Ernährung

Weniger Druck, mehr Vertrauen: Gesund essen mit Kindern ohne Stress

Gesunde Ernährung ist vielen Eltern ein wichtiges Anliegen. Doch Kinder haben ihre eigenen Vorstellungen davon, was, wann und wie viel sie essen wollen. Der Esstisch ist in vielen Familien zur Kampfzone geworden. Infos und Tipps für mehr Gelassenheit.

veröffentlicht am 26.01.2024

Noah isst zu viel, Emma zu wenig. Sophia mag kein Gemüse, Paul will immer nur Süßes. Die Eltern sind verzweifelt und versuchen gegenzusteuern. Was den Kindern wiederum gar nicht gefällt. Der Esstisch ist in vielen Familien zur Kampfzone geworden. Was, wann, wo und wie viel gegessen wird, führt zu Streit und verursacht Stress bei Eltern und Kindern. Von entspannten gemeinsamen Mahlzeiten können viele Familien nur träumen.

„Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und wollen alles richtig machen“, schreiben Katharina Fantl und Julia Litschko in ihrem Buch „Dein Kind isst besser, als du denkst!“ (Kösel Verlag). Eltern wollten ihre Kinder bestmöglich fördern, und dazu gehöre oft auch, die Ernährung zu beeinflussen und zu kontrollieren. „Ernährungsleitfäden, Mengenempfehlungen und Expertentipps geben uns vermeintlich Halt, weil wir uns darauf berufen können und aus ihnen das angenehme Gefühl ableiten, alles verliefe nach Plan.“

Nicht kontrollieren, sondern loslassen

Die Autorinnen, die selbst Mütter sind und mit ihrem Partnerinnen-Netzwerk seit Jahren Familien in Sachen Ernährung coachen, empfehlen einen anderen Weg. Sie sind überzeugt: Nicht Kontrolle führt zum Ziel, sondern Loslassen. Der Körper sei ein „absolut zuverlässiger Ernährungskompass“. Er zeige „uns anhand von minimalen Signalen an, welche Nahrung die individuell richtige für uns ist.“ Kinder sollten von Anfang an lernen, auf ihren Körper zu vertrauen. 

Das ist leichter gesagt als getan. Und viele Eltern werden sich ungläubig die Augen reiben angesichts einer solchen Empfehlung. Heißt das, das Kind darf selbst entscheiden, was und wie viel es isst? Das kann doch nicht gutgehen! Süßigkeiten- und Pommes-Orgien sind programmiert. Das Kind wird krank und übergewichtig werden. Und außerdem: Grundregeln wie „viel Obst und Gemüse“, „fünf Mahlzeiten am Tag“ oder „ausreichend trinken“ haben doch ihre Berechtigung – oder etwa nicht?

Essen, was uns guttut

„Natürlich ist uns bewusst, dass Richtlinien auch einen Vorteil haben“, so Fantl und Litschko. „Sie geben uns Sicherheit und schaffen Orientierung.“ Problematisch sei es, wenn Menschen dadurch das Vertrauen in den eigenen Körper verlören. „Wir spüren nicht mehr in uns hinein, um herauszufinden, was uns guttut, sondern essen das, was uns aus Sicht von Experten, Wissenschaftlern, Bloggern und Medien guttun müsste.“ Statt Ernährungswissen an ihre Kinder weiterzugeben, sollten Eltern sie ermutigen zu spüren, was ihnen guttut.

Vom „intuitiven Essen“ spricht in diesem Zusammenhang Ernährungscoach Moana Werschler. „In der Theorie sieht das so aus, dass man keine Einschränkungen hat, auf nichts verzichtet und das isst, was der Körper gerade braucht“, schreibt sie in ihrem Buch „Mama, ich will Brokkoli!“ (Humboldt Verlag). Wenn Eltern dieses Prinzip, „eine Art achtsames Essen“, beachteten, führte das auch zu entspannteren Mahlzeiten. „Viele Eltern sind gestresst, weil sie hohe Erwartungen haben. Das Kind soll doch essen, was auf den Tisch kommt, oder es wenigstens probieren.“ Wenn das Kind dann ganz andere Erwartungen oder Gefühle hat, entstehe ziemlich schnell Stress am Esstisch. „Die Negativspirale geht weiter, wenn man es als Mutter oder Vater persönlich nimmt, wenn das Kind ein Gericht nicht mag oder nicht isst.“ Diesen Teufelskreis gilt es zu unterbrechen.

