Rat und Hilfe

Scheiden tut weh – Wie eine feministische Beratungsstelle Frauen bei Beziehungsproblemen unterstützt

Wenn Beziehungen enden, ist Bettina Zehetner da. In der feministischen Beratungsstelle „Frauen* beraten Frauen*“ in Wien finden Frauen ein offenes Ohr und Hilfe bei Beziehungskonflikten, Trennung, Gewalterfahrung und anderen Problemen.

veröffentlicht am 11.10.2024

Der Plan war ein anderer. Bis zum Lebensende wollten sie zusammenbleiben. Den Weg gemeinsam gehen. Meilensteine schaffen. Höhen und Tiefen als Team bewältigen. Sich entfalten, Abenteuer erleben. Und schließlich zusammen den Lebensabend genießen. Zufrieden zurückschauen auf den letzten Metern – stolz auf das Erreichte. So sollte es sein, doch nun ist es aus.

Es gibt viele Gründe, warum Beziehungen enden. Konflikte, enttäuschte Erwartungen, fehlende Liebe und mangelnder Respekt, Affären, Gewalt, Lebenskrisen. Oft ist es auch der Familienalltag, der entzweit. Wenn die Verantwortung überwiegend auf mütterlichen Schultern lastet. Wenn da zu viel „Mental Load“ ist – gespeist aus Dauerzuständigkeit, Zeitmangel, finanzieller Abhängigkeit und gescheiterter Vereinbarung.

Manche Menschen lösen sich leise, fast unbemerkt immer mehr voneinander. Bis da nichts mehr ist, was sie zusammenhält. Manchmal braucht es mehrere Anläufe des Trennens und Wieder-Zusammenfindens, bis einer endgültig geht. Und einige Beziehungen zerbrechen mit einem Knall. Weil die Liebe woanders hinfällt, weil Vertrauen missbraucht wird, weil ein Paar endlich reinen Tisch macht.

Die Beraterinnen hören zu, fragen nach

Bettina Zehetner kennt viele dieser Geschichten. In der feministischen Beratungsstelle „Frauen* beraten Frauen*“ in Wien hat die Psychosoziale Beraterin ein offenes Ohr für alle, die sich von dem Angebot angesprochen fühlen. Meist sind es Frauen zwischen 30 und 60 Jahren, aber auch Jugendliche oder Seniorinnen haben hier schon Hilfe erhalten. Es geht um Trennung und Scheidung, um Gewalterfahrung, Identitätsfragen und gesundheitliche Probleme.

Die Beratung erfolgt bewusst vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Lage von Frauen. „Das alleine ist schon eine Entlastung. Denn Menschen, die zu uns in die Beratung kommen, erfahren hier, dass sie mit ihrem Erleben nicht alleine sind“, sagt die promovierte Philosophin, die ihre positiven Erfahrungen auch in ihre Forschungstätigkeit an der Universität Wien einfließen lässt.

In einem ersten Austausch schildern die Frauen ihre Situation. Die Beraterinnen hören aufmerksam zu, fragen einfühlsam nach. Loten aus, wo die Ratsuchenden am dringendsten Entlastung brauchen, welche Themen sie genauer anschauen möchten, welche Strategien man gemeinsam entwickeln kann. Einigen reicht ein Termin, manchmal werden es auch zehn, oder es entsteht eine regelmäßige Begleitung.

Manche Ratsuchende wollen ihr Anliegen schriftlich formulieren

Für Bettina Zehetner ist die Beratung ein besonderer Raum: 50 Minuten Exklusivzeit für ein persönliches Gespräch. Klare Rahmenbedingungen, verlässliche Zeiten. Sie hat es in ihrem Berufsleben auch schon anders erlebt. Damals, als sie nach dem Studium der Philosophie und Frauenforschung einige Jahre im Frauenhaus arbeitete. „Ich lebte den Alltag der Frauen mit, war immer mittendrin. Auch nachts und am Wochenende“, erzählt die Wienerin mit dem herzlichen Lächeln.

Irgendwann wächst in ihr der Wunsch nach mehr Struktur. Die damals 25-Jährige möchte sich nun mehr auf konkrete Beratungsarbeit konzentrieren. So wechselt sie zunächst in die Beratungsstelle der Frauenhäuser und bald darauf zu „Frauen* beraten Frauen*“. Seit 25 Jahren ist sie nun für den Verein tätig – in der Beratung, der Projekt- und Vorstandsarbeit. Zusätzlich arbeitet sie als Lehrbeauftragte für Philosophie und Soziologie mit dem Schwerpunkt feministische und Geschlechterforschung an der Universität Wien.  

 

In zwei Beratungsstellen in der historischen Wiener Innenstadt sind Bettina Zehetner und ihre Kolleginnen im persönlichen Termin, aber gerne auch online – im schriftlichen E-Mail-Austausch – für Ratsuchende da. „Die schriftliche Beratung hat eine besondere Qualität für Menschen, die ihr Anliegen in Ruhe formulieren und zur Sprache bringen wollen, ohne sofort eine Reaktion des Gegenübers zu erleben. Diese zeitversetzte Kommunikation kann sehr guttun“, sagt Bettina Zehetner.

