Heikles Thema

Übergewicht bei Kindern: Eine Mutter erzählt

Viele Kinder in Deutschland haben Übergewicht. Auch der zwölfjährige Max. Früher war er schlank, hat sich wenig aus Süßigkeiten gemacht. Das änderte sich, als er in die Schule kam. Seine Mutter Sabine berichtet, wie die Familie mit dem Problem umgeht.

veröffentlicht am 30.09.2023

Bis zu seinem vierten Lebensjahr hat Max so gut wie keine Süßigkeiten gegessen. „Zuhause gab es Obst und wenn wir mal zur Eisdiele um die Ecke gegangen sind, haben wir ihm einfach eine Portion Sahne bestellt. Die ist dort ungesüßt“, erzählt Sabine. Sie selbst hatte in ihrem Leben viel mit Essstörungen und Gewichtsproblemen zu tun. Deshalb legte sie von Anfang an Wert darauf, dass Max sich ausgewogen ernährt.

„Irgendwann haben wir gemerkt, wie sehnsüchtig der Kleine auf unser Eis schaute. Ab da gab es dann auch eine Kugel für ihn.“ Zuhause durfte sich Max nach dem Essen drei süße Sachen aus einer Kiste aussuchen. „Er war da immer sehr bescheiden, hat sich oft nur zwei Gummibärchen oder ein Stück von einem Keks genommen“, erinnert sich Sabine. „Manchmal lagen die Teile sogar abends noch auf dem Tisch und er hatte sie vergessen.“

Schokoriegel in der Pausenbox

Das änderte sich ziemlich schnell, als Max in die Schule kam. „Im Kindergarten hatten sie noch auf gesunde und zuckerarme Ernährung geachtet. In der Grundschule wurde da schon weniger drauf geschaut.“ Da gab es brüderlich geteilte Schokoriegel aus der Pausenbox, Muffins, Kuchen oder Lollis zu Geburtstagen. Je öfter Max draußen mit Zucker in Berührung kam, desto mehr stieg sein Bedarf auch zu Hause. „Es ist uns nach und nach entglitten“, bedauert Sabine.

Als Max neun Jahre alt war, begann die Corona-Pandemie. Im Lockdown fehlten Abwechslung und Bewegung. Der Junge begann zu essen. Gegen die Einsamkeit und gegen die Langeweile. Er verlangte vor allem nach Kohlehydraten. Nudeln, Kartoffeln, Reis, Schokomüsli und Brot standen ganz oben auf seinem Speiseplan. Gemüse dagegen weit unten. „Irgendwie waren wir damals mit der Situation überfordert. Plötzlich waren da einige Kilos zu viel.“

„Ich habe einen Schwabbelbauch“

Und die sind ihm bis heute geblieben. „Ich habe einen richtigen Schwabbelbauch“, sagt Max manchmal zu seiner Mutter und die sieht es mit Sorge. „Wenn Kinder mit Übergewicht ins Teenageralter gehen, dann wird es schwer, es wieder loszuwerden.“ Gleichzeitig ist sie froh, dass ihr Sohn wegen seiner Figur nicht geärgert wird. „Ich habe den Eindruck, das ist gar nicht so ein Thema, weil es heute viele Kinder betrifft.“ Anders als in Sabines Kindheit. „Ich wurde gehänselt, weil ich ein bisschen mollig war.“

Obwohl sie nach heutigen Maßstäben eine normale Figur hatte, begann Sabine sich dick zu fühlen. Mit zwölf Jahren meldete ihre Mutter sie bei den Weight Watchers an. „Sie hoffte, das würde mein Selbstbild wieder geraderücken.“ Tatsächlich aber sollte es der Einstieg in eine Essstörung sein. „Ich verlor an Gewicht und wurde für jedes Kilo von den anderen Teilnehmerinnen beklatscht. Eines Tages kam ich nach Hause und aß eine komplette Packung Toast auf einmal. Danach lief ich weinend zu meiner Mutter.“ Die wandte sich an Hausarzt und wurde abgewimmelt.

Diskussionen am Mittagstisch

„Es gab damals kaum Aufklärung über Essstörungen, mittlerweile ist man anders dafür sensibilisiert.“ Gleichzeitig sorgen überholte Ernährungs-Mythen immer noch für eine falsche Vorstellung von gesunder Ernährung. Bis in die Neunzigerjahre hinein, galten Brot, Nudeln und Kartoffeln als wichtige Bausteine der Ernährung. Fette wurden verteufelt. „Es hieß immer ‚Fett macht fett‘. Heute weiß man, dass Kohlenhydrate die wahren Dickmacher sind“, sagt Sabine, die sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema befasst hat.

