Jung und non-binär
Was es für Quinn bedeutet, weder Mann noch Frau zu sein
Für Quinn Spiegel hat es lange gedauert, sich als non-binär zu identifizieren und sich vor Familie und Freunden zu outen. Heute setzt sich Quinn dafür ein, dass queere Kinder und Jugendliche offen über ihre geschlechtliche Identität reden können.
veröffentlicht am 02.08.2023
Kurze braune Haare, ein Hemd mit Palmen drauf, Jeans. Von Weitem sieht Quinn Spiegel wie ein junger Mann aus. Wer näher kommt, sieht, dass die Augen hinter der Brille geschminkt sind: Eyeliner, ein bisschen Lidschatten. Also ist Quinn doch eine Frau? „Weder, noch“, sagt dey selbst. Und wenn hier „dey“ steht, dann ist das kein Druckfehler, sondern ein geschlechtsneutrales Pronomen, das von manchen Menschen benutzt wird, die sich als nicht-binär, also weder als männlich noch als weiblich, definieren. So wie Quinn.
Zur Welt gekommen ist Quinn als Mädchen. „Aber mir war schon als Kind klar, dass das irgendwie nicht ganz passt“, erzählt dey. „Ich hatte meine Freundinnen zum Spielen, das war alles okay. Aber wenn ich gesagt habe: ‚Ich bin ein Mädchen‘, hat sich das ganz falsch angefühlt. Gleichzeitig hat es aber auch nicht gepasst zu sagen: ‚Ich bin ein Junge‘.“ Als Kind war für Quinn da eine Lücke, die sich nicht schließen ließ.
Mit 13 hat dey zum ersten Mal von Transgender-Personen gehört. Und war erleichtert zu wissen, dass es mehr Menschen gibt, die sich mit ihrer bei der Geburt zugewiesenen geschlechtlichen Identität nicht identifizieren. Doch das Problem, sich nicht einem Geschlecht zuordnen zu können, blieb. „Ich habe mir lange gewünscht, einfach ein Mädchen oder ein Junge zu sein wie andere auch. Ich habe sogar zu Gott gebetet, dass er mich ‚normal‘ macht“, sagt Quinn – katholisch erzogen und schon als Kind in dem Jugendverband Katholische junge Gemeinde (KjG) aktiv.
Angst vor Ablehnung
Als Quinn 15 Jahre alt war, outete sich Sänger*in Sam Smith öffentlich als nicht-binär. Das war der Moment, in dem auch Quinn klar war: Ich bin weder ein Mädchen, noch ein Junge. Ich bin nicht-binär. „Für mich war das ein echter Aha-Moment“, erzählt Quinn. „Trotzdem habe ich erst mal mit niemandem darüber geredet, dass ich auch nicht-binär bin.“
Zu groß war die Angst, nicht ernst genommen zu werden, ausgelacht oder abgelehnt. Aber Quinn hat viel über die eigene Identität nachgedacht und im Internet zu den Themen Transgender und geschlechtliche Diversität gegoogelt. Wie intensiv dey sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat, merkt man sofort, wenn man mit Quinn spricht. Denn heute kann dey darüber reden und tut das mit einer Mission: „Ich will dazu beitragen, dass queere Menschen als ganz normal gelten und einen Platz in der gesellschaftlichen Wahrnehmung bekommen. Und vor allem will ich queeren Kindern und Jugendlichen zeigen, dass sie in Ordnung sind, so wie sie sind.“
Auch kleine Kinder wüssten schon sehr genau, ob sie sich als weiblich, männlich oder eben keines von beidem empfinden, ist Quinn sich sicher. Eltern sollten Äußerungen zu ihrer geschlechtlichen Identität deshalb ernst nehmen. „Dann weiß das Kind, dass es über dieses Thema reden darf und sich mit seinen Zweifeln und Fragen nicht verstecken muss.“
Quinn selbst hat sich lange nicht getraut, den eigenen Eltern zu sagen, dass dey sich als non-binär empfindet. Die ersten, die davon erfuhren, waren Freundinnen und Freunde. „Die haben alle ganz offen reagiert und mich sehr unterstützt“, sagt Quinn. „Aber bei meinen Eltern hatte ich wirklich Angst, dass sie mich nicht verstehen und möglicherweise sogar ablehnen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass man von Eltern abhängiger ist als von Freunden.“
Die Sache mit dem Namen
Vor der Familie geoutet hat Quinn sich deshalb erst, als dey von Zuhause ausgezogen war, um in Jena Biochemie zu studieren. Und auch da traute Quinn sich noch nicht, die eigene geschlechtliche Identität in einem persönlichen Gespräch zum Thema zu machen. „Ich habe meinen Eltern einen Brief geschrieben, in dem ich versucht habe, das zu erklären.“ Als Reaktion darauf sind Quinns Eltern nach Jena gekommen und die drei haben doch noch persönlich darüber geredet. Einfach war das Gespräch für beide Seiten nicht. Schon allein wegen der Sache mit dem Namen.
