Parents for Future
Mutter engagiert sich für Klimaschutz
Judith Brocza ist Klimaschutzaktivistin. Bei den „Parents For Future“ unterstützt sie die weltweite For-Future-Bewegung, die in den vergangenen Jahren Tausende Schüler und Schülerinnen zum Klimaschutz auf die Straße getrieben hat.
veröffentlicht am 31.01.2021
Man könnte sagen, Judith Brocza ist „erblich vorbelastet“. Ihre Mutter, so erzählt die 55-Jährige, war eine „Grüne“ von Anfang an: „Sie hat das grüne Gedankengut voll und ganz in ihr Leben integriert. Bereits in den 80ern hat sie gesagt, dass sie in kein Flugzeug mehr steige, außer es gehe um Leben und Tod“, so Brocza. Biologisch einkaufen, Rad fahren und Familienurlaube mit dem Zug – in der sechsköpfigen Familie war die Mutter treibende Kraft in Sachen Umweltschutz. „Mein Vater war leidenschaftlicher Autofahrer, doch sie ist ihm ständig in den Ohren gelegen, dass jetzt etwas anderes zähle.“
Judith Brocza hat in Wien Europäische Ethnologie studiert und mit Doktorat abgeschlossen. Es folgte eine Ausbildung zur Shiatsu-Praktikerin. Seit 2008 führt sie eine Praxis in Wien und in ihrer Heimatgemeinde Klosterneuburg. Sie ist Mutter von drei Kindern, zwei (18 und 15) leben noch zu Hause, der Älteste (24) ist schon ausgezogen. Sie habe viel von der nachhaltigen Lebensweise ihrer Mutter übernommen, erklärt Brocza. Das sei tief in ihr verwurzelt. Sie selbst erledige ihre Wege lieber mit dem Fahrrad oder den „Öffis“. Die Steigung von 200 Höhenmetern zu ihrem Wohnhaus hinauf wird seit 17 Jahren täglich mit dem Rad gemeistert.
„Ich möchte etwas tun!“
Dass das Thema Klimaschutz in der Familie Brocza trotzdem neu aufgerollt und neu gedacht wurde, sei von ihrem „Mittleren“ ausgegangen, erzählt Brocza. In seiner Schule organisierte eine Lehrerin einen Klima-Workshop mit dem Naturvermittler und Ökopädagogen Daniel Bayer. Der habe es verstanden, die jungen Menschen für den Klimaschutz zu begeistern und mitzureißen. „Mein Sohn ist heimgekommen und hat erzählt und erzählt – etwa, wie es mit dem CO2-Ausstoß aussieht und wie bedrohlich das ist. Er hat auch gesagt, er möchte jetzt nur mehr einmal die Woche Fleisch essen.“ Ein Wunsch, den die ganze Familie mittrug.
Damit war es für Mutter Judith aber nicht getan. Angestoßen von den Fakten und Zahlen, die ihr Sohn vor der Familie ausbreitete, begann sie, sich wieder mit dem Thema Klimaschutz auseinanderzusetzen. Der Lebensstil der Familie wurde unter die Lupe genommen. Wo kann man noch CO2 einsparen? „Wir haben es zum Beispiel geschafft, dass wir unsere Autokilometer von ursprünglich 18.000 pro Jahr auf unter 3.000 brachten. Der einzige Familienurlaub, den wir heute noch mit dem Auto machen, ist der Skiurlaub“, erzählt Brocza. Das Auto bietet die Familie auf der Plattform „Get around“ zum Ausleihen an. „Unser Auto war in den neun Sommerwochen ungefähr zehn Tage zu Hause. Es ist uns nicht abgegangen.“
Im Juli 2019 trat Judith Brocza den Parents For Future bei, wenige Wochen später ihr Mann. „Irgendwann“, sagt sie, „ist nämlich die Verzweiflung gekommen. Da fährt man selbst mit dem Fahrrad und sieht, wie die meisten Menschen die kleinsten Wege mit dem Auto zurücklegen, wie stark der Verkehr überall zunimmt. Da habe ich mir gedacht, jetzt einfach nur vorzuzeigen, wie es auch gehen könnte, das ist mir zu wenig. Ich möchte etwas tun!“
Solidarisch mit den jungen Menschen
Ein kurzer Rückblick: Im August 2018 verweigerte die 15-jährige Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg für drei Wochen den Unterrichtsbesuch, weil sie ihre Zukunft so bedroht sah, dass es für sie keinen Sinn mehr ergab, zur Schule zu gehen. In den darauffolgenden Monaten folgten immer mehr junge Menschen ihrem Vorbild. Im Dezember 2018 kommt es auch in Deutschland und Österreich zu den ersten Schulstreiks der Fridays-For-Future-Bewegung. Mitte Februar 2019 entstehen in Deutschland erste Elterngruppen, und zwar als Reaktion auf angedrohte Sanktionen der Schulministerien für die „Schulschwänzer“. Die Eltern zeigen, dass sie hinter ihren Kindern stehen, und gründen die Parents For Future. Anfang März 2019 zieht Österreich nach.