Hilfe, das Kind isst kein Gemüse!

Dabei hat Werschler, die als „Miss Broccoli“ zu Kinder- und Familienernährung bloggt, natürlich gar nichts gegen gesunde Ernährung. Im Gegenteil. Im Blog und in ihrem Buch beschreibt sie, wie Eltern auf eine optimale Nährstoffversorgung bei ihren Kindern achten können. Dabei legt sie Wert darauf, dass ihre Tipps einfach umzusetzen sind und die ohnehin stark geforderten Eltern und Familien nicht zusätzlich belasten.

Zum Beispiel, wenn es um Gemüse geht, ein emotionales Thema, das viele Eltern stresst. Was tun, wenn ein Kind extrem wählerisch ist und nie oder nur sehr selten Gemüse essen will? „Der wichtigste Schritt ist, das Kind besser zu verstehen“, so Werschler. „Danach ist es hilfreich, das eigene Verhalten zu überdenken und den Stress und Druck vom Tisch zu nehmen.“ Im Alter von zwei bis sechs Jahren, erklärt die Mutter von zwei Jungen, möchten viele Kinder zunehmend selbst entscheiden, was sie essen. Es kann passieren, dass sie dann Dinge, die sie bisher gerne mochten, plötzlich ablehnen und auch nichts Neues mehr probieren wollen (Tipps für wählerische Kinder siehe unten). Mögliche Gründe für die Gemüse-Verweigerung können unter anderem eine Lebensmittelunverträglichkeit, stagnierendes Wachstum, zu viele Snacks und Süßes außerhalb der Hauptmahlzeiten, Müdigkeit oder eine Krankheit sein. Zudem kann ein in den menschlichen Genen verankerter Instinkt Kinder dazu bringen, dass sie um Grünes zumindest zeitweise einen Bogen machen. Bei unseren Vorfahren galten grüne Lebensmittel als unreif, bitter und möglicherweise giftig. Wenn Kinder also Süßes dem Gemüse vorziehen, kann das einfach evolutionsbiologische Gründe haben.

Gute Stimmung am Tisch

Oft hat es also ganz andere Ursachen als die Eltern vermuten, wenn ein Kind bestimmte Nahrungsmittel ablehnt. Deshalb hilft es auch nicht, wenn Mama oder Papa dann wortreich auf die „gesunden“ Lebensmittel bestehen, sondern es sind andere Maßnahmen erforderlich. Bei Gemüsemuffeln kann es helfen, wenn die Eltern das Kind bei der Essensplanung, beim Einkaufen und Kochen mit einbeziehen, rät Moana Werschler. Es sollte täglich Gemüse geben. Hilfreich ist es, wenn die Eltern Vorbild sind, wenn eine gute Stimmung am Tisch Vertrauen vermittelt und kein Druck aufgebaut wird. Zudem sollten Eltern locker bleiben, auch wenn das Kind „igitt“ sagt oder etwas ausspuckt. Gemüse sollte nicht nur versteckt, sondern auch Ganzes serviert werden. Extragerichte gibt es nicht, aber viel Abwechslung, unterschiedliche Farben und sowohl rohes als auch gekochtes Gemüse.

Ein weiteres Beispiel für den Umgang mit einem Konfliktthema: Zucker. Katharina Fantl und Julia Litschko warnen davor, Zucker nur als Bedrohung anzusehen. „In der Tat wissen wir, dass sich zu viel Zucker negativ auf unsere Gesundheit und unser Gewicht auswirken kann“, schreiben sie. Wobei sich dann die Frage stelle, was zu viel ist, und warum wir zu viel von etwas essen, was uns nicht gut tut. „Um sicherzugehen, dass wir nicht missverstanden werden: Wir sind keine Vertreter der Zuckerlobby“, schreiben die Beraterinnen. Doch die anhaltende Zucker-Hysterie sei „weder gesund noch zielführend, wenn es darum geht, Kindern ein unbeschwertes Essverhalten zu vermitteln“. Möglicherweise spielen emotionale Aspekte eine Rolle, wenn Kinder viel Süßes essen. Dann ist hier anzusetzen. Vielleicht hat die Familie beim Essen gar nicht die Wahl zwischen stark gezuckerter Limonade und Wasser, weil es nur Limo gibt. Dann wird der Durst natürlich damit gelöscht – und die Aufgabe wäre, künftig Wasser auf den Tisch zu stellen.

