Lernen und leben
Wer braucht noch Eltern, wenn es KI gibt?
Lernmaterialien erstellen, Hausaufgaben prüfen, Vokabeln abfragen: All das hat Hannes Pernsteiner früher für seine Kinder übernommen. Jetzt suchen sie woanders Hilfe, vor allem bei ChatGPT & Co. Unser Autor hat dabei ein mulmiges Gefühl.
veröffentlicht am 07.01.2025
Was passiert, wenn Kinder statt die Eltern nur noch die KI fragen? Als Vater merke ich mit wachsender Sorge, dass ChatGPT mich ein Stück weit ersetzt – und zwar in einer Hinsicht, die mir nicht egal sein kann. Früher war ich für meine Kinder ein Welterklärer und Nachhilfelehrer. Jetzt, im Teenageralter, ist es richtig und wichtig, dass sie sich nicht mehr nur auf die Eltern verlassen, sondern auch anderswo Antworten suchen. Doch diese Suche verläuft heute fast ausschließlich im Internet, vor allem auf ihrer bevorzugten KI-Seite. Antworten auf ihre Fragen finden sie dort immer – oft auch eine Bestätigung oder Widerlegung dessen, was wir Eltern gesagt haben.
Natürlich hat diese automatisierte Lernunterstützung praktische Seiten. Ich selbst nutze sie, um beispielsweise schnell passendes Material für meine Tochter zu kreieren: „Bitte erstelle drei Englisch-Übungsblätter für die 4. Klasse Gymnasium zum Thema Jobsuche und zur indirekten Rede, mittlere Schwierigkeit, inklusive Lösungen am Schluss.“ Das spart mir Zeit. Mein 16-jähriger Sohn lässt sich Matheprobleme von der KI so erklären, dass es „ein Volksschulkind versteht“, und mit nie endender Geduld fragt ihn die Computerstimme auch Vokabellisten ab. Wir Eltern sind für anderes freigespielt – eigentlich ein Gewinn.
Die Kinder stellen ihre Aufgaben immer öfter direkt an die KI
Gleichzeitig habe ich jedoch auch Bedenken, am meisten bei den Deutsch-Hausaufgaben. Bisher haben mich meine Kinder oft um Rat oder Ideen gebeten, wenn es Erörterungen, Leserbriefe oder Kommentare zu schreiben galt. Oft musste ich mich als Vielschreiber dann in die eigene Hand zwicken, um nicht selbst in ihre Laptoptastaturen zu greifen und einzelne Passagen beizusteuern. Auch ihre Frage: „Kannst du nochmal durchlesen, ob es so passt?“ löste in mir stets innere Kämpfe aus und ich fragte mich: Tu ich den Kindern damit Gutes? Heute stellen sie ihre Aufgaben immer öfter direkt an die KI, die jeden Schreibauftrag ohne Zögern erfüllt – und das perfekt.
Das führt zu einem merkwürdigen Phänomen: Daheim erstellte Aufsätze glänzen, während die Schularbeiten nur so von Fehlern strotzen. Immer weniger trauen sich meine Kinder zu, selbst und ohne KI-Unterstützung brauchbare Ergebnisse zu liefern, was sicher auch der Bequemlichkeit geschuldet ist. Doch auch anderes steht auf dem Spiel: Grundlegende Fertigkeiten wie Nachdenken, Grübeln, Geduld und das Eingestehen von Unsicherheiten werden gar nicht mehr trainiert, wenn Kinder für jede Frage sofort ohne Mühe und ohne Nachdenkzeit eine Antwort finden. Erst langsam reagiert die Schule darauf, und ich denke es wird hier nicht bei den bisher halbherzigen Verbotsversuchen oder Appellen bleiben.
Eltern müssen ihren Kindern bewusster beibringen, analog zu leben
Was wir brauchen, ist ein kritischer Umgang mit den neuen Technologien. Kinder müssen lernen, dass eigenständiges Denken, Kreativität und auch das Aushalten von Fehlern unverzichtbar sind – selbst in einer KI-dominierten Welt. Es geht nicht darum, die Technologie zu verteufeln, sondern die von ihr generierten Ergebnisse und ihren Einfluss zu hinterfragen, auch ihre Folgen auf menschliches Verhalten. Wie verändert es den Umgang miteinander, wenn wir schon von klein auf gewohnt sind, ständig Sprachbefehle an virtuelle Assistenten zu äußern, die sie innerhalb von Sekunden erfüllen?
Für mich als Vater bedeutet reflektierter Umgang mit KI, dass Fehler wertvoll bleiben. Eine selbst erbrachte, vielleicht fehlerhafte Leistung ist immer mehr wert als ein perfektes, aber seelenloses Ergebnis der KI. Viel bewusster als bisher müssen wir den Kindern beibringen, analog zu leben: miteinander zu reden, handwerklich zu arbeiten, kreativ zu sein, zu lesen, zu beobachten und sich ohne digitale Hilfsmittel zu orientieren. Denn wirklich digital kompetent ist nur, wer die Technik nicht ständig braucht. Diese Unabhängigkeit einzuüben, erfordert Disziplin – und den Mut, das Handy öfters zumindest für einige Stunden bewusst aus der Hand zu legen.