Volontariat in Kolumbien
Eine Zeit, die das Leben verändert
Wir begleiten Jan und Leopold bei ihrer Arbeit in Medellín. Und die beiden Volontäre erzählen, was sie von Kolumbien, seinen Bewohnern und ihrer Zeit dort gelernt haben.
veröffentlicht am 30.06.2019
Jan springt aus einem Taxi und verschwindet kurz in den kleinen Läden und Ständen an der Straßenecke. Gleich geht es für ihn beladen mit Snacks, Kakao, Obst und Gebäck wieder hoch. Rauf in die Barrios, und mit jedem Meter nach oben schwindet der Wohlstand, und die Armut ihrer Bewohner wird deutlicher. Oben angekommen, entlädt der 18-jährige Kölner das Taxi, und los geht es mit „Derecho a sonar“, dem „Recht, zu träumen“. Montags, dienstags und donnerstags brechen Jan und Leopold (aus Hamburg) als Don Bosco Volunteers in verschiedene Viertel auf, machen Freizeitangebote und Gruppenstunden. Die Familien der teilnehmenden Kinder werden dabei von Sozialarbeitern der Ciudad Don Bosco in Medellín betreut. Das große Jugendhilfezentrum, hoch oben auf einem anderen Berghang der kolumbianischen Millionenstadt, ist gerade das Zuhause für die beiden Abiturienten. Für ein Jahr haben sie Deutschland den Rücken gekehrt – für einen Freiwilligendienst in der Stadt, die noch vor 20 Jahren als die gefährlichste Stadt der Welt galt.
Doch Medellín hat einen erstaunlichen Wandel hingelegt in diesen vergangenen 20 Jahren. Das öffentliche Transportsystem zählt zu den fortschrittlichsten weltweit, weil Seilbahnen die Metro ergänzen. Dadurch schaffte man besseren Zugang zu den Arbeitsplätzen unten in der Innenstadt und brach zugleich die Macht der kriminellen Banden, die bisher die Viertel im Griff hielten und sich mit Schutzgeld finanzierten. 2013 kürte das Wall Street Journal Medellín zur innovativsten Stadt der Welt – auch, weil Kreative die Stadt bereichert haben mit Graffitis, Start-ups, Kulturinitiativen.
Leopold findet, dass er von den Kolumbianern ganz viel Optimismus gelernt hat, der sei beeindruckend hier. „Trotz vieler Probleme sagen viele, es hätte schlimmer kommen können, und reißen sich dann einfach wieder zusammen.“ Auch Jan findet, dass ihn die kolumbianische Lebensart verändere. „Man meckert weniger. Ich sage, was mich stört, und dann ist’s auch wieder gut.“ Und Grund zum Meckern kann man ja immer finden. Nicht immer passt alles in einem Freiwilligendienst, wo junge westlich geprägte Menschen auf neue Kulturen treffen und wenig Zeit für sich selbst bleibt. Für Jan und Leopold sind es eher die kleinen Dinge, die nerven. „Wir kommen morgens zur Arbeit, und dann heißt es, heute sei eine superwichtige Messe oder ein Ausflug oder was auch immer und es geht in zehn Minuten los. Und man fragt sich, echt – warum erfahren wir davon erst jetzt? Das nervt weiterhin, obwohl ich daran gewöhnt sein sollte, weil es ständig passiert.“
Offenheit und Hilfsbereitschaft
Zu 90 Prozent, beschreiben beide, sei ihre Arbeit Freizeitbetreuung der Kinder. Letzte Woche hatte Jan zum Beispiel einen Morseapparat mit den Kids gebaut und sie haben sich Nachrichten geschickt. Bei Leopold haben sie ein Gruppenwappen gebastelt. Dazu Büroarbeit, die pädagogischen Fallakten der Kinder ergänzen, und zu Hause geht es dann gleich weiter. Die Ciudad Don Bosco teilen sich die beiden mit mehr als 300 Kindern und Jugendlichen, die hier wohnen, und weiteren 500, die hier täglich zur Schule gehen oder eine berufliche Ausbildung machen. Dazu Sozialarbeiter, Salesianer Don Boscos und weitere Volunteers aus Österreich und Holland. Für Kinder und Jugendliche da sein, das war Leopold wichtig, als er sich Anfang der 12. Klasse von Hamburg aus bei Don Bosco Volunteers bewarb. Und Jan, der in der 11. Klasse für zwei Monate einen Austausch nach Argentinien gemacht hatte, wollte nach dem Abi gerne wieder zurück nach Lateinamerika. Ihr verändertes Leben fühlt sich jetzt nach acht Monaten Kolumbien völlig normal an. Kalte Dusche morgens, sehr viel Reis, der gleichbleibende Frühling, der nur in der Regenintensität variiert, und der pünktliche Sonnenuntergang um 18 Uhr.