Bald sind es zwei Jahre, dass die Parents For Future in Deutschland und Österreich gemeinsam mit den jungen Menschen auf die Straße gehen. Wie die „Fridays“ organisiert sich auch die Elternbewegung über Regional- bzw. Ortsgruppen, die unabhängig voneinander eigene Aktionen durchführen können. Die Mitglieder verständigen sich meist über WhatsApp-Gruppen. Zur Teilnahme an Aktionen oder Kundgebungen gibt es keine Verpflichtung. Jeder kann selbst entscheiden, wie viel er beitragen möchte. Wem das Engagement in einer Ortsgruppe zu wenig ist, der kann sich in den überregionalen Arbeitsgruppen einbringen. Hier werden weitere Strategien der Bewegung diskutiert und zur Umsetzung gebracht, werden Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für nationale Aktionen gemacht oder Forderungen an Politik und Verantwortungsträger formuliert.
Judith Brocza und ihr Mann haben innerhalb der letzten eineinhalb Jahre ihr Engagement in der Klimabewegung verstärkt. So sind sie inzwischen für Parents For Future Österreich aktiv, gehören aber auch den Ortsgruppen Wien und Klosterneuburg an. „Unsere Ortsgruppe in Klosterneuburg haben wir anlässlich der Ortstafelaktion im September 2019 gegründet“, erzählt Brocza. Sechs aktive Mitglieder zählt die Gruppe. Per E-Mail werden Interessierte über Aktionen, Petitionen und Veranstaltungen informiert. Im Jänner 2020 organisierte die Ortsgruppe einen Klimatalk mit Daniel Bayer, der schon Broczas Sohn für das Klimathema begeistern konnte. Wegen der Corona-Pandemie wurden zwar viele Aktivitäten ins Internet verlegt, aber wann immer es möglich war, nutzte die Gruppe den öffentlichen Raum, um auf den Klimaschutz aufmerksam zu machen. So starteten sie zum 50. Earth Day eine Flurreinigung rund um Klosterneuburg. Im Sommer riefen sie zur gemeinsam Fahrrad-Demo mit der Radlobby auf. Und auch an der österreichweiten symbolischen Schultütenübergabe an Politiker auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene war die Gruppe beteiligt. Die Schultüte enthielt unter anderem den Klima-Corona-Deal, eine Aufforderung an die Politik, die Pandemie als Chance für einen gesellschaftlichen Wandel zu begreifen. Welche positiven Effekte so ein Wandel für uns alle hätte, wurde anhand der fiktiven Geschichte einer 16-jährigen aus dem Jahr 2030 verdeutlicht, in der die Jugendliche aus ihrem Alltag erzählt.
