Ernährung
Ich bin jetzt Vegetarierin!
Die Tochter unserer Autorin isst seit vier Jahren kein Fleisch mehr. Was anfangs eine Umstellung für die Familie war, ist inzwischen ganz normal. Die 15-Jährige würde sich wünschen, dass noch mehr Menschen ihren Fleischkonsum wenigstens überdenken.
veröffentlicht am 12.08.2021
Zwei Gerichte sind es, bei denen Luise sich bis vor Kurzem zusammenreißen musste: Frikadellen und Weißwürste. Wenn es die gab, konnte es vorkommen, dass sie in die Küche kam und schwärmte: „Das riecht so gut!“ Diese Speisen nicht zu essen, fiel ihr schwer. Inzwischen ist auch das kein Problem mehr.
Meine Tochter Luise ist 15 Jahre alt. Kurz vor ihrem elften Geburtstag beschloss sie, ab sofort kein Fleisch mehr zu essen. Sie wollte das einfach einmal ausprobieren. Zudem hatte sie immer noch die Bilder aus einem Schlachthof im Kopf, die sie einmal in einer Fernsehdokumentation gesehen hatte und die sie nachhaltig beeindruckt hatten. Seitdem isst sie konsequent vegetarisch.
Für meinen Mann und mich kam die Ankündigung überraschend. Und ehrlich gesagt haben wir nicht damit gerechnet, dass unsere Tochter sehr lange bei ihrer Entscheidung bleiben würde. Dass sie als Einzige in unserer Familie, in der zwar selten, aber doch immer wieder Wurst, Fleisch und Fisch auf den Tisch kommen, ganz darauf verzichten würde, konnten wir uns nicht vorstellen. Wir dachten, früher oder später würde sich das Thema von selbst erledigen.
Veränderte Einkaufslisten
Doch zunächst war es ein Thema. Denn ab diesem Moment mussten wir beim Kochen immer darauf achten, dass auch Luise die Gerichte essen „konnte“, oder dass zumindest, wenn es Fleisch gab, eine Alternative für sie dabei war. Diese neuen Bedingungen veränderten unsere Menüplanung und unsere Einkaufslisten. Wenn es Fleischpflanzerl gab, wie die Frikadellen bei uns heißen, bekam Luise ein vegetarisches Ersatzprodukt. Waren in einem Salat gebratene Speckwürfel vorgesehen, servierten wir sie in einem extra Schüsselchen. Noch häufiger als sonst gab es vegetarische Gerichte für alle. Nachdem ich ohnehin eine leidenschaftliche Neue-Gerichte-Testerin bin, habe ich mich gerne in neue Rezepte eingelesen und neue Zutaten ausprobiert. Vegetarische Bolognese mit Räuchertofu gehörte zu diesen Entdeckungen oder auch ein spezieller Tortellini-Auflauf. Wir haben pflanzliche Wiener gekauft und Scheibenwurst auf Sojabasis. Auch normale Gummibärchen wollte Luise nicht mehr essen, sondern nur noch welche ohne Gelatine.
Dass auch wir Eltern und unser Sohn, damals neun Jahre alt, unsere Ernährung komplett auf Vegetarismus umstellen würden, kam nicht infrage. Aber Luises Entscheidung hat uns zum Nachdenken gebracht. Wie stehen wir selbst dazu, dass Tiere getötet werden, damit wir sie essen können? Wie gehen wir mit den problematischen Zuständen in der Tierhaltung um? Brauchen wir wirklich Fleisch? Warum wollen wir nicht darauf verzichten? Immer wieder haben wir mit den Kindern über diese Fragen diskutiert. Und im Rückblick würde ich schon sagen, dass wir noch weniger und noch bewusster Fleisch und Fisch einkaufen als zuvor. Auch wenn es manchmal etwas Überwindung kostet, statt nach der Billig-Hühnerbrust zu dem dreimal so teuren Bio-Fleisch zu greifen. Andererseits wird uns anhand dieser Preisunterschiede immer wieder bewusst, was Tierfleisch wirklich wert ist.
