Verkanntes Sakrament
„Die Beichte kann heilen“
Warum das Sakrament der Beichte heute noch aktuell ist, wie es Menschen helfen kann und welche Gefahren es birgt. Ein Interview mit dem Hildesheimer Priester Christian Hennecke.
veröffentlicht am 29.02.2020
Herr Hennecke, ist die Beichte heute noch zeitgemäß?
Ich denke, dass das Thema Versöhnung ein zentrales Thema für die Menschen ist – Versöhnung mit sich selbst und Versöhnung mit anderen. Die Frage nach der eigenen Geprägtheit und Verletztheit bewegt alle Menschen. Wir Menschen sind eben auch gebrochene Wesen. Der Einzelne muss sich fragen, ob die Zusage der Liebe Gottes für ihn wichtig werden könnte – und ob er dieser unbedingten Liebe Glauben schenkt. Vor Weihnachten saß ich in einer Domkirche zwei Stunden im Beichtstuhl und ich muss sagen, ich habe dort keine einzige Beichte erlebt, die nicht sehr bewusst mit innerer Bewegung ablief und wo Leute wirklich genau dies suchten. Ich würde das nicht unterschätzen, ich glaube, dass die Beichte ein sehr wichtiges Instrument sein kann. Das hängt natürlich davon ab, auf wen der Beichtende trifft und ob da eine Sensibilität und Offenheit vorhanden ist, sich ernsthaft das Thema anzuschauen, das die Person bewegt. Die Menschen sind frei, zu sagen, was sie wollen, und die meisten tun das auch, weil es sie wirklich bewegt und weil sie eine Antwort suchen. Von daher halte ich das Thema Beichte für ein sehr wichtiges Thema. Die Menschen brauchen ein Empfinden über die eigene Gebrochenheit und über die Möglichkeit der Heilung.
Glauben Sie, dass viele junge Menschen das Sakrament der Beichte heute noch nutzen?
Ich würde sagen, dass das keine Altersfrage ist. Ich kenne keine Generation, auch nicht ältere Menschen, die beichten, weil sie zur Beichte gehen müssen. Ob ein Mensch den Zugang zum Beichtsakrament gefunden hat, hängt mit zwei Dingen zusammen: Glaube ich wirklich, dass es einen Gott gibt, der mich liebt, und habe ich das schon erfahren? Und habe ich eine positive Erfahrung und eine Grundoffenheit für ein Gespräch, in dem mir diese Vergebung und versöhnende Liebe zugesprochen wird? Ein Beispiel: Wenn Sie als Priester im Sommer nach Taizé fahren und von den Brüdern aufgefordert werden, am Abend zu Beichtgesprächen zur Verfügung zu stehen, kommen Sie unter drei Stunden nicht weg. Warum? Weil sich viele Leute in diesem Kontext wünschen, über ihre ungeklärten Fragen und ihre Gebrochenheiten ins Gespräch zu kommen, egal, ob es mit einer sakramentalen Beichte vergleichbar ist oder nicht. Bei anderen Initiativen wie Kirchentagen oder „Weltjugendtagen“ wird es immer solche Erfahrungen schwerpunktartig geben. Gleichzeitig ist Beichte in Kirchengemeinden kaum noch ein Thema. Dagegen ist zunächst mal nichts zu sagen. Viele Menschen haben ein gesundes Empfinden dafür, wann sie so etwas brauchen.
Um welche Themen geht es denn am meisten in der Beichte?
Die Themen sind gar nicht so spektakulär. Es geht fast immer um den Umgang mit dem Nächsten. Wie das konkret ausgedrückt wird, ist sehr unterschiedlich. Ich habe Menschen ungerecht behandelt oder ich bin meinem Partner gegenüber ungerecht oder, oder, oder. Es sind auch Fragen im Kontext der Sexualität dabei oder Fragen bezüglich der eigenen Ehrlichkeit und des Umgangs mit sich selbst. Es geht um tiefe Unzufriedenheit oder Abhängigkeiten, in die jemand geraten ist.
