Interview

Ukraine-Hilfe: „Kein Sprint, sondern ein Marathon“

Das Don Bosco Netzwerk konnte sofort nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine aktiv werden. Wie das gelang und warum die Fachleute sich von Anfang an auf langfristige Hilfsmaßnahmen einstellten, erklärt Nothilfekoordinatorin Silvia Cromm.

veröffentlicht am 23.05.2022

Don Bosco hilft vor Ort in der Ukraine, an den Grenzen sowie in den benachbarten Ländern. Und auch in salesianischen Einrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz werden Geflüchtete aufgenommen. Wie erleben Sie das Don Bosco Netzwerk in solch einer außerordentlichen Krisensituation?
Es erweist sich einmal mehr als Segen, dass die Salesianer Don Boscos an so vielen Orten präsent sind. Dadurch, dass wir in Polen sehr stark vertreten sind, in Moldawien, Rumänien und in der Slowakei Einrichtungen haben, konnten wir sofort effiziente Hilfe leisten. Alle Sachspenden können wir direkt in die Ukraine liefern, weil unsere polnischen Partner diese Hilfe organisieren und die entsprechende Logistik aufgestellt haben. Das ist schon ein sehr starkes Netzwerk mit einem Koordinationsteam, das die Ordensmänner und Don Bosco Schwestern unterstützt. Das Team steht zudem mit dem Bischof in Kyiv, Witalij Krywyzkyj, in Kontakt, der ebenfalls Salesianer Don Boscos ist.

Wie sehen Ihre Absprachen mit Pater M. C. George Menamparampil aus, der vom Generalat in Rom aus alle Don Bosco Hilfsmaßnahmen international im Blick behält?
Wir stehen im regelmäßigen Austausch und die Zusammenarbeit läuft sehr gut. Alle Don Bosco Nichtregierungsorganisationen sowie die Missionsprokuren in Europa stimmen sich gut ab, damit die Hilfen gerecht verteilt werden. Wir kontrollieren auch gemeinsam, dass nicht alle Spenden bereits in den ersten drei Wochen ausgegeben werden. Wichtig ist, dass wir längerfristig planen – mindestens für sechs Monate.

Die akuten Hilfen sind wichtig. Aber die Langzeitfolgen bleiben bei einem Krieg natürlich nicht aus. Wie will Don Bosco den Betroffenen, vor allem auch den Kindern und Jugendlichen, zur Seite stehen?
Für uns war von Anfang an klar, dass das kein Sprint, sondern ein Marathon sein wird. Wir müssen uns auf eine längere Zeit der Hilfe einstellen. Bei den Kindern und Jugendlichen ist es uns wichtig, dass sie möglichst bald wieder so etwas wie einen normalen Alltag haben. Uns ist daran gelegen, für sie ein kindgerechtes Umfeld zu schaffen. Dazu gehört unter anderem, dass die Kinder schnell wieder in die Schulbildung der Gastländer integriert werden. Ich sage bewusst „integriert“, denn es geht nicht nur darum, Aufnahme zu leisten, sondern Kinder mit anderen Kindern in Kontakt zu bringen.

Viele Kinder und Jugendliche sind traumatisiert. Da braucht es natürlich auch eine entsprechende psychologische Begleitung und Seelsorge. Meistens fliehen nur Mütter, Großmütter und Kinder vor dem Krieg und ihre Männer und Väter müssen zu Hause bleiben. Daraus ergeben sich noch einmal ganz andere Sorgen und Ängste, die man den Frauen und Kindern nicht einfach nehmen kann. Da ist also eine enge seelsorgerische Betreuung notwendig, auf die wir auch einen Fokus legen.

Sie sind bei Ihrer Arbeit jeden Tag mit großer Not konfrontiert. Welche Momente gehen Ihnen besonders nahe?
In Lviv gibt es ein Familienhaus für Waisenkinder und ein großes Berufsbildungszentrum für Jugendliche. Diese Einrichtung haben wir von Bonn aus seit mehr als zehn Jahren regelmäßig unterstützt und auch viel mitaufgebaut. Seit Kriegsausbruch stehen wir mit diesen Partnern per WhatsApp täglich in Kontakt. Wir haben zum Beispiel auch kleine Videos bekommen, als die Kinder in die Schutzkeller mussten. Das ging mir sehr nahe, zu sehen, wie die Kinder ganz still an ihre Schränke gegangen sind und ihre Rucksäckchen gepackt haben. Da hat es mir den Magen umgedreht.

Was sind für Sie trotz allem Zeichen der Hoffnung?
Die Kinder aus dem Familienhaus in Lemberg konnten in die Slowakei evakuiert werden. Sie wurden teils in Familien und teils in salesianischen Einrichtungen aufgenommen. Ein Hoffnungszeichen. Und was mir in meiner Arbeit wirklich hilft, ist die große Hilfsbereitschaft. Wir werden täglich von sehr vielen Menschen kontaktiert, die sich solidarisch zeigen und etwas tun wollen. Sehr viele unserer Förderer haben sich gemeldet und Hilfe angeboten. Das macht natürlich Mut. Und das ermöglichte uns auch, schnelle Zusagen für die ukrainischen Partner machen zu können. Schon am zweiten Tag nach Kriegsausbruch konnten wir zum Beispiel Medikamente bestellen, weil wir auf das Geld zählen konnten. Es hilft also enorm, zu merken, dass die Not und die Angst zwar groß sind, aber die Hilfsbereitschaft ist genauso groß. Das gibt Hoffnung und macht Mut.

Silvia Cromm

Silvia Cromm ist Geschäftsführerin bei Don Bosco Mondo und Leiterin Programme und Projekte von Don Bosco Mission Bonn und Don Bosco Mondo. Als Nothilfekoordinatorin hält sie den Kontakt zu den Partnern in der Ukraine und verantwortet die Kommunikation zu Spendern und Förderern. Dies alles in enger Absprache mit der weltweiten Zentrale der Salesianer Don Boscos in Rom.

Danke für Ihre Unterstützung!

Jede Hilfe zählt. Informationen zu den Spendenkonten erhalten Sie auf den Websites von:

Don Bosco Mission Bonn
Don Bosco Mission Austria
Missionsprokur der Don Bosco Schwestern
Don Bosco Jugendhilfe Weltweit


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