Sozial und ökologisch
Geht nicht? Geht doch! – Ein Porträt der Unternehmerin Sina Trinkwalder
In ihrer Textilfirma gibt Sina Trinkwalder Menschen eine Chance, die auf dem klassischen Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können. Den Begriff Sozialunternehmerin mag die 43-Jährige nicht. „Unternehmertum sollte immer anständig sein“, sagt sie.
veröffentlicht am 06.10.2021
"Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam eine und hat es gemacht.“ Der leicht abgewandelte Sinnspruch beschreibt das Leben von Sina Trinkwalder. Die Gründerin des ökosozialen Modelabels Manomama ist deutschlandweit als Sozialunternehmerin bekannt und kann diesen Begriff gar nicht leiden. „Unternehmertum sollte immer anständig sein“, sagt sie energisch und ist gleich mittendrin in ihrem Thema.
Vor allem viele junge Firmengründer und -gründerinnen setzten heute auf ausbeuterische Systeme, um ihre übertriebenen Werbeversprechen einzulösen. „Und das alles auf dem Rücken von Menschen, die gezwungen sind, prekäre Arbeitsbeschäftigungen anzunehmen. Das ist für mich eine total falsche gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung“, sagt die 43-Jährige, die ins Bayerische verfällt, wenn sie engagiert über einen Missstand berichtet. Das ist bei der temperamentvollen Augsburgerin häufig der Fall.
Sina Trinkwalder ist eine Freundin des klaren Wortes. Egal, ob diese vor einem Millionenpublikum an den deutschen Bundesarbeitsminister Peter Altmaier gerichtet sind, weil Kleinunternehmerinnen und -unternehmer und Soloselbständige im Lockdown zu wenig Unterstützung erfahren. Oder, ob sie auf Twitter mit den Worten ihres Opas mahnt: „In Not wird nicht gejammert. In Not hilft man einander.“ Wie das geht, lebt die umtriebige und unbequeme Problemlöserin mittlerweile seit Jahrzehnten vor.
Soziale und ökologische Missstände auf wirtschaftlichem Weg lösen
„Mein Ding ist, soziale und ökologische Missstände zu lösen und zwar auf dem ökonomischen Weg.“ Es bringe überhaupt nichts, ausschließlich auf Ehrenamt und Barmherzigkeit, soziales Engagement und ökologische Lösungen zu setzen. „Das hat keine dauerhafte Tragfähigkeit, wenn die Wirtschaft nicht mitspielt. Denn die Wirtschaft ist einfach ein elementarer Teil unserer Gesellschaft und wir müssen sie so gestalten, dass sie zukunftsfähig ist“, macht sie deutlich.
In ihrer Augsburger Textilfabrik arbeiten rund 130 Menschen, die vor ihrer Einstellung bei Manomama auf dem klassischen Arbeitsmarkt kaum Möglichkeiten hatten und oftmals Hartz IV bezogen. Da sind Langzeiterwerbslose, Menschen mit Migrationshintergrund, Ältere, Alleinerziehende und Leute mit Handicap. Es sind „Menschen, die besonders sind, jeder auf seine eigene Art und Weise. Menschen mit individuellen Talenten, die arbeiten können und arbeiten wollen. Denen nur sonst niemand eine Chance gibt“, heißt es auf der Firmenwebseite.
Bei Manomama dürfen die KollegInnen sein, wie sie sind. Jede und jeder hat hier viel erlebt. Alle haben Eigenheiten und ihre eigene Geschichte. Manchmal wird das, was die Jobsuche einst schwierig machte, sogar zum Benefit. So ist Sina Trinkwalder froh, ihre Kollegin Ute zu haben. Von ihrem Büro im ersten Stock aus kann sie mit ihr über den Lärm der Nähmaschinen hinweg kommunizieren. Dass Ute gehörlos ist und Lippen lesen kann, hat sich schon in vielen Situationen als sehr hilfreich erwiesen.
Alle erhalten denselben Grundlohn – auch die Chefin
Die Manomama-Familie fertigt nachhaltige und ökologische Mode und Accessoires. Begonnen hat es mit den farbenfrohen Jutetaschen für eine Drogeriekette, die wohl die meisten schon in der Hand hatten. In der Pandemie stellt die Firma einen Teil der Produktion kurzerhand auf Mund-Nasen-Schutz um. Während die Textilindustrie fast ausschließlich in Billiglohnländern produziert, entstehen Manomama-Produkte in Deutschland. Die Rohstoffe stammen, abgesehen von der fair gehandelten Biobaumwolle aus Tansania, ausschließlich von hier. Höchstens 300 Kilometer legen sie zurück, bevor sie von den Näherinnen verarbeitet werden.
