Forscherin
Meteorologin Elke Ludewig: „Das Hochgebirge hat das Zwei-Grad-Ziel längst überschritten“
Elke Ludewig leitet das Sonnblick Observatorium in Salzburg, eine der ältesten Forschungsstationen im hochalpinen Bereich. In ihrem Büro in der Stadt und in mehr als 3.000 Metern Höhe forscht sie zu Wolken und zum Klima.
veröffentlicht am 01.10.2022
„Die Sonne versteckt sich heute hinter Wolkenfeldern“, meldet die Wetter-App auf dem Weg zur Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in der Stadt Salzburg. Genau das möchte der Normalbürger, die Normalbürgerin wissen – und ob ein Regenschirm notwendig sein wird. Welche Wolkenform gerade den Himmel beherrscht, ist dann schon etwas für jene, die in Biologie besser aufgepasst haben. Cumulus, Stratus, Cirrus sind die Fachbegriffe dafür. Wolken können mal hoch und federartig oder tief und voller Wasser sein.
Eine, die etwas von Wolken versteht, ist die Meteorologin und Klimaforscherin Elke Ludewig. Sie leitet das Sonnblick Observatorium, eine der wichtigsten Mess- und Forschungsstationen im hochalpinen Bereich. Von ihrem Büro im Süden der Mozartstadt aus managt sie den Betrieb auf über 3.000 Metern Höhe, der 13 Mitarbeiter beschäftigt und zurzeit knapp 40 aktive Forschungsprojekte betreibt. Bis zu 900 Personen wollen im Jahr auf die wissenschaftliche Station.
„Wolken sind sehr komplex“
Entgegen seinem vielversprechenden Namen „Sonnblick“ liegt das Observatorium rund 270 Tage im Jahr in einer Nebel- und Wolkensuppe. Ideale Bedingungen also, um aus diesem Standort ein Wolkenforschungszentrum zu machen, so wie es die EU in diesem Sommer dann auch getan hat. Der Sinn dahinter: den zukünftigen Klimaprognosen noch mehr Genauigkeit zu verpassen. „Ohne Wolken wäre das Leben auf der Erde unmöglich. Sie haben einen sehr großen Einfluss auf unser Klima“, erklärt Elke Ludewig. „Wolken sind aber auch sehr komplex. In ihnen laufen physikalische und chemische Prozesse ab, und zwar im Nanobereich. Wir schauen uns an, wie Wolken entstehen, welche Rolle dabei winzige Feinstaubteilchen spielen, und wie Wolken auf den Klimawandel reagieren. Entstehen mehr Wolken, wenn mehr Feinstaub herumschwirrt? Regnen sie schneller ab? Und in welcher Höhe entstehen sie in Zukunft vermehrt? Denn je nach Höhenlage tragen sie zur Erwärmung oder Abkühlung des Klimas bei.“
Elke Ludewig hatte schon mit fünf Jahren eine genaue Vorstellung davon, dass sie einmal Wolken erforschen würde. Und an den Südpol reisen: „Meine Mutter erzählt gern davon, wie ich als Kind mit dem Atlas dahergekommen bin, die Antarktis aufgeschlagen und gesagt habe: Da will ich hin, da will ich arbeiten und leben!“
Tatsächlich bewirbt sie sich nach Ende ihres Studiums für den Einsatz auf der deutschen Polarforschungsstation Neumayer III des Alfred-Wegener-Instituts – und wird genommen. „Ich war schon sehr glücklich, dass es auf Anhieb geklappt hat“, erzählt sie. Ein halbes Jahr lang bereitet sich die damals 27-Jährige auf die Bedingungen im antarktischen Ekström-Schelfeis vor. Sie absolviert unter anderem ein Berg- und Gletscherspaltentraining und eine einwöchige Feuerwehrkommando-Ausbildung. Sie lernt, welche Ketten eine Pistenraupe hat und wie eine Kläranlage funktioniert. Danach geht es ins Eis. Von Dezember 2014 bis Februar 2016 leitet sie das meteorologische Observatorium der Neumayer-Station und forscht bei Temperaturen von bis zu –49,9?°C.
Erste Frau als Leitung der Station
Gleich nach ihrer Rückkehr wechselt sie vom südlichsten Arbeitsplatz Deutschlands zum höchsten Arbeitsplatz Österreichs: auf den Hohen Sonnblick. Mit 29 Jahren übernimmt sie als erste Frau die Leitung der „Wetterwarte“, wie sie vor 100 Jahren noch genannt wurde. Diese Bezeichnung passt längst nicht mehr.
