Bildung
Rückblick und Wandel – wie Kinder heute lernen
Vom altmodischen Schulalltag zu einer modernen Lernkultur: Stefanie Kortmann beobachtet, wie sich ihr ehemaliges Gymnasium neu erfindet. Ihre Tochter besucht die Schule seit einigen Wochen und erlebt Vieles ganz anders als damals ihre Mutter.
veröffentlicht am 30.09.2024
Seit wenigen Wochen geht Christina auf „mein“ Gymnasium. 1987 begann dort meine Laufbahn, 1996 endete sie mit wilden Abitur-Feten – lange her! Wie lange, das wird mir vor Augen geführt, als ich am Tag der offenen Tür vor dem Lehrerzimmer stehe und das Foto mit dem aktuellen Kollegium betrachte. Bis auf eine Ausnahme kenne ich niemanden mehr. Mehr noch: In meiner Wahrnehmung damals waren die meisten Lehrer alt und grauhaarig. Sie trugen Seitenscheitel und karierte Sakkos, die Lehrerinnen Absatzschuhe, Kostüme und Seidenblusen. Viele konnten noch Alt-Griechisch, mindestens aber Latein. Der Unterricht war oft ernst, gelernt wurde aus Respekt gegenüber der Lehrkraft, manchmal auch aus Angst.
Ganz anders heute: Auf dem aktuellen Bild lachen mir eine Menge junger Menschen entgegen. Sympathisch, ist mein erster Eindruck. Wir gehen weiter und treffen auf einen dieser Lehrer. Er fragt nach den Namen und den Interessen der Kinder und dann höre ich ihn sagen: „Wir müssen ja schließlich eure Talente finden, dazu sind wir ja da!“
Neues Leitbild und Handyregelung für mehr Gemeinschaft
In diesem Moment bin ich völlig irritiert. So eine Aussage habe ich in meiner 13-jährigen Schullaufbahn nicht gehört! Ich begreife: Diese Schule, deren graue Gebäude und trostlose Klassenzimmer sich leider gar nicht verändert haben, hat sich im Inneren komplett gehäutet. Was für ein Wandel!
Ob es sich hier nicht nur um hohle Werbeversprechen handelt, können wir nun, seit dem Schulstart vor ein paar Wochen, täglich überprüfen. Und dieser Start hatte es in sich! Die Schule hat sich ein neues Leitbild gegeben. Darin: Ein Bekenntnis zur Demokratie, zu unserem Grundgesetz, zur Vielseitigkeit. Und eine Abkehr von den Handys: Die Geräte sind ab sofort lautlos in der Tasche aufzubewahren. Wer mit einem Handy erwischt wird, darf es am nächsten Tag im Sekretariat abholen. Man möchte mehr Miteinander, so das erklärte Ziel, und schaffte dazu eigens einen Tresor an, um die eingesackten Smartphones sicher zu lagern. Als diese Maßnahme auf dem Kennenlernabend verkündet wurde, spendeten die Eltern spontan Applaus. Ich auch.
Schulstart heute: Angebote für bessere Integration und Förderung
In den ersten Tagen erkenne ich viele Unterschiede zu meinem Schulstart damals: Um die Klassengemeinschaft zu stärken, wurde ein ganzer Kennenlerntag organisiert, ältere Schülerinnen und Schüler stehen als Patinnen und Paten zu Verfügung, es gibt ein Angebot der Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe unter Schülern und wer nach Schulschluss noch Lust hat, kann sich bei einer der vielen AGs anmelden. Von Sport bis Musik ist alles dabei.
Für all diese Angebote beneide ich meine Tochter. Ich finde, diese Schule macht viel richtig. Sie fordert und fördert, damit aus den Kindern junge Erwachsene und vor allem mündige Bürgerinnen und Bürger werden. Und ist es nicht genau das, worum es geht?
Künstliche Intelligenz und die Zukunft des schulischen Auftrags
Wir alle erleben gerade, wie die Künstliche Intelligenz jede Faser unserer Gesellschaft erreichen wird. Viele Organisationen werden sich neu erfinden müssen, auch die Schulen. Welcher Auftrag bleibt für sie, wenn die Kinder mit Hilfe der Technik in Zukunft so viel automatisiert erledigen werden? Meine Antwort wäre: Menschen in ihrer Persönlichkeit ausbilden! Weg von der Wissensvermittlung, hin zu einer zweiten Heimat, wo man sich wohlfühlt, Interessen entdecken und vertiefen kann, selbstständiges und kritisches Denken lernt, ein Miteinander (er)lebt und damit wichtige Fähigkeiten für das Leben erlangt.
Christina hat sich für den Chor entschieden. Das ist gut, denke ich, denn aus eigener Erfahrung weiß ich, wie glücklich Chorgesang machen kann – selbst nach der Schulzeit. Auch ich war Teil des großen Schulchors und auch wenn es eher Tradition als Absicht war: In diesem Fall zeigte mir die Schule einen Weg auf, den ich mit viel Freude im späteren Leben weiterging. So sollte es sein!