Übergang
Von der Kita in die Schule: Den Abschied gestalten
Gefühlt erst gestern haben wir unser Kind zum ersten Mal in den Kindergarten gebracht. Und schon ist es ein Vorschulkind. Wie wir den Kleinen den Abschied erleichtern können und der Neustart gelingt. Tipps von Erzieher Christian Huber.
veröffentlicht am 16.05.2022
Sicherlich können Sie Sich noch an den ersten Kindergartentag Ihres Kindes erinnern. Schon Tage vorher stieg die Anspannung: Wird das gehen? Wird er weinen? Wird sie sich wohlfühlen? Wird man mein Kind in der Kita richtig verstehen, seine Bedürfnisse erkennen? Auch die Kinder haben Fragen: Wann gehe ich endlich in den Kindergarten? Sind meine Freunde auch alle da? Wann kaufen wir meinen Rucksack?
Als der Tag dann gekommen war, sah Vieles vielleicht ganz anders aus. Viele Eltern haben eine schlaflose Nacht hinter sich. Das Kind ist plötzlich gar nicht mehr so entschlossen. Na, das kann ja heiter werden! Im Auto herrscht vielleicht Totenstille, möglicherweise auch das Gegenteil. Der ein oder andere Elternteil kommt schon mit einem Kloß im Hals an der Kita an. Von einer meist freundlichen Betreuungskraft in Empfang genommen, steht man plötzlich vor dem Gruppenraum. Misstrauisch schauen manche Kinder erstmal hinter dem Bein von Mama oder Papa hervor. Doch unweigerlich kommt der Moment, in dem eine Betreuungskraft einen ersten Trennungsversuch anbahnt.
Nicht schon wieder ein Neuanfang!
Vielleicht haben Sie Erinnerungen an diese Momente, bestimmt manch gute, wahrscheinlich aber auch so manche schlechte. Und ganz sicher erinnern Sie sich auch noch daran, wie froh Sie waren, als die Eingewöhnung einigermaßen überstanden war und das Kind schließlich gerne in den Kindergarten ging. Wie erleichternd das war! Alles schien in Ordnung. Und dann kam plötzlich das Thema Einschulung auf. Nicht schon wieder ein Neustart! Doch, solch ein Neustart steht wohl wieder an. Und diesmal ist es möglicherweise auch das erste Mal für das Kind – falls es nicht schon in einer Krippe oder einer anderen Einrichtung gewesen war –, dass es sich von einem Ort, an dem es über Jahre hinweg viele Stunden verbracht hat, verabschieden muss.
Ein französisches Sprichwort sagt: „Abschied nehmen bedeutet immer ein wenig sterben.“ Zugegeben, das klingt brutal. Und doch ist bei genauerem Hinsehen etwas Wahres daran. Bei jedem Abschied gibt es Dinge, die wir mitnehmen: Erfahrungen, Erkenntnisse, Dinge, die wir gemacht oder geschenkt bekommen haben. Zugleich bleiben auch immer Erfahrungen zurück, die uns vielleicht wichtig sind und die wir in den Jahren liebgewonnen haben. Menschen, die uns viel bedeuten, die eine wichtige Rolle im Leben bekommen haben. Zugleich heißt Abschied immer auch Neuanfang. Das mag sich abgedroschen anhören, ist aber mit Blick auf die Einschulung absolut zutreffend.
Doch wie kann nun der Übergang, also Abschied und Neuanfang, gut gestaltet werden? Eine große Rolle spielt es, wie Sie zuhause mit Ihren Kindern das Thema angehen. „Bald beginnt der Ernst des Lebens!“ ist hierfür nicht unbedingt die geeignetste Haltung. Machen Sie ihrem Kind keine Angst vor der Schule, auch nicht mit Sätzen, die vielleicht gar nicht so gemeint sind. Nehmen Sie vielmehr Ängste ernst, die Ihr Kind offen oder versteckt äußert. Allzu oft hört man noch, wie Eltern ihren Kindern, vermeintlich im Spaß, von der bösen Lehrerin erzählen, die bald ihren Alltag beherrscht. Das ist für niemanden hilfreich.
