Sierra Leone
Hilfe für minderjährige Gefangene
Das Pademba-Gefängnis in Sierra Leone gilt als „Hölle auf Erden“. Die Salesianer Don Boscos helfen den minderjährigen Inhaftierten. Sie besuchen die Häftlinge täglich, versorgen sie mit Lebensmitteln und Medikamenten und sorgen für rechtlichen Beistand.
veröffentlicht am 27.03.2022
Ein übler Geruch aus Schmutz, Schweiß, Urin und Exkrementen erfüllt das Gefängnis. Die Luft ist stickig und heiß. Viele Insassen schwitzen. Ihr Blick ist stumpf, resigniert und hoffnungslos. Nur die Mahlzeiten bringen etwas Abwechslung. Zum Frühstück gibt es einen bitteren schwarzen Tee. Mittags gibt es Reis mit scharfer Soße, ein Brötchen und ein bisschen Wasser – die einzige Mahlzeit am Tag.
„Wenn du Geld hast, kannst du dir eine Zelle aussuchen, Medikamente und Wasser kaufen und sogar auf einer Matratze schlafen“, sagt Robert. Der 16-Jährige ist seit 20 Monaten im Gefängnis, weil er eine Kuh getötet hat. „Ab 5 Uhr nachmittags sitzen wir alle in der Zelle und kommen erst am nächsten Tag wieder raus. Die meisten von uns schlafen in der Hocke oder im Stehen. Es gibt kein Klo, und viele werden krank, weil es so viele Moskitos gibt.“
Die jungen Menschen werden ihrer Kindheit beraubt
Chennor stoßen die Gerüche ab, doch er kommt trotzdem regelmäßig hierher. Der junge Mann weiß, wie es ist, wenn der Magen knurrt oder man durstig ist. Schon mit sechs Jahren lebte Chennor auf der Straße. Insgesamt dreimal landete er im Pademba-Gefängnis und saß dort insgesamt fünf Jahre ein. Im Gefängnis wurde er sexuell missbraucht: „Sie haben mir etwas ins Essen getan, sodass ich mich nicht wehren konnte“, erzählt er. Beim zweiten Mal war der Missbrauch einvernehmlich: „Ich war so hungrig, dass ich es für Essen getan habe“, gibt der junge Mann schmerzlich zu. Als er aus dem Gefängnis kam, wurde er krank und ging schließlich zu den Salesianern Don Boscos. „Sie haben sich um mich gekümmert und mich medizinisch versorgt. Das Leben dort war wie in einer Familie. Zusammen mit anderen Jungen erlernte ich dann auch einen Beruf. Das erste Gehalt, das ich bekam, gab ich den Salesianern. Sie sollten damit die Jungen im Gefängnis unterstützen. Jungen, die das gleiche Schicksal ereilt hat wie mich. Ich gehe regelmäßig ins Gefängnis, um all denen zu helfen, die unschuldig dort sitzen und ihrer Kindheit beraubt werden“, betont Chennor. Er möchte den jungen Menschen Vorbild sein und ihnen zeigen, dass es einen Weg aus der Hoffnungslosigkeit gibt.
Das Gefängnis „Pademba Road“ befindet sich im Herzen von Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones. Die Haftanstalt wurde 1937 für 324 Insassen gebaut. Aktuell sind dort 2.000 Menschen inhaftiert. Bis zu neun Personen leben zusammengepfercht in einer Zelle. Zellen, die ursprünglich für zwei Personen angelegt waren. Viele Insassen sind minderjährig, haben keine Straftat begangen und müssen mit Gewaltverbrechern in einer Zelle hausen – ohne Licht, Wasser und Toiletten. Überwachungskameras zum Schutz der Häftlinge gibt es keine. „Nachts schlafen sie meistens nicht und haben Angst vor den älteren Insassen. Oft wird ihr Essen gestohlen und sie sind sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Das Sicherheitspersonal tut nichts oder ist schlicht überfordert. Die jungen Insassen verlieren ihre Würde. Sie haben kein Gesicht, keinen Namen, niemanden, der sie liebt oder sie besucht“, beklagt Pater Jorge Crisafulli, Leiter des Kinderschutzzentrums Don Bosco Fambul.
Willkür statt Gerechtigkeit
Meistens würden die Minderjährigen beschuldigt, „herumzulungern“. Eine Straftat, die noch auf die Kolonialzeit zurückgeht. Wer nachts ziellos durch die Straßen irrte, wurde als potenzieller Straftäter eingestuft. Auch heute ist das noch so. Beim ersten Mal werden die obdachlosen Kinder von der Polizei verwarnt. Beim zweiten Mal werden sie inhaftiert – ohne Gerichtsbeschluss. Die Strafe beträgt zwischen sieben Monaten und einem Jahr Gefängnis. Wenn sie aus dem Gefängnis entlassen werden und erneut auf der Straße leben, wird die Strafe auf zwei Jahre Haft hochgesetzt.
