Jugendliche und Medien

„Nicht jedes Ballerspiel macht den Spieler zu einem schlechten Menschen“

Warum Medienpädagogik so wichtig ist und was Eltern beim Umgang ihrer Kinder mit digitalen Medien beachten sollten. Ein Interview mit dem Medienpädagogen Björn Friedrich.

veröffentlicht am 03.01.2020

Herr Friedrich, warum brauchen wir heute Medienpädagogik und jemanden, der uns sagt, wie wir sinnvoll mit digitalen Medien umgehen?
Der Umgang mit digitalen Medien hat zugenommen, und viele Leute sind überrascht und überfordert, wie viel Neues es gibt, und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Es verändert sich ja alles rasend schnell. Früher waren Medien eher etwas, das im Wohnzimmer oder im Kinderzimmer herumstand, und heute hat man das Handy immer dabei, und die Kinder werden im Auto oder im Restaurant damit beschäftigt. Kinder kommen so von klein auf mit Medien in Berührung. Da ist immer die Frage, wie geht man gut damit um und wie kann man auch Eltern gute Handlungsmöglichkeiten vermitteln und sinnvolle Tipps zur Medienerziehung geben.

Was sollte man beim Umgang von Kindern und Jugendlichen mit digitalen Medien unbedingt beachten?
Ich glaube, vor allem muss das Gesamtbild stimmen. Die Eltern sollten schauen, welche Kanäle sind für mein Kind sinnvoll, also welche Spiele und welche Apps, und was passt weniger. Dabei muss man sich als Erziehungsperson anschauen, was wirkt wie auf welches Kind, und sollte nicht alles in eine Schublade stecken. Nicht jedes „Ballerspiel“ macht den Spieler per se zu einem schlechten Menschen. Außerdem muss geschaut werden, welcher zeitliche Umfang der Mediennutzung in Ordnung ist und wie die gesamte Freizeitgestaltung, also die Balance zwischen Sport, Musik, Schule, Freunden, Familie und Medien, zusammenpasst. Es gibt ja viele Faktoren, die in das Zeitkontingent eingreifen, und das sollte alles irgendwie in Einklang sein und sinnvoll nebeneinanderstehen.

Wo sollten die Schwerpunkte bei der Medienerziehung liegen?
Eine wichtige Kernaufgabe ist, Kindern von klein auf zu zeigen, dass sie verschiedene Sachen mit einem einzigen Gerät machen können. Denn sie sehen die Handys und Tablets, sind neugierig und wollen damit spielen. Im Schulalter und bei Jugendlichen geht es ja vor allem darum, dass man die Geräte nutzen kann, um sich zu informieren, sich auszutauschen, und um die typische Online-Selbstdarstellung, die heutzutage unvermeidbar ist. Auch dafür sollte man idealerweise über die Hintergründe Bescheid wissen, bevor man sein Instagram-Profil mit Bildern füllt. Später geht es dann darum, sich für das Arbeitsleben fit zu machen, und da sind Medien und Computernutzung in den meisten Berufen unabdingbar. Je früher diese Grundlagen gelegt werden, umso besser sind die Kinder dann darauf vorbereitet.

Was halten Sie vom Einsatz von digitalen Medien in Kindertagesstätten?
Der Hintergedanke beim Einsatz von Medien in der KiTa ist, dass Kinder zu Hause Handys und Tablets herumliegen sehen und die Geräte ständig in den Erwachsenenhänden sind. Kinder nutzen Handys und Tablets von klein auf, um Videos anzuschauen, Kinder-Apps zu nutzen und Spiele zu spielen. Es ist also ein Medienumgang in der Familie vorhanden, und deshalb war die Idee, auch kleinen Kindern sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten zu zeigen. Der Computer soll nicht nur als Arbeitsmöglichkeit gesehen werden, das Handy und das Tablet nicht nur als Spielkonsole oder zum Videos Anschauen wahrgenommen werden. Stattdessen sollen auch Lernspiele für Kinder zur Verfügung stehen, und sie sollten kreativ mit den Medien arbeiten können. Das heißt: nicht nur Fotos knipsen, sondern auch bearbeiten, kleine Videoschnipsel zusammenbasteln, oder einen Stop-Motion-Film machen mit Plüschtieren, Lego oder Ähnliches.

