Notsituation
Inobhutnahme im Don Bosco Jugendwerk Bamberg
Die Leiterin des stationären Bereichs des Don Bosco Jugendwerks in Bamberg, Anne Jahn, begleitet Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen. Sie berichtet, wie eine solche Maßnahme abläuft und worauf es dabei ankommt.
veröffentlicht am 28.12.2020
Wenn das Jugendamt ein Kind oder einen Jugendlichen in Schutz nehmen muss, weil sich der junge Mensch in einer akuten Krise oder Gefahr befindet, werden wir vom Jugendamt angefragt, ob wir das Kind beziehungsweise den Jugendlichen in Obhut nehmen können. Wenn das Kind bei uns ankommt, dann ist das Wichtigste, dass alles wohlwollend, wertschätzend und liebevoll gestaltet ist, damit es sich möglichst wohlfühlt und wir ihm ein Stück weit die Angst nehmen können.
Ich suche bereits vorher die passenden Mitarbeiter aus und schaue, wer gerade in der Lage ist und Zeit hat, sich um ein zusätzliches Kind zu kümmern, da alle in der täglichen Arbeit sehr eingebunden sind. Ich wähle am Anfang aus, welche Gruppe am geeignetsten und am stabilsten ist, um solch ein Kind oder Jugendlichen in der Not aufnehmen zu können.
Zeit zu haben ist das Allerwichtigste
Wir haben insgesamt neun Gruppen, sodass es meistens ein bis zwei Gruppen gibt, die gerade gut laufen, und da suche ich mir auch die Mitarbeiter aus, die bereit sind, das Kind mit aufzufangen. Man braucht viel Erfahrung und sollte drei bis vier Jahre in der Jugendhilfe gearbeitet haben, um solche Notaufnahmen machen zu können.
Zuerst möchten wir dem Kind einen möglichst guten Empfang gestalten: gute Atmosphäre, positive Ausstrahlung, Getränke, kleinen Imbiss. Wir fragen viel und wollen vor allem wissen, was ihm momentan guttut und was seine Stärken sind. Wir versuchen, ihm die Angst zu nehmen, und anschließend zeigen wir ihm seine Gruppe und sein Zimmer. Dementsprechend, was uns das Kind oder der Jugendliche signalisiert, reagieren wir. Es kann sein, dass das Kind oder der Jugendliche abgelenkt werden will oder allein sein will. Wenn wir sehen, das Kind braucht jemanden bei sich, dann ist ein Mitarbeiter tatsächlich fast rund um die Uhr bei ihm als sein Ansprechpartner. Er zeigt ihm das Haus, die Gruppe, stellt die anderen Kinder vor und nimmt sich wirklich Zeit für das Kind und versucht, es in die Gruppe zu integrieren. Meistens spürt man im ersten Gespräch, auf welchen der Mitarbeiter ein Kind gerade anspringt.
Zeit zu haben ist das Allerwichtigste! Wir müssen es innerhalb von zehn Stunden schaffen, dass sich das Kind relativ geborgen in der Gruppe fühlt und uns nicht als Bedrohung sieht. Wir erklären, dass es jetzt hier erst mal sicher ist und wir da sind, um zu helfen und zu schauen, was alle Beteiligten brauchen. Wir müssen ihm aufzeigen, dass wir ihm die Eltern nicht wegnehmen wollen. Auch wenn Kinder Gewalt erfahren haben oder Misshandlung oder sexuellen Missbrauch oder Überforderung der Eltern oder Kriminalität oder Suchtprobleme, haben sie das Bedürfnis, bei den Eltern zu sein. Und ihm dieses Gefühl zu geben: Wir sind da, wir versuchen, dich zu schützen, aber wir sind nicht da, um dich von irgendwas wegzuhalten, sondern erst einmal, dass du hier zur Ruhe kommst, das ist unser oberstes Ziel. Dieses Gefühl wollen wir dem Kind geben.
Die Kinder sind dankbar
Im Sommer hatten wir zwei Jungen im Alter zwischen zehn und zwölf, deren Eltern drogenabhängig sind, und die große Schwester hat sie gebracht. Man muss diese Schwester, auch wenn man sie nicht mit aufnimmt, mit ins Boot holen. Wir konnten sie gewinnen und dadurch haben wir auch ihre Brüder überzeugen können, dass sie bei uns gut aufgehoben sind. Die waren die ganzen sechs Wochen bei uns und haben sich sehr wohlgefühlt. Das bleibt einem in Erinnerung, weil die Kinder so dankbar sind: Sie wollen, dass man Fotos macht, die große Schwester informiert, wie gut es ihnen geht. In ihrer größten Not geben sie uns sehr viel zurück und signalisieren uns: Ihr macht das richtig. Wenn man so eine Rückmeldung von den Kindern selbst bekommt, denke ich, dass wir gar nicht so verkehrt liegen.