Spezielle Angebote
Warum Alleinerziehende den Schutz der Kirche brauchen
Einelternfamilien stehen besonders unter Druck. Die Kirche hat für diese Zielgruppe allerhand zu bieten. Allerdings wissen viele der betroffenen Mütter und Väter nichts davon. Was Alleinerziehende an der Kirche schätzen und was ihnen fehlt.
veröffentlicht am 04.10.2022
Kerstin stand am Tiefpunkt ihres Lebens. Vier Kinder hat sie mit ihrem Mann bekommen, alles Wunschkinder und für sie ein Segen. Dazu ein Haus voller Leben mit Hund, Garten und einem Campingwagen vor der Tür. Dann, vor einigen Monaten brach diese Welt zusammen. Ihr Mann zog aus. Für sie und ihr Umfeld völlig unverständlich. Eine Kur, eine Therapie und auch eine Eheberatung brachten nichts. Er könne nicht mehr, sagte er, organisierte sich eine neue Wohnung und hinterließ daheim ein emotionales Trümmerfeld – mittendrin Kerstin.
An wen sollte sie sich wenden? Wohin mit der Wut, der Enttäuschung, der Trauer? Woher die Kraft nehmen, weiterhin für die Kinder da zu sein? In dieser Lebenskrise – wäre da die Kirche nicht eine gute Anlaufstelle gewesen? Hier nach Hilfe zu suchen, dass sei ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen, sagt sie, obwohl sie in einer lebendigen Gemeinde groß geworden ist und auch ihre Kinder nach christlichem Glauben erzieht.
Kirche und Alleinerziehende – geht das überhaupt zusammen?
„Sorge um Alleinerziehende gehört zum Kerngeschäft der Kirche“
„Eigentlich gehört die Sorge um Alleinerziehende zum Kerngeschäft der Kirche“, sagt Hedwig Lamberty, Referentin für Alleinerziehende beim Diözesanverband der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) in Köln. Sie verweist dabei auf das theologische Prinzip „Option für die Armen“, nach dem die wirkliche Sorge für Menschen in Armut im Mittelpunkt der kirchlichen Bemühungen stehen sollte.
Nicht alle Alleinerziehenden sind statistisch betrachtet arm, das weiß Lamberty, die in ihrem langen Berufsleben viele Einelternfamilien kennengelernt hat.
In Deutschland gibt es rund 1,5 Millionen Familien, in denen nur ein Elternteil zusammen mit den minderjährigen Kindern lebt - fast jede fünfte Familie! 38 Prozent dieser Haushalte gelten als „besonders armutsgefährdet“, so schreibt es das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf seiner Internetseite. Um der Armut zu entkommen und wirtschaftlich möglichst fest auf eigenen Beinen zu stehen, sind rund 70 Prozent der Alleinerziehenden erwerbstätig, deutlich mehr als in Paarbeziehungen. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch in Österreich ab, wo 2021 durchschnittlich 270.000 Alleinerziehenden-Haushalte gezählt wurden.
Länderübergreifend gilt: In neun von zehn Fällen übernimmt die Frau die Rolle des betreuenden Elternteils. Diese Frauen stehen täglich im Spagat zwischen durchschnittlich mehr Arbeit bei gleichzeitig mehr oder sogar alleiniger Verantwortung für die Kinder. Da sind Auszeiten willkommen, zum Beispiel Auszeiten wie die Angebote der kfd in Köln.
Ferienfreizeiten sind ausgebucht
In diesem Jahr wurden hier neben kleinen Online-Angeboten wieder mehrere Wochenenden für Alleinerziehende mit ihren Kindern organisiert, dazu eine Sommerferienwoche und auch eine Woche „Auszeit“ – nur für Frauen.
„Alle Wochenenden und Ferienzeiten sind ausgebucht“, berichtet Hedwig Lamberty. „Das ist bei uns schon normal, wir führen Wartelisten und versuchen es stets so einzurichten, dass möglichst viele Frauen einmal mitfahren können. Natürlich tut jede Absagen weh, aber wir erfahren auch immer ein großes Verständnis auf Seiten der Alleinerziehenden. Die Solidarität ist groß.“
Vor allem die einwöchige Familienwoche stößt auf großes Interesse, wenn 16 Frauen und bis zu 25 Kinder in einer Jugendbildungsstätte im Bergischen Land mit bunten Theaterspielen, verschiedensten Entspannungstechniken und vielen Begegnungen ein paar unbeschwerte Tage erleben können. Die begleitende Kinderbetreuung erfordert zwar immer viel Personal, ist aber zugleich auch eine Grundvoraussetzung für Angebote gegenüber Alleinerziehenden, weiß Lamberty: „Die Frauen kommen nur, wenn sie wissen, dass die Kinder gut versorgt sind. Außerdem ist der Preis ein wichtiges Kriterium. Viele sagen uns, dass unser Angebot ihre einzige Chance für sie ist, in den Urlaub zu fahren, weil mehr Geld einfach nicht zur Verfügung steht.“ 165 Euro kostete die Woche für Erwachsene, sollte auch das zu viel sein, kann die Teilnahmegebühr auf Antrag um weitere 50 Prozent gesenkt werden – ohne die finanzielle Unterstützung aus dem Erzbistum Köln wäre das nicht möglich.
