Kampf gegen Abhängigkeit

Wie Sucht entsteht und welche Therapien es gibt

Der Weg aus der Sucht ist oft lang und hart. Ein Gespräch mit Sabine Bußello-Spieth, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie über Ursachen, Therapie und Prävention.
  • Christine Wendel

veröffentlicht am 28.02.2018

Essstörung, Glücksspielsucht, Drogen. Es gibt viele Arten von Sucht. Was sind Gemeinsamkeiten?
Man unterscheidet zwischen stoffgebundener Sucht wie Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Und stoffungebundener Sucht wie Onlinesucht, Glücksspiel oder Essstörungen. Zunächst kommt der schädliche Gebrauch, dann die Abhängigkeit. Sucht verändert körperlich und psychisch. Sie führt zu eingeengtem Denken und Isolation. Probleme können oft nicht mehr bewältigt werden, neue werden geschaffen, etwa durch den Verlust der Arbeitsstelle. Wichtig ist auf jeden Fall zu sehen, dass Sucht eine Krankheit ist, für die man sich nicht zu schämen braucht.

Kennzeichen einer Abhängigkeit sind Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, eingeengtes Denken auf den Konsum von Substanzen ausgerichtet, Interessensverluste, Schwierigkeiten im körperlichen und sozialen Bereich sowie Entzugserscheinungen. Wenn vier dieser Kriterien vorliegen, spricht man von Sucht.

Was sind die Ursachen?
Die Entwicklung von Sucht ist vielschichtig. Sucht ist immer etwas, das die psychische Empfindlichkeit von Menschen reguliert: Ich bin gestresst von der Arbeit und werde durch den Konsum von Substanzen wie Alkohol, Drogen oder anderen Ersatzbefriedigungen positiv beeinflusst. Man macht etwas Negatives, das Gehirn sagt aber, es sei positiv. Sucht kann durch genetische Prädestination veranlagt sein oder ihre Grundlage in einem Trauma haben. Auch psychiatrische Erkrankungen, zum Beispiel Depression, oder eine Angsterkrankung können Ausgangspunkt sein.

Wie hat sich Sucht verändert? Gibt es „Trends“ in der Sucht?
Alkohol ist immer noch die Droge Nummer eins, die teilweise auch gesellschaftlich akzeptiert ist. Auch viele Frauen trinken, anders als noch vor einigen Jahren, viel offener Alkohol. Jugendliche trinken weniger, dafür nimmt der Konsum an Cannabis zu – eine unterschätzte Droge, die auch Jahre später noch ihre Folgen zeigen kann.

Ein „Trend“ ist die Zunahme von „Uppers“, die besonders gestresste Menschen einnehmen, um leistungsfähiger zu werden – und die dann abends mit „Downern“ wieder versuchen, runterzukommen.

Online- und Smartphonesucht ist zudem steigend – nicht nur bei jungen Leuten. Das Internet und elektronische Geräte sind ständig präsent in unserer Gesellschaft.

Wer ist von Sucht betroffen?
Sucht geht durch alle Gesellschaftsschichten und Altersstufen. Bei uns in der Klinik war der jüngste Patient 19 Jahre alt, die Älteste war 76. Und ich finde es immer toll, wenn auch ältere Menschen den Weg aus der Sucht auf sich nehmen. Es geht um Lebensqualität und die letzten Jahre, die man schön verbringen will. Es ist nie zu spät.

Wie kann man vorbeugen, damit man nicht selbst in eine Suchterkrankung verfällt?
Indem man sich seinen Konsum und sein Verhalten bewusst macht und hinterfragt: Warum tue ich es? Warum trinke oder spiele ich? Kann ich für längere Zeit eine Pause einlegen? Kann ich, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, auch eine andere Möglichkeit suchen, um mich besser zu fühlen? Man kann sich etwa aufschreiben, wie viel Bier man getrunken hat, wie lange man am Computer sitzt oder was man am Tag gegessen hat. Und man kann selbstkritisch fragen: Habe ich Hobbys und Freunde vernachlässigt? Wenn man das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren, dann kann man eine Beratungsstelle oder eine Selbsthilfegruppe aufsuchen. Aber man kann sich auch vorher schon informieren.

Es ist gut zu wissen, das trifft auf mich nicht zu, aber das kann passieren. Daher ist auch Aufklärung über Sucht in der Schule schon wichtig. Wenn man erst abhängig ist, ist es schwierig, davon loszukommen.

Was kann man tun, wenn man schon abhängig ist?
Wichtig ist die Erkenntnis, dass es so nicht mehr weitergeht. Und, dass man Unterstützung braucht. Das kann leider oft lange dauern. Bei Alkoholabhängigen sind es durchschnittlich rund zehn Jahre, bis die betroffene Person sich „outet“. Doch gerade am Anfang einer Abhängigkeit könnte man noch viel tun – vor der zunehmenden körperlichen Schädigung, einem Arbeits- oder gar Wohnungsverlust. Je früher man herauskommt, desto besser. Aber besser spät als gar nicht.  