Die Frauen kommen in unterschiedlichen Stadien der Trennung

Die positiven Rückmeldungen geben ihr recht. „Ich bin echt verblüfft, dass unser Mailkontakt so eine Stütze für mich ist und mir darüber das Betreten anderer Denkräume möglich wird. Das hätte ich nicht gedacht und auch nicht erwartet“, schreibt zum Beispiel eine Ratsuchende ganz überrascht. „Indem ich es niederschreibe, kann ich es loslassen“, bemerkt eine andere erleichtert. Viele erleben, dass Schreiben hilft, sich zu sortieren und seine Gedanken zu ordnen.

Frauen kommen in unterschiedlichen Stadien der Trennung zur Beratung. Manche sind unzufrieden in ihrer Beziehung und wollen ergründen, wie es weitergehen kann. Andere schwanken zwischen Gehen und Bleiben oder sind bereits entschlossen und wollen die nächsten Schritte besprechen. Es melden sich Frauen in tiefster Verzweiflung, weil sie verlassen wurden. Oder sie haben sich getrennt und müssen nun einiges verarbeiten.

„Scheidungen sind nie einfach“, sagt Bettina Zehetner. „Sie lösen viele unterschiedliche, oft auch widersprüchliche Gefühle aus: Trauer, Angst vor Einsamkeit oder Armut, Verzweiflung, Scham oder Zorn, aber auch Erleichterung, Befreiung oder Aufbruchsstimmung.“ In der Beratung können Frauen aussprechen, was sie bewegt. „Hier ist Raum für alle Emotionen, denn jede hat ihre Berechtigung.“

„Es ist wichtig, Gefühle zu spüren, zuzulassen, auszudrücken"

Mehr noch: „Es darf geweint und getobt werden, Schuldgefühle dürfen genauso geäußert werden wie Rachefantasien.“ Im schriftlichen oder persönlichen Austausch beginnen Ratsuchende klarer zu sehen. Die Situation wirkt nicht mehr so überwältigend, sie sitzen wieder am Steuer. „Es ist wichtig, Gefühle zu spüren, zuzulassen, auszudrücken. Sie nicht zu verdrängen oder zu verleugnen, sondern zu durchleben. Nur so kann man sie wieder loslassen.“

Auch mit Gesprächsgruppen hat Bettina Zehetner gute Erfahrungen gemacht. Teilnehmende sind ganz bewusst sowohl Frauen, die ihre Beziehung beendet haben, als auch Frauen, die verlassen wurden. Das birgt einerseits Zündstoff. Aber auch die Chance, Perspektiven der anderen zu verstehen und sich ihrer Seite anzunähern. „Wer sich weniger als Opfer sieht, sondern auch die eigene Verantwortung erkennt, wird freier und handlungsfähiger.“

Bettina Zehetner kombiniert die psychosoziale mit einer fundierten rechtlichen Beratung. Das ist sinnvoll, weil sich bei einer Trennung meist emotionale Themen mit sachlichen Fragen rund um Finanzen, die Wohnsituation oder das Sorge- und Umgangsrecht verbinden. Da kann es sehr entlastend sein, wenn rechtliche Unsicherheiten im gleichen Gespräch ausgeräumt werden können.

Eine große Herausforderung: sich als Paar trennen und Eltern bleiben

Das ist vor allem dann wichtig, wenn es um gemeinsame Kinder geht. Sich als Paar zu trennen und gleichzeitig Eltern zu bleiben, ist eine große Herausforderung. Weil man den Kontakt aufrechterhalten muss, obwohl Abstand vielleicht besser und heilsamer wäre. Aber auch, weil Schwierigkeiten, die zur Trennung geführt haben, nicht selten bestehen bleiben und über die Kinder ausgetragen werden.

„Vor Gericht sind Väter beliebt, die Interesse am Kind bekunden und die Hälfte der Betreuung übernehmen wollen“, ist die Erfahrung von Bettina Zehetner, die das durchaus ambivalent sieht. Nicht selten gehe es den Männern eher darum, Unterhalt zu sparen. „In solchen Fällen lassen Väter ihre Kinder dann von anderen betreuen oder machen sich eine entspannte Zeit mit ihnen, während ungeliebte Alltagspflichten wie Lernen, Arzttermine und Krankenbetreuung einmal mehr an der Mutter hängen bleiben.“
 
Aus dieser Erfahrung heraus empfiehlt die Beraterin eine Probezeit für das Betreuungsmodell. „Der Vater kann zunächst eine Woche allein übernehmen. Lag die Erziehungsaufgabe vorher überwiegend bei der Mutter, wird er vieles lernen müssen“, sagt sie. Läuft es gut, kann das jedoch ein echter Gewinn für die ganze Familie sein. Die Kinder haben so Zeit mit beiden Eltern, erleben hier und dort ein ähnliches Setting, klare Betreuungsabsprachen und abgestimmte Regeln.  