Was die beiden Forschungsstationen gemeinsam haben? Eis, Kälte, Abgeschiedenheit – und hochsensible Messinstrumente, die gewartet und kontrolliert werden müssen, damit sie zuverlässig Messdaten liefern. Idealerweise in guter Qualität und mit wenig Lücken über einen langen Zeitraum hinweg. Dieses „Monitoring“ gehört zu den wichtigsten Aufgaben in der Klimaforschung. Die Weltmeteorologische Organisation WMO legt dafür Standards fest und setzt Monitoringprogramme auf, die Observatorien wie die Neumayer-Station oder der Sonnblick schließlich durchführen.
Ein solches Monitoringprogramm ist zum Beispiel „Global Atmosphere Watch“, das unter anderem Treibhausgase und Feinstaub in der Atmosphäre misst. Als eine von knapp 40 Forschungsstationen weltweit kann das Sonnblick Observatorium diese Datenerhebung leisten. Und zwar auf einem derart hohen Qualitätslevel, dass die Daten auch in die IPCC-Klimaberichte und die Weltdatenbank der WMO einfließen. „Das ist etwas Besonderes“, betont Ludewig, „und es ist von Österreich ein enormer Beitrag, diese Daten zur Verfügung zu stellen.“
Mit der Welt verbunden
Meteorologisch betrachtet, befindet sich die Forschungsstation in der freien Troposphäre, jener Schicht, in der sich Großwetterlagen abspielen, Strömungsmuster erkennbar sind und die Luft von einem Gebiet der Erde zum anderen transportiert wird. Wer da oben ist, ist mit der ganzen Welt verbunden. Kaum etwas, was auf der Erde passiert, bleibt am Sonnblick unbemerkt. „Nehmen wir das Beispiel Fukushima“, erläutert Ludewig. „Vom Tag des Reaktorunglücks hat es elf bis 18 Tage gedauert, bis auch wir erhöhte Strahlenwerte gemessen haben. Wir konnten nachvollziehen, dass diese strahlenden Partikel tatsächlich von dort herkamen.“
So sind in den luftigen Höhen die Waldbrände in Griechenland oder Kanada genauso nachweisbar wie Nanoplastik, das mit Winden aus europäischen Großstädten, allen voran Frankfurt und dem industriell stark geprägten Ruhrgebiet, in die Alpenregionen geblasen wird.
Das Sonnblick Observatorium ist die einzige Station in Österreich, die das klimarelevante CO2 sofort erfassen kann. „In der Stadt wird der Wert durch lokale Emissionen beeinflusst. Am Sonnblick nicht. Das unterscheidet uns von Forschungsstationen wie denen auf der Zugspitze und dem Jungfraujoch“, so Ludewig. „Dort gibt es Flugverkehr und viele Touristen.“ Wer auf den Sonnblick will, muss fünf Stunden zu Fuß gehen und braucht Erfahrung in hochalpinen Lagen. „Wir sind mit Stationen wie Mauna Loa auf Hawaii vergleichbar und können dank unserer Daten leider auch schön aufzeigen, wie es in den letzten 20 Jahren mit den CO2-Werten stetig nach oben ging.“
Bei Minus 20 Grad nach draußen
Wie sensibel die Messgeräte sind, lässt sich erahnen, wenn die Forscherin von ungewöhnlichen „Peaks“ in den Messwerten berichtet, denen sie nachgehen müssen. „Haben wir so einen Peak, kontrollieren wir, ob es eine lokale Emission sein kann. Ganz banal kann das ein Raucher sein, der vor der Hütte steht. Wenn wir das nicht markieren, dann könnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Daten falsch interpretieren und, extrem gesprochen, die Hypothese aufstellen, dass der Hohe Sonnblick ein Vulkan ist.“
Das Sonnblick Observatorium ist das ganze Jahr über besetzt, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Zwei Techniker sind immer vor Ort. Sie arbeiten im Schichtdienst von jeweils 14 Tagen, die sie auf der Station verbringen. Auch im Winter bei –20?°C müssen sie raus und Schnee schaufeln und die Messgeräte prüfen. „Das hat dann schon gewisse Parallelen zur Antarktis“, meint Ludewig schmunzelnd. Die Messungen finden auch im Gelände statt, nicht nur auf der sogenannten „Messterrasse“. Dann muss der Techniker einmal im Monat ausrücken, zu Fuß oder mit den Skiern, um zum Beispiel zu den „Totalisatoren“ zu gelangen – Dreibeine mit Kübeln, mit denen seit 100 Jahren die Niederschlagsmenge gemessen wird. Als Leiterin und Personalverantwortliche ist Ludewig froh, dass fast jeder Mitarbeiter Mitglied bei der Bergrettung ist.
