Entwicklung
Hört auf, Jugendliche nur als „Pubertierende“ zu definieren!
Unsere Autorin bekommt oft mitfühlende Kommentare, wenn sie das Alter ihrer Kinder nennt. Ja, die beiden sind gerade in der Pubertät. Aber für Christina Tangerding ist das kein Grund, jede Gefühlsäußerung und jedes Verhalten zum Symptom zu erklären.
veröffentlicht am 20.05.2022
Ja, meine Kinder sind jetzt in diesem Alter. Mit 14 und fast 16 Jahren tut sich gerade allerhand in ihrer Entwicklung. Aber ich weigere mich, die beiden nur noch als „Pubertierende“ einzuschubladisieren.
Wenn ich irgendwo das Alter meiner Kinder nenne, kommt zu 99 Prozent ein Kommentar wie „Oje, Pubertät!“. Es gibt Mütter – sorry, ich erlebe das tatsächlich nur bei Müttern –, die beim kleinsten Trotzanfall ihrer Zehnjährigen wehklagend „das ist die Vorpubertät“ rufen.
Ich finde, mit einer derartig eindimensionalen Kategorisierung wird man dieser Altersgruppe nicht gerecht. Mehr noch: Sie ist im Grunde eine Einladung zum Nicht-Ernstnehmen. Denn jedes Verhalten, jede Gefühlsäußerung wird automatisch zum Pubertätssymptom erklärt. Als ob es nicht auch andere Gründe geben könnte für eine trotzige Bemerkung, den Wunsch nach Rückzug oder auch einen fetten Pickel auf der Stirn!
Frauen ab Ende 40 wären nicht erfreut, wenn man sie nur noch als „Menopausierende“ bezeichnen würde
Nur mal zum Weiterdenken: Möchten Frauen einmal im Monat zu hören kriegen „die hat ihre Tage“ – soll heißen: ist gerade nicht für voll zu nehmen? Was würden Frauen zwischen Ende 40 und Ende 50 sagen, wenn man von ihnen nur noch als „die Menopausierenden“ sprechen würde? Sie wären – zu Recht – not amused. Und wie wäre es mit einem passenden Label für Männer um die 40?
Heranwachsende sind mehr als das Ergebnis der speziellen hormonellen Phase, in der sie gerade stecken. Sie sind weiterhin Jugendliche, Schüler und Schülerinnen, Freunde und Freundinnen, Enkelkinder, Babysitter, Sportler und Sportlerinnen. Sie sind ganz normale Menschen, die essen, schlafen und Sprachnachrichten verschicken. Die manchmal reden wollen und manchmal nicht, manchmal gut drauf sind und manchmal nicht.
Klar machen manche von ihnen eine schwierige Zeit durch. Aber es hilft ihnen nicht, wenn wir als Eltern oder anderer Teil ihres sozialen Umfeldes danebenstehen, wissend mit den Augen rollen und, mit Worten oder ohne, den Stempel „Pubertät“ draufklatschen. Was sie stattdessen brauchen, ist, dass wir sie in ihrer Persönlichkeit sehen, sie so nehmen wie sie sind und sie quasi als „work in progress“, in Arbeit, betrachten. Und letztendlich sind wir das ja alle – egal, in welchem Alter und in welcher Phase wir gerade sind.