Häufig steht für Kinder auch die Sorge im Vordergrund, die gewonnenen Freunde und Freundinnen vielleicht nicht mehr so oft zu sehen wie bisher. Nehmen Sie auch das ernst! Würde es uns anders gehen, wenn wir die Arbeitsstelle wechseln? Binden Sie das Kind in die Lösungsfindung ein: Was könnten wir machen, damit das nicht passiert und ihr euch treffen könnt? Das gibt dem Kind Sicherheit und die Erfahrung, selbstwirksam zu sein und Einfluss auf das zu haben, was kommt.
Auf die „Nacht“ in der Kita freuen sich die Kinder sehr
Auch in der Kita wird man versuchen, den Abschied der Kinder, die die Kita verlassen, gut zu gestalten. Hierfür gibt es viele Möglichkeiten. Das gemeinsame Gestalten eines Abschiedsgeschenkes zum Beispiel. Vielleicht können die Kinder, die in der Kita bleiben, Wünsche für diejenigen aufschreiben lassen, die die Kita verlassen. Auch umgekehrt können die Kinder, die gehen, etwas für die anderen Kinder gestalten. Hier gibt es in den unterschiedlichen Häusern vielfältige Traditionen und Angebote.
Dazu zählt in unserer Kita beispielsweise neben dem Vorschulausflug auch die „Nacht“ für die Vorschulkinder. Dabei verbringen die Vorschulkinder einen Abend mit dem Betreuungspersonal im thematisch dekorierten Kindergarten. Es wird zusammen gegessen, es gibt eine Nachtwanderung und natürlich auch Geschichten. Viele Kinder, vor allem jene mit Geschwistern, freuen sich jahrelang auf diesen Abend.
Für mich persönlich ist eines jedes Jahr sehr wichtig: Der Abschlussgottesdienst. Ein besonders gestalteter Gottesdienst für alle Kinder sowie die Eltern und Geschwister derer, die eingeschult werden bzw. die Kita verlassen. Die Kinder bekommen hier ganz klar und emotional vor Augen geführt, dass dies ihr Abschied ist. Sie bekommen mit, dass ihre Freunde, Erzieherinnen und Erzieher, ihre Geschwister und Eltern für sie beten, hören und singen Lieder zum Thema Abschied und Neuanfang und erhalten ein Abschiedsgeschenk. Sie erleben das Betreuungspersonal, das sie über Jahre hinweg begleitet hat, das von den Familien Vertrauen geschenkt bekommen hat und versucht hat, das Beste für die Kinder herauszuholen. Und sie sehen die Eltern mit den anderen Vorschulkindern im Kreis sitzen. Stolz und zugleich wehmütig.
Dankbar zurückblicken und Gott um eine gute Zukunft bitten
Spätestens wenn gesungen wird „Jetzt, wo du dich auf den Weg machst, Schritt für Schritt immer weiter in die Welt, möge dich Gottes Segen immerzu begleiten“, sieht man das eine oder andere Taschentuch über die Gesichter der Erwachsenen huschen. Ist das nicht zu traurig und trist? Nein! Die Feier gibt allen Teilnehmenden die Möglichkeit innezuhalten. Dankbar zu sein für das, was gewesen ist, möglicherweise auch abzuschließen mit der einen oder anderen Verletztheit. Und zugleich auch für eine gute Zukunft zu bitten, darum, dass alles gut über die Bühne gehen wird, was jetzt ansteht. Spätestens beim anschließenden Picknick im Garten sind die Tränen vergessen.
Geben Sie Ihren Kindern und auch sich selbst die Chance, Abschied bewusst wahrzunehmen, auch, wenn es vielleicht wehtut. Nehmen Sie Ihren Kindern dabei die Angst vor dem Neuen und betreten Sie so gemeinsam das nächste Level des Lebens.