Erziehung

„Jeder Körper ist anders und gut so, wie er ist – das müssen wir unseren Kindern vorleben“

Eltern tragen schon früh dazu bei, wie ein Kind seinen Körper wahrnimmt – durch das eigene Verhalten sich selbst und anderen gegenüber. Erziehungswissenschaftlerin Daniela Albert rät daher, auf Wertungen des Äußeren möglichst zu verzichten.

veröffentlicht am 27.06.2022

Viele Jugendliche hadern mit ihrem Aussehen und sind mit sich unzufrieden. Ein Thema, das verstärkt in der Pubertät auftritt. Doch was geht dem eigentlich voran? Ab wann brauchen Kinder Bestätigung und Zuspruch für ein gutes Körpergefühl?
Von Anfang an. Es ist wichtig, dass bereits Babys und kleine Kinder merken, was ihr Körper alles kann, dass sie Spaß daran entwickeln, sich zu bewegen, und dass sie Unterschiede wahrnehmen, ohne diese zu werten. Das zu fördern – damit kann man gar nicht zeitig genug beginnen.
 
Wie kann das konkret ausschauen? Wie stärke ich als Mama oder Papa die Körperwahrnehmung meines Kindes vom Babyalter an?
Das beginnt schon bei der Körperpflege. Wenn ich das Wickeln nur als lästige Pflicht empfinde, die schnell erledigt werden muss, überträgt sich das auf mein Kind. Stattdessen sollte ich diese Zeit nutzen, um meinem Kind Aufmerksamkeit zu schenken und gemeinsam mit ihm spielerisch Körperteile zu benennen.
 
Bei zwei Dingen würde ich darüber hinaus besonders achtsam sein: Zum einen rate ich davon ab, sich für Geschlechtsteile Fantasienamen einfallen zu lassen. Eltern sollen alles so sagen, wie es ist. Auch das trägt zu einem normalen Umgang mit dem Körper bei. Zum anderen sollte man mit Spitznamen vorsichtig sein. Oft sind die niedlich gemeint, aber wenn man sie hinterfragt, sind sie gar nicht so niedlich. Die Formulierung „Du hast so schöne Speckärmchen.“ beispielsweise enthält eine Wertung, die später vielleicht schwierig werden könnte.
 
Wie wichtig sind Schmusen und Kuscheln für ein gesundes Körpergefühl?
Total wichtig. Aber nur in der Art, wie es auch vom Kind kommt. Es ist nämlich genauso wichtig, dass wir als Eltern schauen, wie viel unser Kind wirklich mit uns schmusen und kuscheln will. Die Erfahrung, umarmt und geküsst zu werden, ist natürlich gut und wertvoll, solange es vom Kind gewollt ist.
 
Vom Baby zum Kleinkind und Kindergartenkind ist es ein großer kognitiver Schritt. Vor allem ab drei Jahren entwickelt sich das eigene Körperbewusstsein. Wie kann ich da mein Kind noch einmal mehr unterstützen, dass es sich und seinen Körper mag?
Ganz einfach: auf wertende Vergleiche verzichten. Das ist die Basis. Im Kindergarten fängt es an, dass auch wir Erwachsene Vergleiche ziehen. Nach dem Motto: „Die Laura hat die Haare immer so schön, deine sind immer so durcheinander und zottelig.“ Und ab dem Alter fangen die Kinder natürlich auch an, uns zu beobachten. Das unterschätzen viele Eltern, welche Vorbildfunktion sie haben. Kinder merken sehr schnell, wie wir mit unseren eigenen Körpern umgehen und wie wir über andere Menschen reden. Ob wir andere Menschen als hässlich oder dick titulieren, nehmen unsere Kinder wahr – und so bekommen sie auch vermittelt, dass da ein Unterschied ist zwischen dick und dünn, dass der eine Körper einer Norm, einem Schönheitsideal entspricht, der andere nicht. Wir unterstützen unsere Kinder in ihrem Körpergefühl also auch, indem wir unser eigenes Verhalten als Eltern oder Großeltern kritisch hinterfragen. Jeder Körper ist anders und gut so, wie er ist – das müssen wir unseren Kindern vorleben.
 
