Schwierige Entscheidung

Das Kind taufen lassen – ja oder nein?

Der sexuelle Missbrauch in der Kirche ist einer der Gründe, warum viele Gläubige aus der Institution austreten – und auch, warum einige Eltern zögern, ihr Kind taufen zu lassen. Martina Bär kann das nachvollziehen, führt aber ein Gegenargument an.
  • Martina Bär

veröffentlicht am 02.02.2023

Seit dem öffentlichen Bekanntwerden von sexuellen Missbrauchsfällen an Kindern und Jugendlichen durch katholische Kleriker und deren Vertuschung hat die Frage nach der Kindstaufe eine virulente Zuspitzung erfahren. Denn plötzlich hängt an der Frage nicht mehr nur ein (religions-)pädagogischer Zusammenhang, sondern sie wird zu einer Frage des verantwortlichen Handelns und des Kinderschutzes.

Da ich selbst Mutter bin, kenne ich dieses Dilemma nur zu gut. Eigentlich wollen viele Eltern ihr Kind mit der Taufe unter den Schutz Gottes stellen; es mit der Taufe bewusst in die Sphäre Gottes hineinnehmen; es von Kindesbeinen an in den christlichen Glauben einführen. Doch nun schleicht sich ein eiskaltes Entsetzen in die Entscheidungsfindung ein: Liefere ich mein Kind mit der Taufe und der damit einhergehenden religiösen Sozialisation durch den Dienst als Ministrant oder Ministrantin oder durch die Teilnahme an anderen Kinder- und Jugendgruppen in der Pfarrei nicht schutzlos pädophilen Priestern (Klerikern) aus? Setze ich mein Kind sehenden Auges einer Gefahr aus, die sein Leben zerstören könnte?

Schutzkonzepte gegen Missbrauch

Die Frage ist berechtigt. Und sie sollte meiner Meinung nach nicht unterdrückt oder heruntergespielt werden. Warum? Nach wie vor ist die Katholische Kirche erst dabei, den sexuellen Missbrauch durch Kleriker aufzuarbeiten. Viele Kleriker lernen erst, eine Opferperspektive einzunehmen und das Ausmaß der Verletzung durch sexuellen Missbrauch zu verstehen. Manche lehnen diese selbstkritische Aufarbeitung in Sachen Missbrauch nach wie vor ab und stellen das Image der Kirche an erster Stelle. Auch die Klärung der eigenen Sexualität erfährt meiner Beobachtung nach viel zu wenig Raum in der Kirche. Die gute Nachricht ist allerdings: Die Bistümer und Diözesen haben Schutzkonzepte gegen Missbrauch entwickelt und trainieren hauptamtlich und ehrenamtlich Tätige darin. Also alle, die in der Kirche tätig sind, werden darin geschult, welche Auswirkungen der Missbrauch hat, wie man sich richtig verhält, wie man Missbrauch frühzeitig erkennen und was man dagegen tun kann, so dass keine körperlichen oder seelischen Grenzen überschritten werden. Wenn man sich mit dem Gedanken trägt, sein Kind taufen lassen zu wollen und es gleichzeitig vor Missbrauch schützen möchte, dann sollte man sich in der Pfarrei vor Ort nach dem Schutzkonzept vor Missbrauch erkundigen und fragen, ob das Personal bereits darin geschult worden ist.

Für manche Eltern geht die Frage aber noch tiefer. Sie fragen sich, ob man sein Kind überhaupt in eine „Täterorganisation“ hineintaufen lassen möchte, also eine Institution, die Täter schützt. Auch diese Frage ist berechtigt. Allerdings darf man nicht alle Kirchenmänner und hauptamtlich Angestellten als Täter oder Mittäter betrachten. Zum Glück besteht die Kirche aus einer großen Mehrheit an Hauptamtlichen, die verantwortlich handeln, mit einer (Mit-)Täterschaft nichts am Hut haben und Missbrauch jeglicher Art verabscheuen. Mit diesen Menschen kann gemeinsam eine heilvolle Kirche gelebt und aufgebaut werden.

Martina Bär

Martina Bär ist Professorin am Institut für Systematische Theologie und Liturgiewissenschaft der Universität Graz und leitet den Fachbereich Fundamentaltheologie. Einer ihrer Schwerpunkte ist die theologische Frauen- und Geschlechterforschung.



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