Gleichberechtigung
„Kein Bürojob ist so anstrengend wie ein Tag mit den Kindern“ – Interview mit Fifty-fifty-Papa Fabian Soethof
Fabian Soethof ist Journalist, Vater, Blogger und Autor. Er teilt sich mit seiner Frau die Care-Arbeit und möchte dazu beitragen, dass Familien endlich gleichberechtigt leben. Für ihn steht fest: All das, was Mütter können, können Väter auch.
veröffentlicht am 02.05.2022
Wir führen dieses Gespräch per Videokonferenz an einem Freitagmorgen um 10 Uhr. Wie ist Ihr Vormittag bisher gelaufen – Brote schmieren, Kinder wegbringen, Wäsche machen oder gemütlich ein Kaffee und dann an den Schreibtisch?
Heute ausnahmsweise beides, weil der Große auf Klassenfahrt ist. Der Kleine schläft etwas länger, ich konnte also vorher einen Kaffee trinken, dann habe ich ihn zum Kinderladen gebracht und danach ging es an den Schreibtisch.
Wer ist heute bei Ihnen fürs Kochen zuständig?
Da prügelt sich niemand drum, im Kochen sind wir keine Weltmeister. Wahrscheinlich wird es meine Frau sein, weil ich voraussichtlich heute Nachmittag alleine in unseren Garten fahre, um dort ein paar Sachen zu erledigen.
Und wer hat das Geschenk für den nächsten Kindergeburtstag besorgt?
Das haben wir gestern zusammen gemacht. Unser Kleiner wird nächste Woche sechs. Meine Frau ist aber federführend bei der restlichen Party-Organisation.
Sie sind ein 50/50-Vater und damit ein Exot. Fühlen Sie sich selbst als etwas Besonderes?
Nein, aber ich merke, dass man oftmals zu etwas Besonderem gemacht wird. Zum Beispiel dadurch, dass wir jetzt dieses Interview führen über, wie ich finde, Selbstverständlichkeiten, die aber leider keine sind. Ich hadere auch ein bisschen mit dieser Position, das habe ich auch in meinem Buch geschrieben. Aber ich versuche, damit meinen kleinen Teil dazu beizutragen, dass sich nicht nur bei uns etwas ändert, sondern auch bei anderen.
Aber es ist ja schon so: Mütter machen ihren Mutter-Job und das ist normal. Wenn Väter sich familienmäßig nennenswert einbringen, starten sie einen Blog oder schreiben ein Buch.
Das ist richtig. Den Blog habe ich 2013 gestartet, kurz nach der Geburt unseres ersten Sohnes. Ich schreibe nicht nur beruflich, sondern auch privat gerne, und mit Baby zuhause hatte ich noch weniger Zeit als vorher für irgendwelche Hobbys. Also habe ich das verbunden.
Sie haben nicht von Anfang an das Fifty-fifty-Modell gelebt. Wie kam es dazu?
Meine Frau und ich haben beide gemerkt, wie anstrengend Elternsein ist. Klar, es kann auch easy laufen. Es kann Kinder geben, die nachts ruhig schlafen und später ganz entspannt sind und mithelfen, wenn sie größer sind. Bei uns war das ein bisschen schwieriger.
Wir haben damals den Klassiker gemacht: Als das erste Kind ein halbes Jahr alt war, sind wir fünf Wochen auf Wohnmobiltour durch Südfrankreich gefahren. Das war auch alles okay, aber danach ging es weiter wie bisher. Ich war wieder Vollzeit im Beruf und meine Frau war alleine mit dem Kind zuhause und erlebte die bekannte körperliche Überforderung bei geistiger Unterforderung. Man rödelt den ganzen Tag und kommt zu nichts, man wird irgendwie gaga, bei aller Liebe fürs Kind. Da habe ich schon die Schieflage bemerkt. Dass es ungerecht ist, dass ich im Büro auch mal ausruhen kann. Bei allem Respekt für beide Seiten, ich glaube, kein Bürojob ist so anstrengend wie ein Tag mit den Kindern zuhause.
Es war dann maßgeblich meine Frau, die gesagt hat, so geht’s nicht weiter. Beim zweiten Kind war ich länger in Elternzeit, habe innerhalb dessen später auch Teilzeit genommen, war dann aber irgendwann wieder normal im Job. Wir haben gesehen, es funktioniert so nicht, und dann gemeinsam die Reißleine gezogen. Ich bin im Oktober 2017 dauerhaft in Teilzeit gegangen. Das hat vieles verbessert. Der Alltag ist immer noch sehr anstrengend, aber wir teilen uns zumindest diesen ganzen Kinderkram, Haushalt und so weiter gleichberechtigt auf.
Was haben die einzelnen Familienmitglieder davon, wenn Vater und Mutter sich die Familienarbeit gleichberechtigt teilen?