Ab dem Kindergarten fängt es oft auch an, dass sich Jungen und Mädchen bestimmte Eigenschaften zuschreiben. Jungs spielen mit Autos und sind stark. Mädchen spielen mit Puppen und sind niedlich. Das bestimmt ebenfalls das Selbstbild. Wie kann ich als Eltern da gegensteuern?
Indem wir schauen, wer unsere Kinder sind, die wir ins Leben begleiten, und was sie wirklich wollen. Wenn wir ein Mädchen haben, das lieber Pirat spielt und mit den Jungs durch die Gegend rennt, ist es unsere Aufgabe, das zu fördern – aber ganz selbstverständlich, ohne dass wir das groß zum Thema machen. Es ist wichtig, dass Kinder die Fülle der Möglichkeiten haben und wir sie nicht von Anfang an in eine Richtung drängen. Dass wir sie nicht beim Tanzen anmelden, obwohl sie Fußball spielen wollen, oder umgekehrt. Und auch wenn das Mädchen eine Rosa-Phase hat, sollten Eltern nicht versuchen, das zu verhindern. Denn auch das ist sein Recht, das auszuleben. Wichtig ist nur, Kindern von Anfang an zu zeigen, dass es diese Fülle an Individuen gibt – Mädchen, die gerne Fußball spielen, und Mädchen, die sich lieber als Prinzessin verkleiden, oder auch fußballspielende Prinzessinnen. Für Jungs gilt das natürlich genauso.
 
Welche Verhaltensweisen im Familienalltag sollte ich denn lassen oder vorleben, damit Kinder von Anfang an mitbekommen, dass jeder gut ist, so wie er oder sie ist?
Wir haben das gerade schon angerissen: sich selbst nicht abwerten – am besten überhaupt nicht und schon gar nicht vor den Kindern. Wir haben als Eltern Vorbildfunktion. Wenn ich als Mutter jedes Frühjahr aufs Neue eine Diät mache, weil ich mich nicht gut genug finde, transportiere ich damit eine Message. Wir müssen uns also auch selbst fragen: Warum will ich einem gewissen Ideal entsprechen? Was steckt wirklich dahinter? Bin ich mit mir im Reinen?
 
Ich erlebe das oft bei Eltern mit Kindern in den frühen Pubertätsjahren. Kinder entwickeln sich ganz unterschiedlich. Manche Kinder sind etwas kräftiger. Die Kinder nehmen das für sich noch gar nicht als problematisch wahr, die Eltern schon und übertragen das auf ihre Kinder. Da muss man besonders Obacht geben, dass die eigenen Ängste nicht zu den Ängsten und Problemen der Kinder gemacht werden. Anders herum gesehen bedeutet das auch, das Kind nicht zu loben, wenn es durch einen Wachstumsschub schlanker geworden ist. Ein Satz wie „Du bist jetzt aber schön schlank.“ sollte nie fallen.
 
Inwiefern ist ein gutes Körpergefühl von Anfang an die Basis, auch für einen Teenager später, Grundvertrauen in sich zu haben, Selbstbewusstsein zu entwickeln und gegen abwertende Kommentare zum eigenen Aussehen immun zu sein?
Gerade in der Teenager- oder Pubertätszeit dagegen immun zu sein, ist eine Illusion, glaube ich. Dafür ist der Einfluss von außen und den Peers einfach zu groß. Das darf man nicht unterschätzen. Trotz alledem bleibt aber das Fundament, das wir mal gelegt haben. Das wird vielleicht ein bisschen durchgerüttelt, aber es bleibt. Und je besser wir vorher mitgeholfen haben, ein gutes Körpergefühl zu entwickeln, desto besser können die Kinder später mit Anfeindungen oder vermeintlichen Schönheitsidealen umgehen und sie für sich richtig einordnen.
 

Portrait Daniela Albert

Daniela Albert (43) ist Erziehungswissenschaftlerin, Familienberaterin und Autorin. In ihrem Blog „Eltern sein, Familie leben“ schildert sie konkrete Alltagsfälle und gibt Tipps für eine bindungsorientierte Erziehung. Die Dreifachmama wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Kassel.

Wie kann ich meinen Kindern ein positives Körpergefühl vermitteln?
5 Tipps von Familienberaterin Daniela Albert:

  1. Nicht schlecht über andere reden, sondern wertschätzend.
  2. Vielfalt zeigen. Zum Beispiel bei der Auswahl von Kinderbüchern darauf achten, dass die Protagonisten unterschiedlich aussehen und nicht nur Jungs die Helden und Abenteurer sind.
  3. Mit heranwachsenden Kindern Schönheitsideale kritisch hinterfragen und darüber diskutieren.
  4. Eine gute Ernährungs- und Bewegungskultur etablieren. Häufig mit gesunden Zutaten kochen, aber auch zeigen, dass es in Ordnung ist, sich als Familie freitagabends mal eine Pizza zu bestellen. Kein übertriebener Sport, aber Spaß an der Bewegung vermitteln – bei einer Familienwanderung oder dem gemeinsamen Trampolinspringen.
  5. Sein Kind so annehmen, wie es ist, und Vertrauen in es haben.

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