Vielfalt anerkennen

Gender und Diversity in der Erziehung: 6 Tipps für Eltern

Ob als Mutter, Vater, Mann oder Frau – gesellschaftliche Rollen und geschlechtliche Zuschreibungen prägen unseren Alltag und gehen jeden etwas an, findet die Osnabrücker Pädagogin Melanie Kubandt. Ihre Empfehlungen für einen entspannten Umgang damit.

veröffentlicht am 02.08.2023

1. Eigene Vorurteile wahrnehmen und ihnen mit Wissen begegnen

Wir alle handeln stereotyp und haben unsere Vorurteile. Das ist ganz normal. Es ist wichtig, dass wir das anerkennen, ernst nehmen und dann schauen, wie den Vorurteilen begegnet werden kann. Da hilft tatsächlich Wissen. Wenn man versteht, was mit bestimmten Begrifflichkeiten gemeint ist, welche Lebensgeschichten dahinterstecken, ändert das die Sichtweise.

2. Überprüfen, welche Stereotypen bedient und weitergegeben werden

Vorurteile sind häufig tradiert und passieren (oft unbewusst) durch Interaktionen. Das fängt schon beim Loben an. Mädchen werden oft für Äußerlichkeiten gelobt, Jungen für Leistungen. Die Kinder erhalten dadurch die Botschaft, dass sie schön oder gut sein müssen. Jungs dürfen meist auch wilder spielen, weil die stereotype Annahme ist, dass sie mehr Bewegung brauchen als Mädchen. Dabei brauchen alle Kinder Bewegung. Eltern sollten sich also selbst hinterfragen, wie sie ihren Kindern gegenüber agieren und welche Haltungen sie damit transportieren. Noch ein Beispiel: Warum streichen Eltern das Mädchenzimmer rosa und das Jungenzimmer blau? Historisch gesehen war die Farbwahl genau anders herum: Rosa war für die kleinen Thronfolger vorgesehen, hellblau war durch die Gottesmutter Maria, die oft mit einem hellblauen Mantel dargestellt wurde, weiblich geprägt und stand für Tugendhaftigkeit, Jungfräulichkeit und Zartheit. Zuschreibungen verändern sich kulturell und geschichtlich. Das hat viel mit kollektiven Vorstellungen von Geschlecht zu tun und in der Regel nichts mit dem einzelnen Kind.

3. In der Sprache Geschlechter sichtbar machen

Sprache beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen. Das trifft besonders auf Kinder zu. Daher rate ich, nicht nur von der männlichen Form im Plural zu sprechen, denn Kinder meinen dann, dass dieser Beruf, diese bestimmte Rolle wirklich nur auf Männer zutrifft. Ich empfehle Eltern mindestens die zweigeschlechtliche Form – also beispielsweise Schülerinnen und Schüler oder Erzieherinnen und Erzieher. Das schafft Sichtbarkeit. Den Ansatz der genderneutralen Sprache, um Diskriminierungen zu vermeiden, kann ich verstehen, aber für mich schafft das wiederum Unsichtbarkeiten, die ich gerade bei Kindern als schwierig empfinde.

4. Über andere Lebensformen ins Gespräch kommen

Bei „Diversity“ denken viele automatisch an Sexualität und haben Bedenken. Doch gerade für Kinder ist das die falsche Perspektive. Einen geeigneteren Anknüpfungspunkt, um sich dem komplexen Thema kindgerecht zu nähern, bieten schöne Kinderbücher, in denen andere Familienkonstellationen – zum Beispiel mit zwei Mamas oder zwei Papas – vorgestellt werden oder die thematisieren, dass man sich geschlechtlich vielleicht nicht dazugehörig fühlt. Über solche Geschichten kann man mit Kindern wunderbar darüber ins Gespräch kommen, dass es auch andere Lebensformen gibt – ohne das automatisch sexualisieren zu müssen.

5. Freiräume und eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen

Kinder sollen die Möglichkeit bekommen, sich frei zu entfalten. Dafür ist es wichtig, dass Eltern Eigenschaften nicht gendern und kollektive Bilder nach dem Muster „Mädchen sind so, Jungen so“ vermeiden. Stattdessen sollten Eltern ihre Kinder immer wieder darin bestärken, dass sie so sein dürfen, wie sie sind. Das schafft Vertrauen und ermutigt das Kind, falls es sich später selbst nicht in seiner Geschlechtszuschreibung sicher fühlen sollte, darüber ohne Angst mit den Eltern zu reden.

6. Mit gutem Beispiel vorangehen

Kinder bekommen viel mehr mit, als wir Erwachsenen gemeinhin denken. Daher ist die Vorbildfunktion von Eltern immens wichtig. Das bedeutet: Wenn Eltern mit den Themen „Gender“ und „Diversity“ offen umgehen und unterschiedliche Lebensmodelle anerkennen, wird sich das in der Regel auch auf die Kinder übertragen. Wenn andere Menschen diskriminiert werden und Eltern das thematisieren oder sich für andere einsetzen, wenn diese ausgegrenzt werden, bewirkt das auch viel bei den Kindern.

Portrait Melanie Kubandt

Melanie Kubandt ist Diplom-Pädagogin mit Schwerpunkt Elementarpädagogik und Professorin für Didaktik der Sozialpädagogik an der Universität Osnabrück. Davor war sie lange Jahre Juniorprofessorin für Gender und Bildung an der Universität Vechta. Sie hat zur Relevanz von Gender im Feld der frühen Kindheit promoviert.

Buchempfehlungen von Melanie Kubandt

  • „Der Junge im Rock“ von Kerstin Brichzin (minedition)
  • „Familie – Das sind wir!“ von Felicity Brooks (Usborne)
  • „Märchenland für alle“ von Boldizsár M. Nagy (DK Verlag)
  • „Onkel Bobby’s Hochzeit“ von Sarah S. Brannen (Zuckersüß Verlag)

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