In vielen Fällen ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Bei einem vertrauensvollen Gespräch kann dieser erste Informationen geben und Beratungsstellen oder andere Einrichtungen für die Therapie empfehlen. Es gibt Fachambulanzen für Suchtkranke, stationäre, teilstationäre oder ambulante Rehabilitation. Aber auch danach ist es nicht getan, denn es erfolgt der Transfer des Gelernten in den Alltag. Tragend sind dabei auch Selbsthilfegruppen. Und wenn man das Gefühl hat, dass ein Rückfall möglich ist, dann muss die Person sofort handeln und sich an betreffenden Stellen Unterstützung suchen.

Was erwartet mich während und nach einer Therapie?
Wenn ich eine Therapie mache, muss ich nach den Ursachen forschen, die zu meiner Krankheit führen, zum Beispiel Stressmanagement. Ich muss etwas an meinem Verhalten ändern, neue Verhaltensmuster einspielen – sonst läuft im Anschluss alles in der alten Schiene. Man muss den Mut haben, sich einzugestehen, dass man das Vergangene nicht ändern kann – und nach vorne schauen.

Zudem muss man sich klar sein, dass eine Abstinenz keine Heilung ist. Ziel ist es, Rückfälle zu verhindern, denn diese können zum Krankheitsbild dazugehören. Man kann lernen, mit der Sucht umzugehen, sie zu händeln und sich ein neues Leben aufzubauen.

Was kann man tun, wenn man sich Sorgen macht, dass ein Angehöriger betroffen ist – wenn sich sein Verhalten ändert, etwa zunehmende Aggressivität, ständige Geldnot oder Appetitlosigkeit?
Dann sollte man zunächst das Gespräch suchen. „Mir fällt auf, früher hast du das so und so gemacht. Woran liegt das, dass du nun so und so bist?“ Man kann einen Besuch beim Hausarzt vorschlagen, eine medizinische Abklärung machen. Und man kann der Person anbieten, sich mit ihr zu informieren und eine Beratungsstelle aufzusuchen, nach dem Motto: „Lass uns zusammen gehen, mich interessiert es auch.“ Hotlines sind ebenso ein guter Weg oder eine Selbsthilfegruppe. Sich Hilfe zu suchen, ist oft nicht einfach, weil man sich den schädlichen Gebrauch oder die Abhängigkeit eingestehen muss.

Wenn der Betroffene dazu nicht bereit ist, kann ich als Angehöriger mich auch alleine informieren. Viele Einrichtungen und Beratungsstellen bieten eine Angehörigenberatung und Gruppen an.

Viele Angehörige erkranken selbst psychisch an der Situation. Man muss sich aber immer wieder bewusst machen: Man ist nicht schuld an der Sucht des anderen. Auch nicht, wenn es der Ehepartner oder das Kind ist. Nach eingehender Beratung ist konsequentes Handeln manchmal der einzige Weg für die Angehörigen, aus der Belastung herauszukommen –  bis hin zum Abbruch des Kontakts.

Wenn der Betroffene sich ernsthaft helfen lassen möchte, dann kann man, sofern es für einen selbst keine zu große Belastung ist, den Weg mitgehen, unterstützen. Allerdings ohne Vorwürfe und Verurteilungen.

Wie kann man Kindern aus Suchtfamilien helfen?
Auch Kinder können Hilfe suchen, sich etwa an einen Vertrauenslehrer wenden oder ans Jugendamt. Ein Nachbar, der eine Vernachlässigung der Kinder mitbekommt, der ist verpflichtet, dies zu melden – bei der Polizei oder beim Jugendamt. Dies führt zunächst dazu, dass individuell die Lage erfasst wird und die Eltern kompetente Unterstützung bekommen. Sollte das Jugendamt bei konkreter Gefährdung für eine Unterbringung der Kinder entscheiden, heißt dies auch nicht, dass dies für immer ist. Die Eltern haben die Möglichkeit, Hilfe zu erhalten.

Und es ist nie zu spät, um zu helfen – und nie zu früh, mit Prävention und Aufklärung zu beginnen.  

Sabine Bußello-Spieth Fachärztin Psychiatrie

Sabine Bußello-Spieth ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2001 leitet sie die Caritas-Tagesklinik für Suchtkranke in München. Diese bietet Frauen und Männern mit einer Alkohol-, Medikamenten- oder Cannabisabhängigkeit eine tagesklinische medizinische Rehabilitationsbehandlung.


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