Kleine Hoffnungszeichen
Arbeit mit Roma-Familien in der Slowakei
Am Stadtrand von Nitra und Košice arbeiten die Don Bosco Schwestern mit Roma-Familien. Allmählich können sie erste positive Entwicklungen erkennen. Doch sie brauchen Geduld. Immer noch leben viele Roma unter menschenunwürdigen Bedingungen.
veröffentlicht am 28.03.2021
Ein mit Schlaglöchern übersäter Feldweg führt nach Orechov Dvor. Die Containersiedlung liegt inmitten von Feldern und Wiesen, gut vier Kilometer vom Stadtzentrum von Nitra entfernt.
Bis 2005 lebten die Olasski-Roma in der 77.000-Einwohner-Stadt im Westen der Slowakei. Doch dann errichtete man ihnen das „Dorf“ und siedelte sie dorthin um. In den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger war die Bevölkerungsgruppe in Nitra nicht mehr tragbar. Seitdem scheint sich ihr Leben in einer Abwärtsspirale zu bewegen. Einen Ausweg zu finden, ist sehr schwierig.
Kinder werden früh verheiratet
56 Familien leben in Orechov Dvor, insgesamt etwa 400 Personen. Schwester Anna Chrkavá und zwei Mitschwestern pendeln täglich zwischen ihrer Mietwohnung im achten Stock eines Hauses im Stadtteil Klokočina und der Siedlung. Der Bürgermeister von Nitra hatte 2012 bei den Don Bosco Schwestern angefragt, ob sie die Betreuung der Roma-Familien übernehmen könnten. Schwester Anna arbeitet seit zwei Jahren in der Siedlung mit. Dabei kommt ihr ihre jahrelange Erfahrung zugute: Zuvor hatte sie in einem Problemviertel in der Stadt Košice im Osten des Landes mit Roma-Familien gearbeitet.
Zum Team der Don Bosco Schwestern gehören auch eine Ordensschwester der Heilig-Geist-Gemeinschaft und eine VIDES-Volontärin. Eine Don Bosco Schwester arbeitet im Mütterzentrum, das Frauen mit ihren bis zu drei Jahre alten Kindern betreut. Schwester Anna ist als Erzieherin im Kindergarten tätig. Daneben bietet das Team ein Schulvorbereitungsjahr an, in dem Kinder an die Anforderungen der staatlichen Schule herangeführt werden.
„Nach wie vor ist es bei den Roma üblich, dass die Kinder früh verheiratet werden – meistens arrangierte Ehen innerhalb der Großfamilien“, erklärt Schwester Anna. Die Zahl der Schulabbrecher, besonders bei den Mädchen, sei relativ hoch. Die wenigsten der Kinder erreichten einen Abschluss an einer staatlichen Schule, nur ein paar gingen auf weiterführende Schulen. Dort seien sie den Vorurteilen und Anfeindungen ihrer Klassenkameraden ausgesetzt. „Der psychische Druck ist enorm hoch. Sie halten ihm nicht stand und irgendwann gehen sie einfach nicht mehr zur Schule“, sagt die Don Bosco Schwester.
„Wir geben ihnen das Gefühl, angenommen und als Menschen wertvoll zu sein“
Zudem fehlen Vorbilder in den Roma-Familien, was die Schulbildung betrifft. Viele der Älteren haben einen geringen Bildungsstand. Die meisten Familien leben von staatlichen Hilfszahlungen sowie Kinder- und Müttergeld. Einige handeln mit Kleinwaren. Insgesamt sind die Lebensumstände der Roma geprägt von materieller Armut, mangelhafter Ernährung und einem schlechten Hygiene- und Gesundheitsstatus. Viele von ihnen haben Erfahrungen mit Drogen. Schon bei den Kindern ist das Klebstoff-Schnüffeln, mit dem sie sich für ein paar Stunden high fühlen und ihren Hunger betäuben, weit verbreitet.
„Unser Ziel ist es, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. In der Begleitung der jungen Mütter und ihrer Kinder geben wir ihnen das Gefühl, angenommen und als Menschen wertvoll zu sein“, sagt Schwester Anna. Kleine Anreize zur Motivation für eine Verhaltensänderung schafft ein Punktesystem. „Wenn die Frauen ins Zentrum kommen, schauen wir, ob sie ihre Kinder pflegen, geben ihnen Tipps für Körperpflege und Essenszubereitung. Wir gehen auch in die Familien, um zu sehen, ob Vereinbarungen mit uns und dem Sozialamt eingehalten werden, wie etwa, ob sie die älteren Kinder in die Schule schicken“, erklärt die 55-jährige Ordensfrau. Am Ende des Monats erhalten die Mütter je nach Punktestand Kleidung, Nahrungsmittel oder andere Dinge, die der Orden von Wohltätern für die Familien erhält.