Wie schätzen Sie die Gefahr von Suchtverhalten ein?
Sucht ist ein schweres Wort. Medizinisch ist Computerspielsucht mittlerweile als eine nicht stoffgebundene Sucht anerkannt, aber eine Online- oder Social-Media-Sucht gibt es bis jetzt nicht. Als Medienpädagoge fragt man sich, ob es gleich eine Sucht ist, wenn jemand gerne sein Handy nutzt. Man sollte genau hinschauen, ob Kinder und Jugendliche immer das gleiche machen, oder das Handy für viele verschiedene Sachen nutzen. Wenn jemand nur das Spiel Fortnite spielt und nichts anderes macht, kann das irgendwann in eine Sucht abgleiten, aber wenn jemand gerne am Handy ist und WhatsApp-Nachrichten schreibt, bei Instagram schaut, auf ­YouTube ein Video ansieht oder ein Spiel spielt, dann sind das verschiedene Nutzungsweisen, die sich alle an einem Gerät abspielen. Früher gab es verschiedene Kanäle, wie Fernseher, Telefon, Radio, Zeitung, und heute macht man alles mit einem Gerät. Daher muss man genau hinschauen, ab wann das Verhalten besorgniserregend ist.

Kinder und Jugendliche werden heutzutage auch online gemobbt und leiden sehr darunter. Wie sehen Ihre Erfahrungen mit Cybermobbing aus?
Cybermobbing ist ein Thema, das immer wieder auftritt. Es gibt regelmäßig Einzelfälle in der Schule oder im Freundeskreis, überwiegend in der siebten bis neunten Klasse. Auch hier glaube ich, dass die Medien nicht das Problem sind, sondern eine neue Form des Austragens. Mobbing gab es schon immer und wird heute fortgeführt über digitale Medien. Über WhatsApp oder andere digitale Medien wird jemand belästigt, beschimpft und bedroht. Außerdem werden peinliche oder manipulierte Aufnahmen verbreitet, sowie Lügen und Gerüchte. Manche gründen auch Hass-Gruppen, in die die Person, um die es geht, nicht aufgenommen wird. Cybermobbing hat eine ganz neue Qualität. Man kann permanent belästigt werden, nicht nur während der Schulzeit, es gibt eine große Öffentlichkeit, und wenn etwas verschickt wurde, ist es nicht mehr rückgängig zu machen. Ein Beispiel dafür sind Nacktaufnahmen, die sich junge Paare schicken und die nach einem Streit weiterverteilt werden, bis plötzlich die ganze Schule die Bilder kennt. Manchmal endet es glimpflich, aber es kommt auch vor, dass die Schule oder der Wohnort gewechselt werden muss.

Wie geht man damit um? Welche Sanktionen gibt es überhaupt für solche Fälle?
Viele wollen das erst mal für sich behalten und allein damit fertig werden. Manchmal kann das auch der richtige Weg sein. Es kann aber dazu führen, dass man sich zurückzieht, vereinsamt und alles in sich hineinfrisst. Meistens fällt es irgendwann den Eltern, Geschwistern oder Schulsozialarbeitern auf, oder jemand erzählt es der Lehrkraft.
Wir empfehlen immer, dass die Jugendlichen das untereinander klären sollen. Beispielsweise mit Klassensprechern, oder es gibt Peer-to-Peer-Projekte wie „Streitschlichter“ oder „Medienscouts“. Die sind darin geschult und können in die Klasse gehen und mit den Schülern reden, ebenso wie Vertrauenslehrer oder Schulsozialarbeiter. Manchmal klären auch Eltern mit den Kindern die Situation. Im schlimmsten Fall gehen die Betroffenen zur Schulleitung oder zur Polizei. Dann kann es zu Jugendstrafen kommen, wenn es sich um Straftatbestände wie Beleidigungen, Bloßstellungen, Verleumdungen oder Verletzungen des Rechts am eigenen Bild handelt.

Medienpädagoge Björn Friedrich von Studio im Netz

Björn Friedrich (42) ist Medienpädagoge und arbeitet für die medienpädagogische Facheinrichtung „SIN – Studio im Netz“ in München. SIN ist eine gemeinnützige Einrichtung, agiert bundesweit und beschäftigt sich mit allen Themen rund um digitale Medien für Kinder und Jugendliche.


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