Ich finde, es hat für alle nur Vorteile. Der einzige Nachteil, den es geben kann und den ich auch ernst nehme, ist der der Finanzen. Man kann nicht in Vollzeit arbeiten gehen und sich hundert Prozent um die Kinder kümmern. Man muss also irgendwo verzichten oder Rückschritte in Kauf nehmen, wenn man das negativ formulieren will.
Wenn der Mann der Haupternährer ist, liegt der ganze Financial Load auf seinen Schultern. Ich finde, Väter gewinnen dadurch, wenn sie sich diese Last mit ihrer Frau teilen. Außerdem sind sie beide mehr zuhause und können eine Bindung zu den Kindern aufbauen.
Die Mütter haben den Vorteil, dass sie den ganzen Scheiß nicht alleine machen müssen und dass der Partner mehr kapiert, was zuhause los ist, dass er mehr mitdenkt und mitmacht. Sie können früher selbst arbeiten gehen, sind also finanziell unabhängiger für den Fall, dass Jahre später eine Trennung ins Haus steht – was niemand hofft.
Für die Kinder ist es gut, mehr als nur eine Bezugsperson zu haben, mehr Vorbilder, auch Vorbilder verschiedener Geschlechter. Und die Kinder merken, dass Väter all das können, was Mütter auch können. Abgesehen vom Stillen können sie genauso gut Essen machen, Wohnung aufräumen, Kinder anziehen, Windeln wechseln, sich kümmern.
Manche Männer haben offenbar Angst, es könnte ihre Männlichkeit in Frage stellen, wenn sie anfangen, regelmäßig zu wickeln, zu putzen und Kindertränen zu trocknen. Wie ist das bei Ihnen?
Die Sorge habe ich als allerletztes, weil ich mich nie alleine über meinen Beruf oder über meine Männlichkeit definiert habe. Ich bin ein Mann, ich bin männlich sozialisiert, aber kein Karrierist. Natürlich will ich einen guten Job machen, Erfolg haben und gerne auch mehr Geld verdienen, aber nicht um jeden Preis.
Quantitativ die Arbeit ein bisschen zurückzustellen, um quantitativ und hoffentlich auch qualitativ zuhause ein bisschen mehr da zu sein, finde ich nicht unmännlich, sondern ganz im Gegenteil. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass viele Frauen denken, oh, der Mann kümmert sich um die Kinder, was ist denn das für ein Weichei.
Aber trotzdem ist es natürlich auch immer die individuelle Entscheidung von Paaren. Wenn Paare aufrichtig darüber gesprochen haben und sagen, wir wollen, dass der Mann in Vollzeit arbeiten geht, dann ist das okay. Da will ich niemandem reinreden. Man sollte halt darüber reden.
Wer ist Schuld daran, dass die Hauptlast der Familienarbeit immer noch bei den Müttern liegt – die Natur, die Mütter, die Väter, die Politik, die Gesellschaft?
Die Natur ist es nicht. Die Mütter sind es auch nicht, auch wenn oft vom Maternal Gatekeeping die Rede ist, das heißt, dass die Mütter die Väter gar nichts machen lassen. Das mag es geben, aber es wäre mir zu einfach, die Schuld auch dafür wieder den Frauen in die Schuhe zu schieben. Das ist es nicht.
Wobei, das ist es natürlich irgendwann. Wenn nämlich das Kind da ist und die Rollen weiterlaufen wie sie liefen. Dann weiß die Mutter mehr über das Kind und den Haushalt und alles als der Vater. Aber vorher? Mütter werden ja nicht mit einer Bedienungsanleitung dafür geboren, wie man sich um Kinder kümmert. Das müssen die genauso lernen wie die Väter. Sie haben nur irgendwann einen Vorsprung, weil sie meistens mehr machen. Und das kommt, und da liegt die eigentliche Schuld, durch die Gesellschaft, durch die Sozialisation von uns allen. Wir sind alle bewusst oder unbewusst mit klaren Rollenbildern erzogen worden. Rosa, blau. Mädchen kümmern sich, Jungs raufen. Männer gehen arbeiten, die Frauen bleiben bei den Kindern. Es gibt hunderte Beispiele für Rollenbilder, die überholt werden müssten, aber in weiten Teilen noch nicht überholt sind.
Einige Stimmen sagen, es gibt kein Wissensdefizit, sondern ein Handlungsdefizit. Das heißt: Wir wissen alle, was besser wäre, was mehr Gleichberechtigung hervorbringen würde, wir handeln aber oft nicht so, aus verschiedenen Gründen. Männer handeln zum Beispiel oft deshalb nicht so, weil sie im Job merken oder das zumindest behaupten, sie würden ja gerne weniger arbeiten, aber das geht nicht, den Job gibt es nur in Vollzeit, oder was soll denn mein Chef denken.