Kann in einer Beichte eine gleichwertige Gesprächssituation mit dem Beichtvater entstehen?
Der Beichtende kann selbst entscheiden, ob er sich hinkniet oder an einen Tisch setzt. Wenn es aber so wäre, dass ich als Beichtvater jemanden zwingen würde, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten, dann wäre ein Oben und Unten gegeben. Es kommt auch auf meine Haltung an, als jemand, der die Beichte hört. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass ich derjenige bin, der hier Recht und Gnade verteilt. Was ja nicht so ist! Meine einzige Aufgabe ist es, im Namen Gottes zu vergeben. Mein sakramentales Handeln als Priester besteht also darin, dass ich der Liebe Gottes eine Stimme leihe. Wenn man im Dunkeln steht, braucht man jemanden, der einem das zusagt. Und als Beichtvater ist es nicht so, dass ich ein Sortiment an möglichen Bußaufgaben hätte nach dem Motto: fünf Ave Maria, zehn Vaterunser oder eine gute Tat. Sondern es geht um die Frage, was könnte ein Schritt sein, der mich mehr in eine innere Ruhe und Zufriedenheit bringt – und mich neu anfangen lässt.
Beichte kann potenziell manipulativ sein. Wir sprechen von spirituellem Missbrauch. Wie sehen Sie dieses Phänomen?
Es kann offensichtlich geschehen, dass im Kontext der Beichte Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen werden. Das kann vorkommen, wenn es so etwas wie eine geistliche Begleitung gibt, die sagt, du musst aber so und so leben. Das ist aber nicht die Rolle des Beichtvaters. Seine Rolle ist es, die unbedingte Liebe entgegenzuhalten und den Menschen zu einer befreienden Erfahrung zu verhelfen.
Was empfehlen Sie bezüglich des Umgangs mit spirituellem Missbrauch?
Das klingt banal, aber der Beichtende sollte sofort rausgehen. Wenn sich ein Mensch in so einer Situation übermächtigt fühlt, dann sollte er seinem Gewissen folgen und schnell rausgehen. Es ist wahrscheinlich leichter gesagt als getan, denn vielleicht denken einige, dass es so sein muss. Aber die Beichte ist ein Sakrament der Versöhnung, und am Ende stehen ein Fest, Freude, Befreiung, eine Perspektive und ein Licht. Das sind alles Kriterien, die man spüren kann, und das Gegenteil davon auch. So hart oder schwierig meine Erfahrungen von Scheitern und Sündigkeit sind, die Beichterfahrung will zutiefst, dass man erfährt, dass da jemand ist, der mich zuerst umarmt. Dass ich erfahren darf, ich bin zwar der, der ich bin, ich bereue zutiefst, aber ich muss nicht zu Kreuze kriechen.
Gibt es aktuelle Zahlen, wie häufig die Beichte heute genutzt wird?
Die sind nicht zu finden. Es geht aber bei der Beichte nicht um Zahlen, sondern darum, ob es Orte gibt, an denen diese Befreiung erfahrbar gemacht werden kann und von denen dürfte es ruhig noch mehr geben. Wir leben in einer Zeit mit vielen Umbrüchen. In unserer Kirche, ist einerseits das Bedürfnis da, wirklich und ernsthaft Versöhnung zu finden, die Form ist aber nicht zwingend angemessen. Gleichzeitig denke ich, dass wir in einer derart pluralistischen Welt leben, dass sich eine Vielfalt von Formen etabliert – von bekannten und neuen. Ich glaube, dass die erfahrbare und spürbare Zusage von Versöhnung ein wichtiges Geschenk ist. Die Kirche ist schon seit Jahrtausenden auf der Suche nach angemessenen Formen dafür. Das ist auch richtig so, weil jede Zeit ihre neuen Formen braucht, das ändert jedoch nichts an der Substanz der Sache.