Nach Angaben von UNICEF befinden sich rund 1,3 Millionen Kinder in Gefängnissen oder Heimen. Mehr als die Hälfte von ihnen ohne Gerichtsverfahren. Die meisten von ihnen sind nicht vorbestraft und haben keine Straftaten begangen. So werden auch Minderjährige, die auf der Straße leben und betteln, weggesperrt. Rechtlichen Beistand erhalten sie nicht.
„In Sierra Leone leben infolge von Ebola und der Corona-Pandemie Hunderttausende Waisenkinder auf der Straße. Sie werden jetzt doppelt bestraft und ihre Rechte massiv verletzt“, betont Crisafulli. Manche Minderjährige würden für den Diebstahl eines Mobiltelefons verurteilt – ohne Beweis, dass sie es wirklich gestohlen haben. „Oft befinden sich die Jugendlichen zur falschen Zeit am falschen Ort. Wenn ein Verbrechen passiert, dann verhaftet die Polizei alle Personen, die vor Ort sind. Bei uns gilt nicht die Unschuldsvermutung, sondern die Schuldvermutung. Das bedeutet, dass der Verhaftete beweisen muss, dass er unschuldig ist“, ergänzt ein Don Bosco Mitarbeiter, der in der Gefängnishilfe tätig ist.
Die Salesianer Don Boscos geben den Jugendlichen ihre Würde zurück
Begonnen hatte alles im Jahr 2013. Drei Salesianer Don Boscos besuchten das Pademba-Gefängnis, um mit dem Gefängnisdirektor zu sprechen. „Wir haben schon lange auf Sie gewartet ...“, so lautete die herzliche Begrüßung. Das war der Startpunkt für die Arbeit der Salesianer Don Boscos dort. „Alles war alt, baufällig, verlassen. Meine Mitbrüder sahen abgemagerte Häftlinge mit einem Blick der Hoffnungslosigkeit. Zur Überraschung aller waren auch viele Minderjährige in den Zellen“, erklärt Pater Jorge. Es gab kein fließendes Wasser, und die Gefangenen wuschen sich mit Eimern in der Mitte des Hofes. Auch Latrinen gab es keine. Die Ordensmänner beschlossen, den Minderjährigen zu helfen. „Durch Trost, persönliche und spirituelle Begleitung und auch Rechtsbeistand wollten wir inmitten dieser Hölle ein Stückchen Himmel bringen“, sagt Crisafulli.
Viele Aktivitäten finden in der Bibliothek statt. Hier werden zum Beispiel medizinische Untersuchungen und Computerkurse durchgeführt. Zudem gibt es Fahrräder, Bälle und Spiele für die Freizeitgestaltung. Am anderen Ende des Gefängnisses befindet sich eine Kapelle. Jeden Sonntag wird dort ein Gottesdienst gefeiert. Am Ostersamstag empfangen Dutzende von Häftlingen die Sakramente der Taufe, Erstkommunion und Firmung. Zusammen mit Freiwilligen besuchen die Salesianer Don Boscos täglich das Gefängnis.
Zurzeit werden 75 Häftlinge in drei Gruppen betreut. „Wir schauen in den Zellen nach den Schwächsten und nehmen sie in die Don Bosco Gruppe auf. 225 Häftlinge erhalten zudem eine zusätzliche Mahlzeit, medizinische Versorgung und psychosoziale Betreuung. Teilweise übernehmen wir auch die Kaution, damit sie bis zu ihrer Verhandlung auf freiem Fuß leben können“, erklärt Crisafulli. Für die Gefangenen sind die Salesianer Don Boscos und ihre Mitarbeiter zu Hoffnungsträgern geworden. Ein Stück Himmel in der Hölle von Pademba.
Mehr Informationen über die Arbeit der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwestern im Kongo bei Don Bosco Mission Bonn, Don Bosco Mission Austria und der Missionsprokur der Don Bosco Schwestern.
Hilfe für minderjährige Gefangene weltweit
Das Pademba-Gefängnis in Sierra Leone ist nur ein Beispiel für die Gefängnisarbeit der Salesianer Don Boscos. Nach dem Vorbild Don Boscos, der sich damals in Turin für minderjährige Gefangene einsetzte, führen sie den Auftrag weltweit fort. Sie begleiten und helfen minderjährigen Häftlingen, um ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen.