie gehört zur Kaste der Musahar – in Indien auch als „Rattenesser“ beschimpft. Zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern lebt er in einer winzigen Hütte ohne Strom und Wasser – in einer Siedlung am Rande von Ithari, einer kleinen Stadt im Norden Indiens.

„Das Kastensystem in Indien ist immer noch stark ausgeprägt. Die Kaste bestimmt über das Leben der Menschen. Die Musahar stehen ganz unten im Kastengefüge. Ihre Kinder gehen meistens nicht zur Schule“, sagt Pater Tirkey Melchior, Leiter der Don Bosco Schule in Ithari im Bundesstaat Bihar im Norden des Landes. Und wenn die Jungen oder Mädchen in die staatliche Schule gingen, würden sie meistens beschimpft und ausgegrenzt. Und das, obwohl seit 1950 kein Inder mehr wegen seiner Kaste diskriminiert werden darf. So steht es in der indischen Verfassung.

Die Don Bosco Schule besuchen auch Kinder der Musahar. „Es steckt immer viel Überzeugungsarbeit dahinter, die Familien zu bewegen, ihre Kinder in die Schule zu schicken“, so Pater Melchior SDB. Deshalb gingen die Sozialarbeiter auch jeden Tag in die Musahar-Siedlung, nur wenige Meter von der Einrichtung entfernt. Zurzeit kommen zwei Jungen der Musahar-Gemeinschaft zu Don Bosco.

Einer davon ist Tarik. Seine vier älteren Geschwister haben noch nie eine Schule besucht. „Wir sind sehr arm und können deshalb nicht alle unsere Kinder in die Schule schicken“, sagt der 45-jährige Vater Deepak Kumar, der als Tagelöhner arbeitet. An manchen Tagen müsse die Familie sogar ohne etwas zu essen ins Bett. „Wir finden es wichtig, dass wenigstens unser jüngster Sohn zur Schule geht. Und wir hoffen, dass er dann später auch eine gute Arbeit findet. Dann kann er die ganze Familie unterstützen. Wir wollen einfach leben wie andere Menschen auch: eine Arbeit, ein Haus und Geld haben.“

Fehlende Unterstützung durch den Staat

„Die Kinder können nicht in die Schule, weil es ihnen an allem fehlt. Sie haben keine Kleidung, Bücher oder Stifte“, sagt die Sozialarbeiterin Sonia Meeza Devi. Täglich besucht sie die Dorfgemeinschaft der Musahar in Ithari. Teilweise werden die Kinder auch auf dem Dorfplatz unterrichtet.

Tariks Familie lebt in einer kleinen Hütte ohne Fenster. Zum Schlafen legen sich alle auf den harten Hüttenboden. Ein winziges Moskitonetz schützt sie im Sommer vor den gefährlichen Mückenstichen. Der einzige Luxus der Familie ist ein Reiskocher, Möbel besitzen sie keine. In der Siedlung gibt es keine Toiletten und auch keine medizinische Versorgung.

Die Musahar ernähren sich von Abfällen und Ernteresten. „Wenn der Weizen geerntet wird, dann holen sich die Familien üblicherweise die Getreidereste, die auf dem Feld liegen bleiben. Sie besitzen selber kein Land und können auch nichts anbauen. Manche Familien müssen auch Ratten essen, weil sie sonst nichts zu essen haben“, bestätigt Pater Melchior.

Durch die schlechten Lebensbedingungen werden die meisten nur 45 bis 50 Jahre alt. Sie leiden unter Mangelernährung und haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Musahar haben kein Land oder Besitz – sie sind extrem arm. Die Männer arbeiten meistens als Tagelöhner oder Feldarbeiter. Sie leben in Siedlungen am Rande von Dörfern ohne Strom und Wasser und unter menschenunwürdigen Bedingungen. Fast alle können weder lesen noch schreiben. Auch die Förderprogramme der Regierung konnten nichts an der Situation ändern. Das traditionelle Kastensystem festigt diese sozialen Ungerechtigkeiten. Die einzige Möglichkeit, den Kreislauf zu durchbrechen, sei Bildung, ist Pater Melchior überzeugt. Deshalb sei es wichtig, dass wenigstens Tarik zur Schule gehen könne. Die Kinder erhielten von Don Bosco Bücher, Hefte, Stifte und ein Mittagessen.

In einer Musahar-Siedlung in Dhansoi in der Nähe von Buxar arbeitet Don Bosco eng mit den Missionary Sisters of the Immaculate Heart of Mary (ICM) zusammen. Die Schwestern unterrichten die Kinder auf dem Dorfplatz. Die Jungen und Mädchen sollen so auf die reguläre Schule vorbereitet werden. Die Kinder lernen mit Begeisterung. Doch wenn sie auf die staatlichen Schulen wechseln, möchten viele Kinder lieber zu Hause bleiben. Sie werden dort beschimpft, bespuckt und ausgegrenzt.

Auf Ämter gehen – Rechte einfordern

„Das Hauptproblem ist, dass die Familien kein Einkommen haben. Sie erhalten keinerlei finanzielle Unterstützung“, betont Kunti Devi, die so etwas wie die Vorsteherin der Siedlung ist. Seit drei Jahren kümmert sich die 50-Jährige um die Belange der Familien, die in einem Feuchtgebiet umgeben von Wasser und Schlamm leben.

Die selbstbewusste Frau kann nicht lesen und schreiben. Trotzdem geht sie auf die Ämter und fordert die Rechte der Familien in ihrer Siedlung ein. Hierbei wird sie von den Don Bosco Sozialarbeitern und den Schwestern unterstützt. Das macht ihr Mut. Auch an Schulungen hat sie teilgenommen. Die Lebensbedingungen der Familien sollen sich verbessern und ihre Grundbedürfnisse gestillt werden: Dazu zählen Essen und Trinken, medizinische Versorgung, sauberes Wasser und der Zugang zu Bildung. Dafür setzt sich die selbstbewusste Kunti Devi jeden Tag ein. Die täglichen Diskriminierungen als „Rattenesserin“ können ihr nichts mehr anhaben. „Ich weiß heute, dass ich erst mal ein Mensch
bin – egal, wie die anderen mich betiteln.“    
 
*Name geändert

Mehr Informationen über die Arbeit der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwestern in Indien bei Don Bosco Mission Bonn, Don Bosco Mission Austria und der Missionsprokur der Don Bosco Schwestern.


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