Das sind einerseits berechtigte Ängste, aber gleichzeitig sind es Ängste, Sorgen und Probleme, die Frauen schon seit Jahrzehnten haben. Deshalb wünsche ich mir und fordere ich von Vätern, dass sie sich dafür einsetzen. Wenn du der erste in der Firma bist, der länger als zwei Monate oder überhaupt Elternzeit machen will, dann wirst du vielleicht krumm angeguckt. Wenn das mehrere machen, merkt der Chef oder die Chefin irgendwann, das ist jetzt wohl oder übel normal. Dann wird es leichter, auch für andere Väter.
Und dann müsste es theoretisch irgendwann so kommen, dass sich dadurch, dass Väter mehr zuhause sind und mehr Care-Arbeit übernehmen, das Gender Care Gap schließt. Dadurch müsste sich das Gender Pay Gap schließen, weil Arbeitgeber weniger Gründe haben, Mütter oder Frauen schlechter zu bezahlen. Und dann müsste es wirklich eine individuelle Entscheidung sein können, wer was und wieviel macht. Dafür müssten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch viel tun.
Die Soziologin Jutta Allmendinger fordert eine 32-Stunden-Woche für alle. In den 1930er Jahren gab es sogar Überlegungen zu einer 20-Stunden-Woche. Wären solche Modelle eine Lösung?
Das fände ich persönlich super. Es gibt natürlich Volkswirtschaftler, die vorrechnen, dass das alles nicht funktionieren würde. Aber das ist wiederum ein Problem unserer Wirtschaft und unseres kapitalistischen Systems. Ich finde es zum Kotzen, entschuldigen Sie die Wortwahl, dass wir überhaupt alle in Vollzeit arbeiten müssen und dieses Vollzeit 40 Stunden oder mehr heißt.
Wie gesagt, es ist manchmal entspannter im Büro als zuhause, aber unterm Strich wird ja niemand am Ende seines Lebens auf dem Sterbebett liegen und bereuen, zu wenig gearbeitet zu haben. Es heißt immer, ich muss es aber tun, um genug zu verdienen. Warum muss man denn 40 Stunden arbeiten, um genug zu verdienen? Unsere beiden „Akademiker“- bzw. „Akademikerin“-Gehälter reichen hier in Berlin nicht mal, um unsere Wohnung zu bezahlen, zu verreisen, zu sparen, unsere beiden Kinder zu ernähren, ihnen Hobbys und später mal die Ausbildung sowie uns die Rente zu finanzieren. Das kann doch nicht sein.
Ich glaube, es wäre viel entspannter für alle, wenn man auf eine 30- oder 32-Stunden-Woche käme. Alle könnten sich die häusliche Arbeit, die Care-Arbeit, die Freizeit viel besser teilen. Ich weiß aus meiner Erfahrung, das darf ich meinem Chef aber nicht sagen, dass ich in Teilzeit fast genauso viel schaffe wie in Vollzeit. Weil ich weniger Pausen mache, mehr ackere und weiß, ich muss um 15 Uhr hier raus, weil der Kindergarten in einer halben Stunde zumacht.
In vielen Bereichen würde die 25- oder 30-Stunden-Woche locker funktionieren, zum Beispiel in kreativen Berufen. Schwieriger ist das natürlich beispielsweise in Pflegeberufen. Aber da müsste man dann eben mehr Leute für eine Stelle einstellen. Theoretisch wäre es machbar, praktisch ist das System so verwachsen, dass wir da schwer rauskommen.
Ihre Forderungen betreffen im Grunde nur eine eher gutverdienende Mittelschicht, für Geringverdiener sind sie kaum realistisch. Auch Alleinerziehende werden sich bedanken, wenn sie Ihre Probleme und Lösungsansätze hören. Was sagen Sie denen?
Das ist mir bewusst. Ich habe mich trotzdem auf diese Gruppe von Eltern konzentriert, weil die in der Mehrheit ist. Solange sich in der Mehrheit nichts ändert, machen alle immer so weiter. Klar haben Alleinerziehende ganz andere Probleme, von denen ich nicht zu albträumen wage. Wir gehen ja schon zu zweit manchmal auf dem Zahnfleisch, wie soll das erst gehen, wenn man alleine ist oder wenn das Kind eine Behinderung hat oder ein Erwachsener krank ist?
Erst wenn im Mainstream, in der breiten Masse, ankommt, dass diese Leute etwas tun können, wenn die sich solidarisieren, kommt hoffentlich in der Gesellschaft und in den Köpfen von anderen Leuten, von Arbeitgebern an, dass nicht mehr in solchen Rollenbildern gedacht werden soll und dass auch an Marginalisierte oder Diskriminierte gedacht werden soll.
Zum Abschluss die ultimative Testfrage, frei zitiert aus Ihrem Buch: Wenn Ihre Kinder Hunger haben, wen fragen Sie? Wenn sie traurig sind oder Schmerzen haben, von wem lassen sie sich trösten?
Der oder die, die gerade da ist. Es sind meistens beide da. Ich merke nicht, dass die Kinder bei bestimmten Sachen nur zu Mama oder zu Papa gehen. Ich finde, das ist ein guter Schritt.