Was Luises Ernährung angeht, wollten wir natürlich keine Fehler machen. Also haben wir uns informiert, was im Falle einer vegetarischen Ernährung bei Kindern und Jugendlichen zu beachten ist, welche Probleme auftreten können, welche Nährstoffe ihr möglicherweise fehlen und wie diese durch andere Lebensmittel ersetzt werden können. Um Eisenmangel vorzubeugen, setzen wir unter anderem auf Nüsse und Hülsenfrüchte. Generell versuchen wir, darauf zu achten, dass unsere Tochter ausreichend Obst und Gemüse, Proteinträger und Kohlenhydrate zu sich nimmt und sich insgesamt gesund ernährt (siehe Buchtipp unten)
Ob das Kind Probleme hat?
Auch soziale und psychologische Aspekte nahmen wir in der Anfangszeit in den Blick. Schließlich hört man immer wieder, dass Jugendliche in der Pubertät besonders gefährdet sind, Essstörungen zu entwickeln. Konnte es sein, dass Luise sich mit ihrem Körper nicht wohlfühlte? Wollte sie mithilfe der Ernährungsumstellung abnehmen? Oder konnte es sein, dass sie durch ihre Entscheidung auf Aufmerksamkeit hoffte, die sie sonst vermisste? Schließlich sorgte es immer wieder für überraschte, skeptische oder anerkennende Reaktionen, wenn Luises Ernährungsform bei Oma und Opa, bei Freunden oder in der Schule zur Sprache kam. Diese Fragen bereiteten uns zeitweise ein wenig Sorge. Aber nach einigen Gesprächen hatten wir das Gefühl, dass wir Entwarnung geben konnten. Und wir hoffen natürlich, dass wir mit Luise auch weiterhin so offen sprechen können, dass wir mögliche Probleme frühzeitig bemerken und entsprechend reagieren können.
Als ich meinen Mann frage, was er von Luises inzwischen vierjährigem Vegetarier-Sein hält, sagt er: „Ich finde es gut, dass sie das macht und durchhält. Und ich sehe es positiv, dass wir insgesamt noch weniger Fleisch essen als vorher.“ Ab und zu gibt es noch Momente, wo etwas nicht ganz rund läuft. Mama hat beim Einkaufen den Tofu vergessen. Papa hat keinen Extra-Reis gekocht. Bei der Freundin gibt es beim Grillfest nur tierisches Grillgut. Aber dann wird eben schnell ein Rührei gemacht, Luise kocht sich ein paar Spaghetti und statt Gegrilltem gibt es einfach mehr Salat. Alles kein Problem. Ersatzprodukte wie vegetarische Scheibenwurst, Wiener oder Chicken Nuggets findet unsere 15-Jährige inzwischen albern und wünscht sie sich nur noch in Ausnahmefällen. Auch für die Großeltern ist es inzwischen normal, dass Luise beim Essen Sonderwünsche hat – und natürlich gerne erfüllt bekommt. Und von den Klassenkameradinnen und -kameraden, von denen einige anfangs Witze gemacht und dumme Fragen gestellt haben, sind inzwischen zwei Mädchen auch Vegetarierinnen geworden.
Ein Mittel gegen den Klimawandel
„Je mehr Zeit vergeht, desto mehr sehe ich den Sinn dahinter“, erklärt Luise. „Mittlerweile könnte ich mir nicht mehr vorstellen, Tiere zu essen.“ Sie möchte nicht, dass andere Lebewesen getötet werden, nur damit sie etwas essen kann, was ihr schmeckt. Schließlich gebe es genug andere Lebensmittel. Zudem, ist Luise überzeugt, hilft eine vegetarische Ernährung gegen den Klimawandel, unter anderem, weil der Metanausstoß und der Energieverbrauch beim Transport von Tieren und Fleisch verringert werden. Ideologisch ist unsere Tochter zum Glück nicht, Missionieren ist nicht ihr Ding. Aber sie würde sich schon wünschen, dass „mehr Menschen ein Bewusstsein für ihren Fleischkonsum kriegen“. Dass sie nur noch selten, vielleicht einmal pro Woche, Fleisch essen, und dann am besten welches vom Bio-Bauern. Zurzeit denkt Luise darüber nach, einmal pro Woche einen veganen Tag einzulegen. Mal sehen, wo das hinführt.