Quinns Eltern hatten bei der Geburt einen eindeutigen Mädchennamen für ihr Kind ausgesucht. „Das ist mein Deadname. Er passte nicht zu mir“, sagt Quinn und will den Namen deshalb auch in dieser Geschichte nicht nennen. Deadname – toter Name – so sagen viele non-binäre oder Transgender-Personen zu dem Vornamen, den sie bei der Geburt bekommen haben. Und wie Quinn wollen viele diesen Namen loswerden, weil er sie zu etwas macht, das sie nicht sind.
Quinn suchte im Internet nach genderneutralen Namen und ließ sich von Freundinnen und Freunden bei der Auswahl beraten. „Quinn“ war am Ende der Favorit. Den Eltern allerdings fiel es schwer, den neuen Namen zu akzeptieren. Wie auch? Für sie war der ursprüngliche Name fest mit ihrem Kind verbunden. Sie hatten ihn mit Liebe für das Kind ausgesucht und es unter diesem Namen 18 Jahre gekannt und geliebt. Aber sie lieben ihr Kind immer noch – auch mit der neuen, ungewöhnlichen geschlechtlichen Identität. Mittlerweile nennt die ganze Familie Quinn nur noch Quinn. Und wenn die Oma aus alter Gewohnheit doch einmal den alten Namen benutzt, ist es Quinns kleine Cousine, die mahnt: „Quinn ist doch kein Mädchen mehr.“
Doch einen Namen auszusuchen und sich von Freunden und Familie so nennen zu lassen, ist eine Sache. Name und Geschlecht offiziell zu ändern, eine ganz andere. Deshalb gilt Quinn bei Behörden immer noch als weiblich und im Personalausweis steht der Name, den dey bei der Geburt bekommen hat. Allerdings hat Quinn einen Ergänzungsausweis der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti). Dort sind alle selbst gewählten Daten dokumentiert: Name: Quinn Maria, Pronomen: dey, Geschlecht: divers. Von Innenministerium und Polizei ist der Ergänzungsausweis anerkannt. Auch bei der Bank konnte Quinn damit das Konto auf den neuen Namen ummelden. „Diesen Ausweis zu bekommen, war ein Riesenschritt für mich. Ich habe geheult, als ich ihn zum ersten Mal in der Hand hielt“, erzählt dey.