Alle Geschichten sind unterschiedlich
Egal ob nur wenige Tage oder eine ganze Woche – in den Stunden des Zusammenseins geht es darum, die Frauen aufzufangen und miteinander in den Austausch zu bringen. Hedwig Lamberty: „Kein Fall gleicht dem anderen. Alleinerziehend – hinter dem Begriff stehen Familien, deren Geschichten sehr unterschiedlich sind. Oft haben sich die Frauen diesen Lebensweg nicht bewusst selbst ausgesucht. Eine Trennung oder manchmal auch ein Trauerfall haben sie zu Alleinerziehenden gemacht.“
So unterschiedlich die persönlichen Geschichten der Familien auch sind, einige Probleme sind strukturell bedingt und somit in vielen Familien von Alleinerziehenden gegenwärtig. Trennungsschmerz, Unterhaltsregelungen, Gewalterfahrungen oder einfach nur Ärger mit dem pubertierenden Kind – bei den Auszeiten der kfd können die Frauen Ballast abladen, sich Feedback einholen, das im Alltag oft fehlt, und dabei spüren: ich bin nicht alleine mit meiner Situation.
Innehalten, Ausruhen, sich Austauschen und Kraft tanken, aber auch Themen wie Schule, Pubertät und Alltagsfragen stehen auf dem Plan der Referentinnen und Referenten. Eher nebenbei kommt es auch zu einem spirituellen Austausch. So wird am Ende jeder Ferienwoche ein Wortgottesdienst gefeiert, ein besonderer Abschluss einer besonderen Zeit für die Frauen, deren eigene Religionszugehörigkeit für die Teilnahme übrigens keine Rolle spielt.
Geschützter Raum
„Jede Mutter, die alleinerziehend ist, ist uns willkommen“, sagt Lamberty und ergänzt: „Wir schaffen hier für einen kurzen Moment einen geschützten Raum für die Frauen, wo sie sich auch mal fallen lassen können und – und auch das ist wichtig - wo sie sich nicht rechtfertigen müssen.“
Die Reaktion der Teilnehmerinnen fällt entsprechend aus: „Die Resonanz ist immer sehr gut. Viele melden sich wieder an und möchten bei der nächsten Freizeit wieder mit dabei sein“, sagt Lamberty. So müssen die Veranstaltungen der kfd auch nicht extra beworben werden, dank der Mund zu Mund-Propaganda sind die Anmeldelisten immer schnell voll.
Und wie sehen die Planungen für die Zukunft aus? Trotz der guten Resonanz, wird es zunehmend schwieriger werden, das Angebot im bekannten Umfang aufrecht zu halten. Dazu bedarf es Referentinnen und Referenten, die verfügbar sind und auch Menschen, die sich der Kinderbetreuung annehmen möchten. Und nicht zuletzt braucht es die finanzielle Unterstützung, damit es weitergehen kann.
(K)ein Platz in der Kirche
Noch nie gab es in der Geschichte so viele Alleinerziehende wie heute, allein in Deutschland werden 2,2 Millionen Kinder in Einelternfamilien groß. Obwohl längst eine relevante Masse erreicht ist, werden Alleinerziehende in unserer Gesellschaft in vielen Punkten nach wie vor wie Familien zweiter Klasse behandelt, was oft tiefgreifende historische Gründe hat und eng mit der Geschichte der Emanzipation verbunden ist.
Hilfesuchenden helfen, der Ungerechtigkeit begegnen, Zeichen der Solidarität setzen – es gibt genug Motive, Alleinerziehenden einen Platz in der Kirche zu geben und die Alleinerziehenden-Pastoral, die seit mehr als 30 Jahren besteht, zu unterstützen.
„Ich habe die katholische Kirche immer als wertvolle Ergänzung des staatlichen Angebots gesehen, das auch leider ziemlich mager ist, muss man sagen“, so berichtet Christine Finke, Kolumnistin und Buchautorin. Die Expertin für Alleinerziehende schreibt auf ihrem Blog „Mama arbeitet“ seit 2011 über ihren Alltag, allein mit drei Kindern.
Alleinerziehende in der „Familienberatung“ mitgemeint
Finke, die in Nachrichtensendungen und Talkshow die Positionen der Alleinerziehenden vertritt, weiß den Einsatz der kirchlichen Träger zu schätzen: „Ich habe eine große Offenheit für die Belange von Alleinerziehenden bei denjenigen erlebt, mit denen ich innerhalb der katholischen Kirche zu tun hatte. Oft waren das Frauen, die mit großem Engagement ihren Job machten.“
Zurück zu Kerstin. „Katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung“ steht auf der Internetseite des für sie zuständigen Erzbistums. Einige Klicks weiter hätte Kerstin ein Beratungsbüro in der nächsten Stadt gefunden. Ein Angebot unter vielen ist dort auch die Beratung bei Eheproblemen und Trennungen mit Kind. Immerhin. Das Wort Alleinerziehende findet sich nicht, denn Alleinerziehende gelten in vielen Diözesen nach einer Umstrukturierung als eine besondere Form der Familie. Das kann zu Verständigungsproblemen führen, denn als Familie verstehen sich zwar viele Alleinerziehende, aber im alltäglichen Leben haben sie diesen Status weder vor dem Finanzamt noch am Kassenschalter des Schwimmbades.
Auch ohne ein Beratungsangebot in Anspruch genommen zu haben, spürt Kerstin langsam wieder Boden unter den Füßen: „Ich habe in der schweren Zeit Gott für mich wieder gefunden. Im Gebet kann ich meine Gedanken sortieren, meine Sorgen ablegen, finde ich eine innere Ruhe. Diese Konstante gibt mir Kraft für den Alltag.“ Ob sie auf weitere Angebote der Kirche eingehen würde? „Wenn es passt – jederzeit“, sagt sie.
Alleinerziehende bei Don Bosco
Wo die Sorge um Kinder und Jugendliche im Fokus steht, liegt es nahe, Eltern und vor allem Eltern in schwierigen Situationen, wie es oftmals Alleinerziehende sind, zu unterstützen. Genau das macht Don Bosco in vielen Einrichtungen auf unterschiedliche Art und Weise. So finden alleinerziehende Frauen und Männer zum Beispiel Angebote im Rahmen der Elternberatung, der sozialpädagogischen Familienhilfe, bei mehrtägigen Freizeitangeboten oder in speziellen Wohngruppen, in denen junge Mütter in ein gemeinsames Leben mit ihrem Kind begleitet werden.
Gebet einer Alleinerziehenden
Mama unser
– oder sollte ich lieber Mamma mia sagen?
Heute war wieder einer dieser Tage, wo mir gegen Ende die Kraft fehlte. Gott, Dir sei Dank, ist dieser Tag vorbei und morgen bekomme ich, bekommen wir, eine neue Chance.
Es sind diese Tage, die mir meine Grenzen aufzeigen. Ich bin nur ein Mensch, ja, nur ein Mensch. Nur zwei Hände, nur zwei Schultern, dazu ein Kopf, in dem alles zusammenläuft. Nur ein Tag, den ich Stunde für Stunde aufteile zwischen dem, was sein muss – und davon gibt es reichlich, und dem was sein darf – und davon gibt es gefühlt immer zu wenig. War ich heute gut genug? Es ist, wie immer, niemand da, der mir diese Frage gerade beantwortet. Nicht mit Worten, nicht mit Gesten. Ich bin allein.
Ich muss noch die Steuerklärung machen, die Rechnung bezahlen, einen Babysitter für den Elternabend organisieren, das Geschenk für den nächsten Kindergeburtstag bestellen, das Angebot der Versicherung prüfen. Unser tägliches Brot verdienen.
An Tagen wie heute fällt es mir schwer, aus dem „Ich muss“ ein „Ich darf“ zu machen, womit sich die Aufgaben zumindest schon einmal leichter anfühlen würden. Manchmal ist es einfach zu viel Druck. Dabei möchte ich das Leben spüren, auch in seiner Leichtigkeit. Dem Kind auch darin ein Vorbild sein. Unser Leben ist schön und Du, Gott, bist an unserer Seite – Vater unser!
Wenn es ruhig wird im Haus, möchte ich das Gewicht der Verantwortung ablegen, Herr. Dein Wille geschehe. Danke, dass Du meine Sorgen tragen magst, am Tag und durch die Nacht.
Ich gehe nicht ohne Bitte, natürlich. Beschütze mich, damit ich für das Kind da sein kann. Und bringe mein Kind nicht in Versuchung, sondern nimm Dich seiner an. Wenn meine Kraft am Ende ist, weiß ich, dass unser Schicksal in Deinen Händen liegt.
Amen.
Text: Stefanie Kortmann