Dem Kind vertrauen

Was definitiv nichts bringt, ist Druck, erklären die beiden Autorinnen. Stattdessen setzen sie darauf, auf spielerische und gleichzeitig pragmatische Art und Weise Vertrauen in die Körperintelligenz von Kindern zu entwickeln. Der erste Schritt in diese Richtung heißt: „Bringen Sie Ihrem Kind einen Vertrauensvorschuss entgegen.“ Das Kind soll frei wählen dürfen, was es isst, auch wenn die Eltern sich vielleicht Sorgen machen, „weil es nicht ab Tag 1 die Entscheidungen trifft, die Sie sich wünschen.“ Weiterhin raten sie, Lebensmittel nicht in gesund – „muss ich essen“ – oder ungesund – „soll ich nicht essen“ – einzuteilen. Sonst besteht die Gefahr, dass Kinder beispielsweise Gemüse mit Zwang und Druck verbinden, während etwa Eis für sie positiv besetzt ist. Ein natürliches Verhältnis zu beiden und damit eine offene und freie Entscheidung für das, was die Kinder gerne essen möchten, werden dadurch erschwert.

Weiterhin raten Fantl und Litschko zu Vielfalt, Kreativität und Autonomie beim Essen. Ablenkungen sollten vermieden werden. Der Fokus am Esstisch sollte auf dem Zusammensein liegen statt darauf, wer was und wie viel isst. Wichtig ist, dass Eltern trotzdem wachsam bleiben und spüren, ob möglicherweise Gefühle wie Langeweile oder Traurigkeit ihr Kind dazu bringen, etwas zu essen, was ihm körperlich nicht guttut. Und nicht zuletzt sollten Eltern beim Essen authentisch sein, also Freude und Genuss ausdrücken, wenn es ihnen schmeckt, oder auch mal nicht essen, wenn sie gerade keinen Hunger haben.

Der Weg zu einem entspannten Essverhalten

Mit ihren Tipps möchten die Autorinnen viele Ansichten von Eltern zu gesunder Kinderernährung bewusst auf den Kopf stellen. Dass ihr Weg nicht sofort und ohne Probleme funktionieren kann und immer wieder angepasst werden muss, ist ihnen klar. Doch sie ermutigen Eltern, ihn zu gehen. „Denn wir sind fest überzeugt, dass ein achtsamer und vertrauensvoller Umgang mit Kindern, die ihrer Körperintelligenz uneingeschränkt folgen dürfen, der beste Weg zu Selbstvertrauen, Stärke und einem lebenslang entspannten, gesunden Essverhalten ist.“

Wählerische Kinder – 7 Tipps für weniger Stress am Esstisch

Auch wenn wählerisches Essen in der Autonomiephase normal ist – mehr als 20 Prozent der Kinder sind eine Zeit lang wählerisch – , bedeutet das nicht, dass man nichts dagegen unternehmen kann. Tipps und Strategien von „Miss Broccoli“ Moana Werschler, die sich direkt zu Hause und am Esstisch umsetzen lassen.*

1. Dränge dein Kind nicht zum Essen
Studien zeigen, dass Kinder weniger wahrscheinlich etwas essen werden, wenn sie dazu gedrängt werden. Druck erzeugt oft das Gegenteil von dem, was wir wollen. Stattdessen sollten Eltern das Prinzip der reaktiven Fütterung befolgen, bekannt als „The Division of Responsibility“. Dabei ist es Aufgabe der Eltern, zu entscheiden, welches Essen wann und wo serviert wird, während es Aufgabe des Kindes ist, zu entscheiden, ob und wie viel es davon essen möchte. Obwohl dies zunächst ungewohnt erscheinen mag, unterstützt die Forschung diesen Ansatz, um langfristig positive Essgewohnheiten zu fördern.