In vielen Gesprächen geht es auch um Gewalt in der Familie

Der feministische Ansatz der Beratung kann die Durchsetzungskraft von Frauen stärken, indem er den Blick auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen und die weibliche Sozialisation erweitert. „Wir decken Glaubenssätze auf, wie etwa ‚Trennung ist immer schlecht‘, und ermöglichen Frauen, Zugang zu ihrer Aggression zu finden. Auf diese Weise erlangen sie Sicherheit, um wichtige, existenzsichernde Bedingungen für eine Scheidung auszuhandeln.“

Auch die emotionale Sorge treibt viele Eltern im Scheidungsprozess um: Wie werden die Kinder es verkraften? Wie kann ich sie stärken, wenn ich doch gerade selbst so schwach und verwundet bin? „Kinder spüren, wenn es ihren Eltern nicht gut geht. Sie dürfen die Traurigkeit, die Verletzung ruhig sehen. Wenn sie miterleben, dass es nach der Krise wieder bergauf geht, können sie sogar profitieren. Wichtig ist, zu vermitteln, dass sie durch die Scheidung nicht die Liebe ihrer Eltern verlieren.“

In vielen Beratungsgesprächen geht es auch um Gewalt in der Familie. „Am schwersten ist es für mich auszuhalten, wenn Mütter die Gefährdung ihrer Kinder verleugnen. Sie lehnen eine Trennung mit dem paradoxen Argument ab, ihnen nicht schaden zu wollen. Dabei wäre es das einzig Richtige, um sie zu schützen.“ Für die Beraterinnen bedeutet das einen enormen Spagat. „Wir müssen genau hinschauen, behutsam sein, aber die Frauen auch mit ihrer Verantwortung konfrontieren und bei Bedarf Unterstützung organisieren.“

Austausch, Supervision, Schreiben: Die Beraterin muss auch für sich sorgen

Wie sorgt Bettina Zehetner für sich, wenn ihr das Gehörte besonders zu Herzen geht? „Mir hilft dann der Austausch mit meinen Kolleginnen, Supervision und das Schreiben. Ich dokumentiere meine Beratungsgespräche: Was ich gehört habe, was ich geraten habe und auch meine Gefühle dazu.“ Für Bettina Zehetner eine wichtige Reflexion, die ihr hilft, Belastendes auch wirklich in der Beratungsstelle zu lassen.

„Ich gehe gerne zu Fuß nach Hause. Mit jedem Schritt fällt etwas von mir ab, sodass ich schließlich befreit zur Haustür hineingehen kann.“ Auch in der Natur bewegt sie sich gerne, geht in den Weinbergen spazieren, schwimmt in Seen oder im Meer. Wandert in die Berge, um einen anderen Blick und Abstand zu bekommen. Genauso wichtig ist ihr das Lesen. Gerne auch Bücher, die nah dran sind an den Themen der Beratung, aber neue Perspektiven eröffnen.

Was Bettina Zehetner motiviert und auch nach 25 Jahren dranbleiben lässt, ist die enorme Stärke von Frauen und ihre erstaunliche Entwicklungsfähigkeit. „Manche Ratsuchende gehen massiv belastet, verzweifelt und weinend ins Erstgespräch, wirken aber oft schon beim zweiten Mal zuversichtlicher.“ Erfolge, die der Wissenschaftlerin in ihr Mut machen, Brücken zwischen Theorie und Praxis zu bauen, ihre Erfahrungen in die Frauenforschung einzubringen, sie zu fundieren.

Beratung kann Berge versetzen – je früher sie in Anspruch genommen wird desto besser

Für Frauen da zu sein, ist ein tiefes Anliegen der engagierten Wienerin. Als Sprachrohr in der Gesellschaft, als Beraterin im direkten Kontakt. Dahinter steht die Überzeugung, dass Beratung Berge versetzen kann, wenn sie frühzeitig in Anspruch genommen wird. Nämlich bereits dann, wenn eine Frau ein Unbehagen spürt – zum Beispiel in ihrer Beziehung –, und nicht erst, wenn die Belastung zu groß wird. Denn: „Je früher sie sich Hilfe sucht, desto mehr Handlungsspielraum kann sie für sich erlangen.“

Frau mit dunklen halblangen Haaren und Brille: Porträt Bettina Zehetner, Beraterin und  Vorständin im Verein Frauen* beraten  Frauen* Wien

Bettina Zehetner ist Beraterin und Vorständin im Verein Frauen* beraten Frauen* in Wien. Zugleich ist sie Lehrbeauftragte am Institut für Philosophie der Universität Wien sowie Trainerin für Genderkompetenz.

Der Verein „Frauen* beraten Frauen*“ in Wien

Der Wiener Verein „Frauen* beraten Frauen*“ bietet Frauen* psychosoziale, rechtliche und gesundheitliche Beratung an. Außerdem Vorträge, Workshops und Psychotherapie in Form von Einzel- und Gruppenangeboten. Die Beratung erfolgt kostenlos oder gegen Spende und kann persönlich, telefonisch und online wahrgenommen werden. Die Beraterinnen kommen aus unterschiedlichen Berufen und haben eine beraterische oder therapeutische Zusatzqualifikation. 


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