Der Kindergarten ist eine staatliche Einrichtung, in der die Schwestern angestellt sind. Trotz des vorgegebenen Bildungsplans konnten sie im vergangenen Jahr in einem Container einen Raum mit Montessori-Material einrichten, um die Kleinen für die „religiöse Seite des Lebens“, wie Schwester Anna es ausdrückt, zu begeistern. Für Don Bosco sei die religiöse Erziehung eine Herzensangelegenheit gewesen. „Sie ist so wichtig, um grundlegende Werte des Zusammenlebens einzuüben.“
Wunsch nach Veränderung
Mittlerweile können die Schwestern kleine Hoffnungszeichen erkennen. So hilft eine Gruppe von Jugendlichen aus der Siedlung, die seit Kindertagen von den Schwestern begleitet wird, bei der Sommerfreizeit, die während der Ferien angeboten wird. Im letzten Jahr arbeiteten einige einheimische VIDES-Freiwillige, deren Auslandseinsatz wegen Corona abgesagt worden war, in Orechov Dvor mit. Sie halfen vor allem im Hort und im Freizeitbereich. Die jungen Roma hätten sich vom Engagement der Volontärinnen angesprochen gefühlt, berichtet Schwester Anna. „In ihnen wurde eine Sehnsucht wachgerufen, auch so einen Freiwilligendienst zu machen. Natürlich gerne im Ausland. Es ist schön, zu sehen, wie sich die Jüngeren an ihnen ein Vorbild nehmen.“ Schwester Anna lächelt, als sie von diesen positiven Entwicklungen erzählt. Man spürt die Begeisterung für ihre Arbeit, auch wenn diese nicht immer einfach ist.
Hinter der Sehnsucht der Jugendlichen steckt auch ein genereller Wunsch nach Veränderung. Sie möchten die Misere, in der sie leben, hinter sich lassen. Doch das ist ein mühseliger Weg, der eines langen Atems bedarf. Die Don Bosco Schwestern begleiten die Familien in kleinen Schritten. Doch letztlich müssen die Menschen ihren eigenen Weg gehen. Und das ist schwierig in einer quasi in sich geschlossenen ethnischen Gesellschaftsgruppe.
Dass es dennoch gelingen kann, zeigt eine Gruppe von jungen Roma-Frauen in Košice. Die Frauen haben sich in einer Wohngemeinschaft zusammengefunden, die von einer Schwester begleitet wird. Hier haben sie die Möglichkeit, an Bildung zu gelangen. Hier können sie aus dem Teufelskreis aus Traditionen ausbrechen und einen neuen Anfang wagen. Hier können sie lernen und ihrem Leben eine neue Perspektive geben.
Mehr Informationen über die Arbeit der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwestern in der Slowakei bei Don Bosco Mission Bonn, Don Bosco Mission Austria und der Missionsprokur der Don Bosco Schwestern.
Die Arbeit der Don Bosco Schwestern mit Roma in der Slowakei
Die slowakische Provinz der Don Bosco Schwestern, zu der auch eine Gemeinschaft in Aserbaidschan zählt, umfasst 16 Niederlassungen. 85 Schwestern engagieren sich in Kindergärten, Schulen, Pfarreien, Jugendzentren, einer psychotherapeutischen Ambulanz sowie in der Begleitung von Roma.
Mehr als eine halbe Million Roma leben in der Slowakei. Sie stellen damit zehn Prozent der Bevölkerung. Viele von ihnen wurden in der Ostslowakei angesiedelt. Die ethnische Minderheit hat in Europa eine mehr als 600-jährige Geschichte. Während dieser Zeit haben sich viele Vorurteile verfestigt, die immer noch weit verbreitet sind. Viele leidvolle Erfahrungen von Vertreibung, Flucht und Völkermord prägen die Bevölkerungsgruppe. Der Politikwechsel in den 1990er-Jahren nach dem Ende des Kommunismus brachte auch in der Slowakei neue Probleme für die Roma mit sich. Vorher waren sie durch Gesetze geschützt, die jedoch in die neue Gesetzgebung nicht mit einflossen. Viele Roma leben an Stadträndern isoliert und in menschenunwürdigen Verhältnissen. Oft fehlt es am Nötigsten wie Wasser, Strom oder Müllabfuhr.
Die Olasski-Roma sind eine Minderheit mit eigener Geschichte, eigenem Dialekt und eigenen Traditionen.