2. Biete regelmäßig neue und abwechslungsreiche Lebensmittel an
Wenn Kinder die Gelegenheit haben, neue Lebensmittel kennenzulernen und sich an sie zu gewöhnen, fördert das positive Essgewohnheiten – auch wenn die Kinder diese Lebensmittel nicht sofort essen. Es ist wichtig, Kinder nicht unter Druck zu setzen, diese Lebensmittel zu essen. Biete sie einfach regelmäßig an, aber in kleinen Portionen, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.

3. Serviere neue Lebensmittel neben bereits akzeptierten Lebensmitteln – mache nicht den Fehler und stelle deinem Kind nur Neues hin
Biete ein oder zwei bereits bekannte Lebensmittel zusammen mit neuen und „sicheren“ Lebensmitteln an. So können Kinder die neuen Lebensmittel kennenlernen, ohne den Druck zu verspüren, sie essen zu müssen. Gib deinem Kind die Wahl bei den Mahlzeiten und Snacks, indem du sie zwischen einer begrenzten Anzahl von Optionen wählen lässt. Geschlossene Fragen können ihnen ein gewisses Maß an Kontrolle geben, ohne sie zu überwältigen.

4. Verwende beschreibende Sprache für Lebensmittel anstelle von „das ist gesund!“
Beschreibende Sprache hilft Kindern, sich mit neuen Lebensmitteln vertraut zu machen und ihre Sinne anzuregen. Spreche über die Farbe, Form, Textur und das Aussehen des Lebensmittels, anstatt es als „lecker“ oder „gesund“ zu bezeichnen.

5. Sei ein Vorbild für gesunde Essgewohnheiten und Rituale
Dein eigenes Essverhalten dient als Vorbild für dein Kind. Sie beobachten nicht nur deine Vorlieben, sondern auch, wie du über Essen sprichst. So entwickeln sie ihre eigenen Vorstellungen darüber, wie positives Essverhalten aussieht. Stelle vielleicht auch Tischregeln auf, habt schöne Rituale und schaue den Esstisch als einen positiven Ort an.

6. Beziehe dein Kind in die Zubereitung von Lebensmitteln ein
Kinder sind oft motivierter zu essen, wenn sie an der Planung und Zubereitung von Mahlzeiten und Snacks beteiligt sind – gerade in der Autonomiephase. Dies gibt ihnen ein Gefühl von Kontrolle und Unabhängigkeit. Du kannst sie beim Einkaufen mitnehmen, ihnen erlauben, beim Zubereiten zu helfen und sie den Tisch decken lassen. Wichtig ist aber, dass du nicht nur noch für dein Kind kochst, es also nicht alle Menüs vorgibt oder du extra kochst!

7. Ermutige das Spielen mit Essen – und habt mehr Spaß am Esstisch
Spiele, die mit Essen zu tun haben, können dazu beitragen, dass Kinder weniger ängstlich gegenüber verschiedenen Lebensmitteln sind und ihre Ängste abbauen, denn es geht um Spaß, nicht ums Essen. Da Ängste und Unruhe oft mit wählerischem Essen einhergehen, erlaubt das Spielen mit Essen deinem Kind, sich damit vertraut zu machen, ohne es essen zu müssen. Sei kreativ mit Gesicht im Teller kreieren, Türmchen bauen, Geschichten erzählen.

Hier sind einige Ideen für Essensspiele:
– Essen als Kunstwerk: Lasst eure Kreativität fließen und gestaltet mit verschiedenen Lebensmitteln lustige Kunstwerke und Bilder, malt mit Brokkoli oder Karotten.
– Verkostungsspiele: Blindverkostungen von verschiedenen Lebensmitteln können Spaß machen und die Neugierde fördern.
– Kochwettbewerbe: Fordert eure Kinder heraus, ihre eigenen Mahlzeiten zuzubereiten und kreativ zu sein. Lass dein Kind mal für dich kochen.

*„Miss Broccoli“ duzt ihre Leserinnen und Leser. Wir siezen normalerweise, haben aber in diesem Fall ihre Formulierungen übernommen.

Quelle: Miss Broccoli


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