Immer noch besonders fühlen sich dagegen andere Momente an. Der Blick oben von der Ciudad Don Bosco auf das Lichtermeer der Millionenstadt. „Die Offenheit und Hilfsbereitschaft, die einem weiterhin extrem auffallen – und das sag ich als Kölner!“, meint Jan. Und auch die bitteren Momente. „Die zehn Prozent, wenn man sich die krassen Sachen vergegenwärtigt, die wir hier erzählt bekommen“, so Leopold. „Wir können die Alltagssorgen der Kids hier oft ausblenden, wir sorgen ja für Ablenkung in ihrem Leben, und sie können spielen, quatschen, was auch immer. Aber letztens erst wieder zog einer der Jungs sein Hemd hoch, zeigt auf eine Riesennarbe über seiner Brust und sagt, hier hätten sie ihn geschnitten.“
Sucht, Arbeitslosigkeit, Armut, zerrüttete Familien, Gewalt. In El Salado, einem Viertel der berüchtigten Communa 13, zeigt sich das Trauma Kolumbiens, wo vertriebene Landbewohner aus 50 Jahren Bürgerkrieg in zweiter Generation siedeln und vielfach traumatisiert sind. Und Jan, der komme immer noch nicht klar damit, dass er so oft gefragt werde, ob ein Kind bitte noch mehr von den Snacks haben könne. Weil es bisher nichts gehabt hätte, oder es nichts mehr zu Hause geben werde. Und wenn man dann bei Familienbesuchen inmitten von Wellblech, nackten Ziegeln und Gestank wieder realisiere, wohin die Kids jedes Mal nach der Gruppenstunde gingen, während man selber wieder draußen sei – in der vergleichsweise komfortablen Ciudad Don Bosco, aber auch wieder zu Hause, in Hamburg und Köln.
Viele schöne Momente
Für Leopold und Jan geht es zu Hause gleich weiter mit Veränderung. Studium oder vielleicht doch auch eine Ausbildung? Leopold bleibt bei Wirtschaftsingenieurwesen, irgendwo ab Herbst. Jetzt muss er aber erst einmal essen. Diese langen Tage, dazu abends die Sporthalle in der Ciudad Don Bosco, wo er mit den Kindern ein paar Körbe wirft und einfach dabei ist – das macht alles tierisch hungrig.
Gefragt nach ihren schönsten Erlebnissen, müssen beide nicht lange überlegen. Die Kinder und die Menschen hier – so vieles, was man mitnehme nach Hause. Der Moment, als die Kinder im Barrio nach Monaten der anfänglich eher distanzierten Zusammenarbeit zum ersten Mal strahlend dem Taxi mit ihnen entgegengelaufen seien. Jan sagt, ihm hätten die Vorbereitungsseminare und die Gespräche mit den ehemaligen Don Bosco Volunteers viel gegeben. Die hätten ihm geraten, möglichst wenig Erwartungen zu haben und einfach für alles offen zu sein. Ihn habe das Jahr sensibler für sein Umfeld werden lassen. Wenn man die eigene Sozialisationsblase verlässt, wird man geduldiger und demütiger. Trotzdem hat Jan immer noch nicht so einen genauen Plan, wie es ab Herbst für ihn weitergeht. Vielleicht doch Musik studieren? Lehrer werden? Oder Musikpädagogik? Oder Ausbildung? Ganz sicher aber werden die Begegnungen hier in Medellín sein Leben verändert haben. Und er wird etwas Sinnvolles gemacht haben. So viel steht schon mal fest!
Mach was Sinnvolles! - Freiwilligendienst mit Don Bosco
Ein Freiwilligendienst mit Don Bosco Volunteers im Ausland dauert zwölf Monate und wird von dem Programm „weltwärts“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
gefördert. Die Freiwilligen werden von Don Bosco Volunteers in drei Vorbereitungsseminaren auf die Herausforderungen eines Freiwilligendienstes vorbereitet. Bewerben für die 50 Plätze können
sich junge Menschen zwischen 18 und 28 Jahren immer bis zum 31.10. eines Jahres. Einsätze sind in vielen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas möglich. Die Ausreise erfolgt dann im kommenden September. Die Volunteers erhalten freie Anreise, Unterkunft, Logis, Taschengeld und werden versichert. Das Kindergeld wird in den meisten Fällen weitergezahlt. Für die Freiwilligen verbleibt ein Eigenbeitrag von 2.400 Euro.