Die Eltern als Klimaschutzaktivisten
Wenn es ihr Beruf zulässt, marschiert Judith Brocza weiterhin bei den Freitagsstreiks mit: „Für mich selbst habe ich das Gefühl, ich habe ein schönes Leben gehabt, ich habe meine Jugend total genießen können, ich hab sorglos studieren und danach sorglos meinen Weg ins Berufsleben starten können, nie mit der drohenden Keule über mir. Das ist etwas, das meine Kinder nicht mehr haben.“ Ihre Sorge gilt aber nicht nur ihren eigenen Kindern, sondern allen jungen Menschen, die sich auf die Straße stellen, betont sie. „Wenn ich sehe, wie engagiert die jungen Menschen sind und wie wenig das wahrgenommen wird, könnte ich zu heulen anfangen!“, sagt Brocza. „Das Zeitfenster, das jetzt noch offen ist, um etwas zu ändern, ist derartig klein, und wir wissen alle nicht, was dann auf uns zukommt. Das ist der Beweggrund, warum ich selbst aktiv geworden bin – um wenigstens irgendetwas zu tun.“ Wir Erwachsenen, meint Brocza, hätten nicht das Recht, uns nicht damit zu beschäftigen. „Es ist voll und ganz unsere Aufgabe, dass wir die Verantwortung übernehmen!“
Hat sich mit ihrem Engagement für Parents For Future das Familienleben verändert? Ja und nein, meint Judith Brocza. Während ihr 18-jähriger Sohn öfter an den Streiks teilnimmt, ist ihre 15-jährige Tochter nur bei den großen Demos dabei. Zu Hause macht sie zwar das „ganze Programm“ mit, für sie ist das Thema Klimaschutz aber von den Eltern besetzt. „Sie ist jetzt in einem Alter, wo sie ihren eigenen Weg finden und gehen möchte“, meint Brocza. Das sei durchaus in Ordnung, denn für einen jungen Menschen sei es nicht einfach, sich ständig mit Klimaveränderungen und ihren Auswirkungen auseinanderzusetzen.
Im erweiterten Familienkreis sei ihr Engagement aber nicht überall auf offene Ohren gestoßen. „Ich bin ein Mensch, der sich für Themen begeistern kann, und ich verstehe es dann nicht, warum sich andere Menschen nicht auch so engagieren und es nicht begreifen, wie dringlich das ist“, gesteht Brocza ein. „Zum Beispiel habe ich die Klimaberichte und Petitionen der Parents regelmäßig an die WhatsApp-Gruppe weitergeleitet, zu der meine Schwestern und ihre Familien gehören. Solange, bis ich da eben zurechtgestutzt worden bin. Das ist schon ein ganz heikles Thema.“
Die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten gibt Kraft
Viel gelassener und ruhiger kann ihr Mann damit umgehen. Er diskutiert gern. Auch mit dem ältesten Sohn, der schon sein eigenes Leben lebt und vieles anders angeht. „Ich bin hier weniger diplomatisch“, meint Brocza. Ihr Mann aber schaffe es, den Menschen die Dinge so zu erklären, dass sie es annehmen können.
Für das nun kommende Jahr hat sich Parents For Future Österreich vorgenommen, die Medien mehr in die Pflicht zu nehmen. Das Bewusstsein, wie es ums Klima steht, ist viel zu wenig vorhanden. Für sich persönlich möchte Judith Brocza am Vorsatz festhalten, den sie schon zum letzten Jahreswechsel gefasst hat: „Ich möchte alles, was ich an Engagement in die Sache hineinbringe, mit Freude tun.“ Die Kraft dazu geben ihr die vielen Begegnungen mit den jungen Menschen. „Ich bewundere sie total für ihren Einsatz und für ihren Mut. Das will ich einfach unterstützen. Auch der regelmäßige und intensive Kontakt mit anderen Parents, das Gefühl, nicht alleine zu sein, sondern eine große Gruppe Gleichgesinnter um mich zu haben, das gibt mir letztendlich die Kraft. Und diese ganzen Horrorszenarien, die blende ich aus. Die Zeit, die ich habe, die will ich sinnvoll und mit fröhlichem Engagement nützen.“
Parents For Future
Parents For Future wurde von Fridays For Future und den weltweiten Streikbewegungen an Schulen inspiriert und arbeitet weiterhin eng mit ihnen zusammen. Als freier Zusammenschluss von Erwachsenen ist die Bewegung unabhängig von politischen Parteien, Organisationen, Unternehmen oder institutionellen Interessensgruppen.
In den letzten zwei Jahren ist Parents For Future sehr schnell gewachsen. Mittlerweile gibt es in mindestens 23 Ländern mehrere Hundert Ortsgruppen, davon in Deutschland bislang 296, in Österreich 16. Das Engagement umfasst sowohl die Arbeit an Schulen und in der lokalen Öffentlichkeit als auch die Durchführung eigener Aktionen zum Thema Klima- und Umweltschutz.
Weitere Infos unter www.parentsforfuture.de und www.parentsforfuture.at