Persönlichkeitsentwicklung

Warum besonders bei Pflegekindern der Bindungsaufbau so wichtig ist

Pflegekinder hatten meist nicht das Glück, in eine fürsorgliche Umgebung hineingeboren zu werden. Sie brauchen ein Gegenüber, das sie vorbehaltlos annimmt. Nur so können sie gestärkt ins Leben gehen, erklärt die Systemische Therapeutin Petra Horstmann.

veröffentlicht am 25.10.2022

Pflegeeltern müssen gut gewappnet sein, denn Pflegekinder tragen bereits in sehr frühen Jahren ein schweres Paket an belastenden Erfahrungen mit sich. Inwiefern gelingt es da, eine Bindung aufzubauen? Und wieso ist das so wichtig?
Das gelingt insbesondere dann, wenn die Kinder früh in die Pflegefamilie kommen. Denn je länger Kinder traumatischen Erfahrungen in der Herkunftsfamilie ausgesetzt gewesen sind, umso mehr entwickeln sie ein inneres Arbeitsmodell von Bindung, das einer Angst-Bindung entspricht und nichts mit Schutz und Sicherheit zu tun hat. Wenn Babys auf die Welt kommen, bringen sie sozusagen einen Bindungsreflex mit. Sie sind hilflos und müssen sich binden – auch an vernachlässigende und misshandelnde Eltern. Doch der Preis dafür ist hoch: Um Ohnmachtsgefühle und Angst abzuwehren, identifizieren sie sich mit den Aggressoren, idealisieren diese und entwickeln von sich ein Selbstbild als nicht liebenswertes und böses Kind. In der Pflegefamilie können die Kinder korrigierende Erfahrungen machen und ein neues Modell von Bindung entwickeln. Das ist so wichtig, da eine sichere Bindung unser Selbstvertrauen und unsere Sozialkompetenz stark beeinflusst. Die Kinder bekommen so die Möglichkeit, später mit einem positiven Lebensgefühl in der Welt unterwegs zu sein.

Mit welchem Verhalten können Pflegeeltern diesen Bindungsaufbau fördern?
Die Kinder brauchen Eltern, die feinfühlig sind, das heißt, Eltern, die die Signale des Kindes wahrnehmen, diese richtig interpretieren und prompt und adäquat darauf reagieren. Auch sollten die Pflegeeltern das, was ihnen von den Kindern an Emotionen entgegengebracht wird, nicht persönlich nehmen, sondern versuchen, den Gesamtkontext zu sehen. Das hat mit einer Haltung zu tun, die Konzept des guten Grundes genannt wird. Egal, welche Verhaltensweise die Kinder an den Tag legen, alles hat in der Regel gute Gründe und viel mit den früheren (Beziehungs-)Erfahrungen zu tun. Viele Kinder haben beispielsweise massive Vernichtungs- und Verlustalbträume. Da ist es wichtig, die Ängste des Kindes nicht kleinzureden, sondern es dabei zu unterstützen, seine Gefühle zu verbalisieren und diese vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen verstehen zu lernen. Denn oft denken die Kinder ja von sich selbst, dass sie irgendwie verrückt sind, weil sie anders als andere Kinder reagieren oder oft ausflippen. Da ist es gut, wenn man ihnen zeigt: Du bist nicht verrückt, du bist normal. Aber es ist nicht normal, was du erlebt hast.

Egal, ob Pflegefamilie oder Wohngruppe: Dieser Bindungsaufbau zu Pflegeeltern oder Erziehern ist immer entscheidend, oder?
Genau. Auch in einer Wohngruppe sollte es in jedem Fall um Bindungsaufbau gehen, auch wenn die Rahmenbedingungen dort andere sind. Eine sichere Bindung bietet uns einen besseren psychischen Schutz und ein stabiles Fundament für eine gute Persönlichkeitsentwicklung. Wir können widerstandsfähiger gegenüber Belastungen sein und haben eine bessere Selbstregulierung, die diesen Kindern oft fehlt. Selbstregulierung können wir nur lernen, wenn wir ein feinfühliges Gegenüber haben, das unsere Gefühle spiegelt und uns unterstützt. Und diese herausfordernde und gleichzeitig so wertvolle Arbeit wird von vielen Pflegeeltern oder Erziehern geleistet.

Petra Horstmann

Petra Horstmann (57) aus Münster ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und begleitet als Systemische Therapeutin Adoptiv- und Pflegeeltern. Als Mutter eines Pflegekindes, das mittlerweile volljährig und adoptiert ist, kann sie zudem aus einem großen persönlichen Erfahrungsschatz schöpfen.


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