Hoffnung auf ein Selbstbestimmungsgesetz
Um das eigene Geschlecht offiziell ändern zu lassen, braucht es in Deutschland nach dem Transsexuellengesetz zwei psychologische Gutachten und ein Gerichtsverfahren. Für Quinn geht es dabei nicht um eine Operation. Als non-binäre Person wäre ein männlicher Körper nicht richtiger als ein weiblicher. Aber dey würde gerne offiziell als „divers“ gelten. Deshalb hofft dey auf ein Selbstbestimmungsgesetz, das die rechtliche Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag im Personenstandsregister zukünftig durch einen einfachen Antrag beim Standesamt möglich macht. Im Koalitionsvertrag hat die Regierung sich das vorgenommen – umgesetzt ist es allerdings noch nicht. „Da gibt es viele falsche Ängste“, meint Quinn. „Etwa, dass Kinder umoperiert würden oder dass jemand ständig sein Geschlecht verändern könnte.“
Unverständnis und irritierten Blicken begegnet Quinn im Alltag öfter, offenen Anfeindungen zum Glück nicht. „Mich hat schon mal jemand auf der Straße gefragt, ob ich eigentlich eine Frau oder ein Mann bin. Das finde ich unangemessen“, erzählt Quinn. Wenn dey jemanden näher kennenlernt und dann die Frage nach der geschlechtlichen Identität aufkommt, ist das aber kein Problem: „Das gehört zu mir wie andere Fakten auch: Ich bin 21 Jahre alt, studiere Biochemie, gehe gern klettern und bin non-binär.“ Und wie ist das mit Liebe und Partnerschaft? „Eine Zeit lang habe ich gedacht, ich stehe nur auf Frauen, aber das ist gar nicht so“, verrät Quinn. Im Moment ist dey solo und wartet einfach darauf, sich in eine Person zu verlieben – egal, ob weiblich, männlich oder non-binär.
Kleine Erfolge und Herausforderungen im Alltag
In Jena hat dey sich von vornherein überall als Quinn vorgestellt und – wenn die Frage aufkam – auch ganz offen als non-binär. Angeeckt ist dey damit nicht. Auch in der KjG hat Quinn sich geoutet – denn der katholische Glaube ist dey wichtig, auch wenn sich die Kirche vielerorts schwer tut mit queeren Menschen. „Kirchliche Jugendverbände haben damit zum Glück kein Problem. Seit 2020 ist das dritte Geschlecht sogar extra berücksichtigt, wenn es um die geschlechtergerechte Besetzung von Gremien in der KjG geht“, sagt Quinn stolz. Dey ist mittlerweile auf Bundesebene des Verbandes aktiv und Mitglied im Sachausschuss für Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt, um queeren Menschen in der Gesellschaft und in der Kirche mehr Anerkennung zu verschaffen. Dass der Einsatz etwas bewirken kann, macht Quinn an kleinen Erfolgen fest: „Mein Vater ist Diakon, und seit ich mich bei meiner Familie geoutet habe, sagt er bei der Predigt nicht mehr ‚Liebe Schwestern und Brüder‘, sondern ‚Liebe Geschwister im Glauben‘. So kann ich mich auch angesprochen fühlen. Das ist toll“, freut dey sich.
Im alltäglichen Leben ist jedoch vieles ganz klar in männlich und weiblich aufgeteilt. Für non-binäre Menschen wie Quinn kann das zum Problem werden. Bei öffentlichen Toiletten zum Beispiel gibt es normalerweise eine für Frauen und eine für Männer. „Meistens nehme ich einfach die, die näher da ist oder bei der weniger los ist“, erklärt Quinn. „Im Zweifelsfall gehe ich eher auf die Männertoilette, weil für viele Frauen die Frauentoilette ein Schutzraum ist und sie sich eher gestört fühlen von einer Person, die nicht eindeutig weiblich ist. Oder ich mache es davon abhängig, ob ich gerade eher männlich oder eher weiblich aussehe.“ Die Brüste versteckt dey meistens unter einem Sport-BH, aber aufgrund von Kleidung oder Schminke wirkt Quinn manchmal eher weiblich und manchmal eher männlich.
Das ist aber nur die Wahrnehmung von außen. Für Quinn selbst ist klar, dass dey weder das eine noch das andere ist, sondern etwas dazwischen. Non-binär eben.