Mindestens einmal pro Woche fährt Ludewig selbst auf den Sonnblick hinauf. Seit 2018 ist die neue Werkseilbahn in Betrieb. Das schafft Komfort, ist aber auch der Sicherheit des Personals geschuldet. Einmal auf der Station, prüft Ludewig, wie die Messungen laufen, wie es den Mitarbeitern geht, oder führt Wissenschaftler, die neu ankommen, in die Gegebenheiten vor Ort ein. Wenn Not am Mann sein sollte, kann sie auch den technischen Dienst übernehmen und bleibt für ein paar Tage am Gipfel.
Den Klimawandel mit bloßem Auge beobachten
Auf keinen Fall sollte man die Höhenlage körperlich unterschätzen. „Wir hatten schon Wissenschaftler, die Nasen- oder Ohrenbluten bekommen haben und die Station wieder verlassen mussten“, erklärt Ludewig. Sie selbst hat Glück und spürt die Höhe so gut wie gar nicht.
Anfang des Sommers hat das Sonnblick Observatorium mit zwei Meldungen aufhorchen lassen. Die Gletscherschmelze fällt in diesem Sommer besonders extrem aus und am 6. Juli war der Sonnblick erstmals schneefrei – bis dato der früheste Verlust der Schneedecke seit Messbeginn im Jahr 1938. „Wenn man die Daten betrachtet, sieht man, dass das Hochgebirge das viel zitierte Zwei-Grad-Ziel schon längst überschritten hat. Wir können es in unseren Temperaturdaten leider wunderschön nachweisen“, so Ludewig. „In den Bergregionen finden wir bestimmte Bedingungen vor, die zu einer schnelleren Erwärmung führen. Die Temperatur steigt hier schneller an als in anderen Regionen.“ Der Klimawandel bringt im Hochgebirge neue Gefahren – im Tourismus, aber auch in der Almwirtschaft. Steinschläge und Murenabgänge werden zunehmen.
„Es ist schwierig, wenn man tagein, tagaus mit den Daten konfrontiert ist, allein am Sonnblick mit bloßem Auge den Klimawandel beobachten kann und versucht, über viel Öffentlichkeitsarbeit das Thema breitzutreten – und dann sehen muss, dass tatsächlich nicht viel passiert“, gibt die Wissenschaftlerin unumwunden zu. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und wenn es ihn nicht betrifft, passiert leider nichts. Es ist schade, denn seit den 80er- bzw. 90er-Jahren sind wir nicht wirklich weitergekommen, trotz Klimakonferenzen und völkerrechtlichen Verträgen, die auch von Österreich alle unterzeichnet wurden.“
Nicht resignieren, sondern etwas tun
Für Ludewig aber noch kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. „Es wird geforscht, es gibt Technologien, die unterstützen, aber es wird Zeit, es anzugehen.“ Sie sieht die Politik in der Pflicht, Gesetze durchzubringen, die klimaneutrales und nachhaltiges Leben positiv beeinflussen. Und in die Forschung muss investiert werden: „Wir werden Techniken brauchen, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen. Denn selbst wenn wir von heute auf morgen aufhören würden, CO2 zu produzieren, dann ist dieser Berg, den wir schon angesammelt haben, immer noch da und triggert den Klimawandel weiterhin. Es wird also nicht wieder kälter und alles beruhigt sich. Das passiert wahrscheinlich erst in den nächsten 100 Jahren, weil CO2 sehr langfristig in der Atmosphäre verbleibt.“
Für Ludewig ist klar, dass jeder Einzelne dazu beitragen kann, gegen den Klimawandel anzukämpfen. Für die Wissenschaftlerin spielt Vorbildwirkung dabei eine große Rolle: „Auch wenn wir hier in Österreich nur einen kleinen Anteil am Klimadesaster haben, so können wir uns nicht zurücklehnen und auf die großen Emittenten wie China, die USA oder Indien zeigen. Wenn wir eine Lösung finden, fällt es auch diesen Ländern leichter, Dinge umzusetzen.“
Zur Person
Elke Ludewig wurde 1987 in München geboren und studierte Meteorologie, Ozeanografie und Geophysik an der Universität Hamburg sowie am Max Planck-Institut für Meteorologie und promovierte an der Uni Hamburg im Rahmen der IMPRS for Maritime Affairs. Von Dezember 2014 bis Februar 2016 war sie Leiterin des meteorologischen Observatoriums der Neumayer Station in der Antarktis. Im Mai 2016 trat sie – als erste Frau – die Leitung des Sonnblick Observatoriums an.