Digital versus real
Eltern im Social Media-Stress
Manche Eltern fühlen sich durch die Selbstdarstellung von Family-Influencern unter Druck gesetzt. Woher dieser ungesunde Wettbewerb in den sozialen Medien kommt und wie Eltern sich davon abgrenzen können, erklärt Autorin Bianca Kellner-Zotz im Interview.
veröffentlicht am 23.04.2025
Knallende Luftballons bei der Reveal Party, der perfekte Mottokuchen am Kindergeburtstag, die aufwändig gebastelte und verzierte Schultüte: Die sozialen Medien sind voll von solchen Bildern aus dem Familienleben. Was lösen sie bei Ihnen persönlich aus?
Tatsächlich empfinde ich ein alarmierendes Störgefühl. Durch meine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Medialisierung weiß ich, dass die massenmediale Logik längst in die Familien vorgedrungen ist und einen Wettbewerb auslöst, der sehr ungesund ist. Vor meiner wissenschaftlichen Tätigkeit fand ich diese Bilder aber auch schon befremdlich.
Jetzt könnte man dagegenhalten, dass es doch schön ist, wenn Eltern andere an ihrem Familienglück teilhaben lassen. Wieso kann das aber auch genau ins Gegenteil umschlagen und einen ungesunden Wettbewerb hervorrufen?
Meistens sind das unterbewusste Prozesse. Die Mutter, die den Geburtstagskuchen postet, will niemanden unter Druck setzen. Sie will vielmehr zeigen, dass es ihr gut geht, dass sie ihre Familie liebt und viel dafür investiert. Das ist nicht boshaft gemeint, löst aber bei vielen Defizitinterpretationen aus. Gerade Mütter sind dafür anfällig, da an sie fast schon überirdische Anforderungen gestellt werden. Mütter sollen berufstätig sein, sich aufopferungsvoll um die Kinder kümmern und alle Termine im Kopf haben. Sie sollen weiterhin die schlanke und gutaussehende Partnerin bleiben und in ihrer Beziehung aufgehen. Wenn die Frauen alle Aufgaben bewältigen, findet das kaum Beachtung. Wenn sie scheitern, wird das sofort thematisiert. Die fehlende Wertschätzung und Aufmerksamkeit holen sich die Mütter über die sozialen Medien und die Likes. Gleichzeitig befeuern sie damit wieder den Wettbewerb unter den Müttern.
Sie haben gerade gesagt, dass vor allem Mütter davon betroffen sind. Was ist mit den Vätern?
Weder in den Befragungen noch in meinen sonstigen Recherchen konnte ich den Eindruck gewinnen, dass Väter in ähnlicher Weise betroffen sind. Das liegt vermutlich daran, dass sie nicht so stark mit dem Idealbild eines perfekten Familienmanagers, der auch beruflich erfolgreich ist, konfrontiert werden.
Soziale Medien bieten Müttern also eine Plattform für Wertschätzung. Liegt es darüber hinaus auch einfach in der Natur des Menschen, sich vergleichen zu wollen?
Absolut. Sich sozial zu vergleichen, ist ein Grundbedürfnis. Das merkt man schon bei Kindern. Die wollen zum Beispiel wissen, wer am schnellsten rennen oder am weitesten spucken kann. Das ist so in uns Menschen angelegt. Durch die Medialisierung haben wir neue Wege gefunden, das auszudehnen – vor allem visuell. Gerade diese Macht der Bilder ist sehr wirkungsvoll.
Eigentlich kennen Eltern doch die Mechanismen der sozialen Medien und wissen, dass viele Bilder bearbeitet sind. Wieso entsteht trotzdem dieser Druck?
Auf der bewussten Ebene ist das klar. Auf der unterbewussten Ebene kommt das Gefühl auf: Es könnte ja doch echt sein. In der Kommunikationswissenschaft spricht man vom sogenannten Third-Person-Effekt. Das bedeutet, dass man davon ausgeht, dass sich nur die anderen von den Medien beeinflussen lassen. Man selbst weiß, was Fake ist. Doch wir alle reagieren relativ ähnlich auf solche Bilder und fangen sofort an, zu vergleichen. Bei manchen ist dann der Zweifel gesät. Es könnte ja doch so sein, dass da die perfekte Familie ist – und das will man natürlich auch für sich haben.
Also brauchen Eltern genauso Medienkompetenz wie ihre Kinder?
Unbedingt, ich glaube sogar, dass die momentane Elterngeneration zum Teil weniger Medienkompetenz hat als ihre Kinder, denn sie wurde nie richtig an das Thema herangeführt. Heute ist ein ganz anderes Bewusstsein da, Kinder für dieses Thema zu sensibilisieren – vor allem in der Schule. Außerdem sollten Eltern sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Das wird oft unterschätzt. Wenn bei jeder Gelegenheit das Handy herausgeholt wird, warum sollten die Kinder es anders machen?
Das Konsumieren ist das eine. Wann sollten Mütter oder Väter beim eigenen Posten aus dem Familienleben die Reißleine ziehen?
Bedenklich wird es, wenn man zehn Minuten lang nichts gepostet hat und dadurch nervös wird, einen erhöhten Puls oder Herzschlag bekommt und ein richtiges Spannungsgefühl entwickelt. Auch wenn es nicht mehr darum geht, einfach einen glücklichen Moment zu teilen, sondern es berechnend wird, artet es in eine Form des Narzissmus aus.
Zu jeder Bewegung gibt es eine Gegenbewegung. Viele Mama- und Papa-Blogger versuchen, mehr reales Familienleben zu zeigen, Scheitern und Überforderung offen zuzugeben. Wie verändern die sozialen Medien unser Bild vom Familienleben? Ist es insgesamt diverser geworden?
Ja, das würde ich schon sagen. Es gibt so viele verschiedene Angebote, aus denen man wählen kann – über Tipps zum Naturerleben mit Kindern bis hin zu Rezeptideen für den Familienalltag. Da können alle profitieren. Trotzdem wäre mein Plädoyer, sich in diesen Dingen nicht zu verlieren, bei sich zu bleiben und genau zu schauen, was einem guttut.
Wie können sich Eltern dem Druck der sozialen Medien entziehen und zu mehr Gelassenheit finden? Drei Tipps der Kommunikationswissenschaftlerin Bianca Kellner-Zotz:
- Eigene Mediennutzungszeit reduzieren. Machen Sie einmal selbst das Experiment, wie lange Sie irgendwo stehen können, ohne das Handy aus der Tasche zu holen. Gönnen Sie sich die Zeit an der Bushaltestelle und lassen Sie den Blick und die Gedanken schweifen, statt endlos zu scrollen.
- Sich Zeit nehmen, um mit den Kindern zu sprechen und ihnen in die Augen zu schauen. Lassen Sie sich nicht zu sehr von den sozialen Medien ablenken, sonst verpassen Sie Ihr eigenes Familienleben.
- Keinen Trends hinterherrennen. Wer gerne Mottokuchen zum Kindergeburtstag bäckt, wunderbar. Wer Backen nicht mag, kann einfach einen Kuchen kaufen. Die Kinder werden dadurch nicht leiden. Suchen Sie sich das, was für Sie und in Ihr Familienleben passt.