Ratgeber

Wie Eltern ihr Kind unterstützen können, sich besser zu konzentrieren

Konzentration braucht Willenskraft – und die muss wie ein Muskel trainiert werden, sagt Fabian Grolimund. Der Schweizer Psychologe und Lerncoach erklärt anhand typischer Situationen, wie Eltern ihren Kindern helfen können, sich zu fokussieren.

veröffentlicht am 03.05.2024

Situation 1: Stress bei den Hausaufgaben

Der neunjährige Sohn muss Schreiben und Rechnen üben, rutscht aber ständig auf dem Stuhl hin und her, starrt Löcher in die Luft und kommt einfach nicht voran. Was können die Eltern tun, damit sich ihr Kind besser konzentrieren kann?

Fabian Grolimund: Sinnvoll finde ich, wenn die Eltern die Hausaufgaben gleich zu Beginn mit dem Kind planen. Das bedeutet, dass Mama oder Papa gemeinsam mit dem Kind schauen, was gemacht werden muss, und abklären, ob das Kind die Aufgabenstellung versteht. Danach sollten die Hausaufgaben – je nach Alter des Kindes – in kleine Portionen aufgeteilt werden. Das erste Ziel könnte zum Beispiel sein, in den nächsten 15 Minuten fokussiert das Arbeitsblatt in Mathe zu machen. Anschließend wird eine Pause von fünf Minuten vereinbart. In der Pause wäre es gut, wenn sich das Kind nicht in etwas Anderes vertieft, sondern seinem Gehirn wirklich Ruhe gönnt. Es kann etwas essen und trinken, aus dem Fenster schauen und seine Gedanken schweifen lassen oder sich kurz bewegen. Danach geht es weiter. Nach zwei Lerneinheiten kann eine längere Pause eingelegt werden.

Generell sollten Eltern immer darauf achten, dass die Hausaufgaben in einem angemessenen Zeitrahmen bleiben. Wenn das Kind den ganzen Nachmittag für die Hausaufgaben braucht, würde ich zu einem Gespräch mit der Lehrkraft raten. Eine sinnvolle Abmachung könnte zum Beispiel sein, dass das Kind abbrechen darf, wenn es die durchschnittlich „normale“ Zeit für Hausaufgaben konzentriert absolviert hat, aber trotzdem noch nicht fertig ist. Gerade in der Grundschule ist es viel wichtiger, dass die Kinder eine gute Arbeitshaltung aufbauen, als dass sie jedes Arbeitsblatt erledigen. Wenn das Kind das Gefühl hat, dass ihm am Nachmittag sowieso keine Freizeit mehr bleibt, stellt es gleich auf einen Energiesparmodus um. Wenn das Kind allerdings weiß, dass die Hausaufgaben keinesfalls länger als 30 Minuten dauern werden, arbeitet es oft viel schneller und konzentrierter.
 

Situation 2: Unliebsame Hobbys

Die zwölfjährige Tochter wollte unbedingt Klavier lernen. Doch jetzt sträubt sie sich, regelmäßig zu üben. Wie können die Eltern sie dazu motivieren, auch beim Lernen eines Instrumentes eventuelle Durststrecken auszuhalten und konzentriert bei der Sache zu bleiben?

Fabian Grolimund: Natürlich können Eltern ihre Kinder motivieren, die eine oder andere Durststrecke auszuhalten. Das gehört in gewisser Weise mit dazu. Allerdings sollten sich Eltern grundsätzlich die Frage stellen: Warum wollen sie, dass ihr Kind ein Instrument lernt? Geht es nur darum, durchzuhalten und einmal im Jahr beim Vorspiel die Eltern stolz zu machen, oder soll das Kind wirklich Spaß am Musizieren haben? Statt ständig zu fragen, ob die Tochter schon geübt hat, und sie zu ermahnen, doch dranzubleiben und wenigstens zehn Minuten durchzuhalten, könnten die Eltern einfach mit Freude zehn Minuten zuhören oder gar selbst mitspielen, wenn sie ein Instrument beherrschen.

Für manche Eltern ist selbst das Erlernen eines Instrumentes eine willkommene Möglichkeit, um seinem Kind Disziplin und Konzentration beizubringen und es für sein späteres Leben leistungsfähiger zu machen. Darum sollte es bei Musik aber nicht gehen.

Situation 3: Die lästige Morgenroutine

Morgens muss es schnell gehen, damit alle rechtzeitig aus dem Haus sind. Doch Kinder haben oft ein anderes Tempo und wollen zuerst noch ein Bild zu Ende malen oder einen umgestürzten Legoturm neu aufbauen. Was können Eltern tun, damit die Kinder sich auf das Wesentliche konzentrieren und bei der Routine mitmachen?