„Ich weiß jetzt, dass es nicht an Max großen Portionen liegt. Jungen in dem Alter können unheimlich viel verdrücken.“ Wichtiger ist die Zusammenstellung der Mahlzeiten. „Er braucht mehr Gemüse. Leider mag er nur Gurken, ab und an mal eine Karotte und Tomatensoße.“ Da gibt es schon mal Diskussionen am Mittagstisch. „Ich versuche nicht auf sein Gewicht anzuspielen, aber manchmal rutscht mir doch ein Spruch raus.“ Mittlerweile haben sie einen Kompromiss gefunden. Max selbst hatte die Idee, Gemüse zu pürieren und unter seine geliebte Soße zu mischen.

Die ganze Familie macht mit

Auf diese Weise stellt Sabine nach und nach die Ernährung um. „Es ist wichtig, dass die ganze Familie mitmacht und das Max versteht, dass es nicht seine Schuld ist. Ich möchte ihm zeigen, wie man gesund isst, aber ohne zu viel Druck auszuüben.“ So darf Max auch weiterhin in die Süßigkeitenkiste greifen, die seine Mutter dann aber wieder versteckt, damit er zu Hause nicht in Versuchung kommt. Denn sie weiß, dass er auch in der Schule nascht. Die Papierchen in der Schultasche lässt sie unkommentiert. „Er soll nicht das Gefühl haben, es verheimlichen zu müssen.“

Was Sabine nicht versteht, ist, dass die Schule so wenig auf den Zuckerkonsum achtet. „In der Grundschule gab es immerhin freitags noch ein ‚Gesundes Frühstück‘. Jetzt an der Weiterführenden ist es ein ‚Süßes‘.“ Die Kinder erhalten Schokolade oder Bonbons zur Belohnung und auch am Schulkiosk gibt es jede Menge Zuckerzeug. In der Elternschaft wird das entspannt gesehen. „Wenn wir etwas dazu sagen, stehen wir ziemlich alleine da und kommen uns vor wie die Ernährungspolizei.“ Dabei ist Max nicht das einzige Kind in der Klasse, das mit seinem Gewicht kämpft.

Nährwert-Ampel sorgt für Verwirrung

Überhaupt ist es schwierig mit anderen über das Thema zu sprechen. „Max bester Freund ist stark übergewichtig. Es begann, nachdem er ein bestimmtes Medikament nehmen musste. Seither nimmt er immer weiter zu.“ Bisher hat Sabine es nicht gewagt, seine Mutter darauf anzusprechen. „Es ist heikel, weil man ja auch kein Bodyshaming betreiben will. Ich glaube, viele Eltern verdrängen das Problem, weil sie ein schlechtes Gewissen haben. Leider verhindert es, dass man etwas ändert.“

Sie selbst ärgert sich vor allem über die mangelnde Aufklärung. „So viele Nahrungsmittel werden in der Werbung als gesund verkauft, obwohl sie es gar nicht sind.“ Auch die Nährwert-Ampel auf vielen Lebensmitteln sorgt für Verwirrung. „Da sind Walnüsse oder Olivenöl rot eingestuft und Fertigpizza oder gezuckerte Kakaopulver grün“, hat Sabine festgestellt. Prinzipiell findet sie so eine Kennzeichnung hilfreich. „Aber sie müsste für jedes Produkt verpflichtend sein und gute und schlechte Lebensmittel zuverlässig ausweisen.“

Aufklärung dringend nötig

„Wir brauchen gesetzliche Vorgaben für die Hersteller und ehrliche Informationen darüber, was Zucker im Körper macht“, wünscht sich Sabine. Sie selbst versucht gerade, Max Opa davon zu überzeugen, seinem Enkel weniger und dafür hochwertigere Süßigkeiten, wie etwa ausgewählte Fairtrade-Schokolade, zu schenken. Zuhause geht sie mit gutem Beispiel voran. „Ich esse selbst viel Gemüse und nur gelegentlich Zucker. Wenn Max sieht, dass ich durch diese Ernährung stärker und fitter werde, ist das hoffentlich eine gute Motivation für ihn.“

* Namen von der Redaktion geändert


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