Fabian Grolimund: Weniger reden. Wenn Eltern ständig „Konzentrier dich!“ oder „Beeil dich!“ sagen, fangen die Kinder an, die Erwachsenen auszublenden. Im Allgemeinen ist Druck etwas, das gar nicht hilft. Gerade Kinder, die ein wenig zum Tagträumen neigen, ziehen sich unter Druck in ihre Innenwelt zurück.

Was die Kinder benötigen, ist Struktur. Bei kleineren Kindern hilft es zum Beispiel, ihnen die Kleider in der Reihenfolge hinzulegen, in der man sie anzieht. Manche Eltern machen auch einen Kleiderparcours. Das bedeutet, dass sie die Unterhose neben das Bett legen, die Socken auf die Türschwelle und das T-Shirt in den Flur. So kann sich das Kind anziehen und gleichzeitig zum Esstisch kommen. Es geht also darum, das Kind durch die Morgenroutine zu führen und nicht ständig Anweisungen in immer lauterem Tonfall zu geben.

Porträt Fabian Grolimund

Fabian Grolimund ist Psychologe und war als Kind selbst sehr verträumt. In der ersten Klasse weigerte er sich standhaft, auch nur einen Buchstaben zu lesen. Mit seiner Kollegin Stefanie Rietzler, mit der er die Akademie für Lerncoaching in Zürich leitet, hat er das Kinderbuch „Lotte, träumst du schon wieder?“ geschrieben – für Grundschulkinder und Eltern, die erfahren möchten, wie man sich beim Lernen besser organisiert und konzentriert, wie man den eigenen Stärken auf die Spur kommt und warum auch Träumen wertvoll ist.

6 Tipps von Fabian Grolimund, wie Eltern die Konzentration ihrer Kinder fördern können

  1. Sich gemeinsam mit dem Kind auf etwas konzentrieren. Das ist vor allem in der frühen Kindheit wichtig. Zusammen ein Bilderbuch anschauen, sich Zeit für ein Gespräch nehmen, etwas draußen in der Natur beobachten – das trainiert die Konzentration auf ganz ungezwungene Weise.
  2. Den Kindern erklären, was Konzentration überhaupt heißt. Sonst bleibt das oft abstrakt und die Kinder wissen gar nicht genau, was von ihnen verlangt wird.
  3. Reizwörter vermeiden. Sätze wie „Konzentrier dich!“ oder „Pass bitte auf!“ hören Kinder meistens gar nicht gerne. Hilfreicher wäre, das Kind in Phasen zu „erwischen“, in denen es konzentriert ist und ihm das zurückzumelden. Das fördert die Motivation und stärkt die Beziehung und Selbstwirksamkeit.
  4. Ziele setzen. Verträumte Kinder brauchen beim Lernen Struktur. Bei den Hausaufgaben kann das konkret so aussehen, dass sich das Kind vornimmt, die nächsten zehn Minuten fünf Vokabeln zu lernen. Dann gibt man ein Startsignal und nach diesen zehn Minuten wird eine bewusste Pause eingelegt.
  5. Durch Achtsamkeitstrainings üben, wie man die Aufmerksamkeit immer wieder zurückholen kann, wenn man abschweift. Das funktioniert zum Beispiel, indem man sich auf seine Atmung konzentriert. Unweigerlich – das ist auch bei Erwachsenen so – werden die Gedanken nach ein paar Sekunden abdriften. Jetzt geht es darum, das zu registrieren und die Aufmerksamkeit wieder auf die Atmung zu lenken. Das ist tatsächlich eine Frage des Trainings und kann später auch auf andere Situationen übertragen werden.
  6. Nicht den ganzen Alltag der Kinder verplanen. Kinder brauchen Zeit zum Spielen und zum Ausruhen. Das bewusste Fokussieren auf eine Aufgabe ist anstrengend. Wenn wir dauernd von Kindern verlangen, dass sie sich konzentrieren, ermüden sie und können einfach nicht mehr. Schule, Nachmittagsbetreuung, Hobby – oft ist der Tagesablauf von Kindern so durchgetaktet, dass sie sich auf nichts Eigenes einlassen können. Sie müssen viel zu viel funktionieren. Da kommen viele Kinder an ihre Grenzen. Kinder brauchen ihre eigenen Freiräume, dann können sie Phasen der Konzentration auch besser bewältigen.

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