Alle arbeiten hier unbefristet, flexible Arbeitszeitmodelle kommen ihren individuellen Lebens- und Problemlagen entgegen. Und sämtliche Kollegen und Kolleginnen erhalten einen Grundlohn von zehn Euro – egal, welche Aufgaben sie übernehmen, hinzu kommen Boni. Das gilt auch für die Chefin selbst, denn Sina Trinkwalder geht es nicht darum, mit ihrem Unternehmen reich zu werden. Ihr Ziel: den finanziellen Anschub, den sie gemeinsam mit ihrem ehemaligen Mann vor zehn Jahren in den Betrieb steckte, bis zur Rente wieder zu erhalten, denn UnternehmerInnen bekommen keine staatliche Rente. Sie möchte weiterhin gesund wirtschaften und die Überschüsse reinvestieren – in Menschen und Manomama. „Geld ist nicht mein Antrieb. Was ich brauche, ist eine schwarze Null!“
Die Frau mit den dunklen Haaren und der dominanten schwarzen Brille sitzt entspannt auf ihrer Terrasse. Links gedeihen die Tomaten, rechts der Rosmarin, die Kohlrabis sind bald erntereif. Sina Trinkwalder ist zufrieden mit ihrem Leben. Sie braucht keine fünf Reisen im Jahr, keine teuren Accessoires. „Was ich mir gönne, ist hin und wieder gut essen zu gehen. Das ist mein Luxus“, sagt sie entspannt und muss es wissen, denn vor Manomama hat sie ein ganz anderes Leben geführt.
Sie will etwas tun, das für die Gesellschaft relevant ist
„Als ich mit meinem damaligen Mann die Werbeagentur hatte, habe ich erlebt, wie es ist, eine fette Uhr am Handgelenk zu tragen und dreimal die Woche ins Sternerestaurant zu rennen.“ Doch das Leben der Reichen und Schönen wird irgendwann schal und dass, obwohl sie auch zu dieser Zeit schon Chancen verteilt – an junge Menschen, die anderswo nicht unterkommen. „Manche hatten drei Jahre Jugendknast hinter sich und bei uns sind sie dann Mediendesigner oder Werbekaufleute geworden.“
Sina Trinkwalders Draht zu Menschen mit ungeradem Lebenslauf kommt nicht von ungefähr. „Ich bin selbst mit 16 im Streit aus meinem Elternhaus ausgezogen und war auf mich alleine gestellt. Da war ich auch auf Menschen angewiesen, die mir eine Chance gegeben haben. So wie mein damaliger Vermieter, der mir die Wohnung überlassen hat, obwohl ich noch nicht 18 war.“ Aus eigener Kraft schafft die junge Frau, ihr Leben zu finanzieren, Abitur zu machen, ein BWL- und Politikstudium zu beginnen, die Werbeagentur zu gründen und sie erfolgreich zu führen.
Bis zu dem Tag, an dem ihr das nicht mehr reicht. Sina Trinkwalder ist auf Dienstreise am Wuppertaler Bahnhof unterwegs. Da trifft sie auf einen Obdachlosen, dem sie Hochglanzmagazine schenkt, weil er bereits einige aus dem Abfall kramt. Er erklärt ihr, warum er diese Zeitungen sammelt und sie kommen ins Gespräch. In der Bahn auf dem Weg nach Augsburg hallt die Begegnung nach und Sina Trinkwalder trifft eine Entscheidung. Sie möchte etwas tun, was für die Gesellschaft relevant ist, nicht für noch mehr Konsum sorgen, sondern für Menschen da sein.
Karriere und Geld waren ihr irgendwann nicht mehr genug
Mit 32 Jahren gründet die Agenturchefin das Textillabel Manomama – ohne jemals zuvor an einer Nähmaschine gesessen zu haben. Banken und die Kommune halten ihre Idee für undurchführbar und versagen ihr die finanzielle Unterstützung. Sina Trinkwalder und ihr Mann investieren ihre gesamten Ersparnisse. Es entsteht ein Unternehmen, das die KollegInnen in den Mittelpunkt stellt, ohne die Zahlen aus dem Blick zu verlieren.
Ein Spaziergang sind diese Jahre des Aufbaus keineswegs: Sina Trinkwalder arbeitet 18 Stunden am Tag, gönnt sich kaum Pausen. Wochen und Monate übersteht sie mit Kaffee und Zigaretten, nimmt immer mehr zu. 2014 läuft die Firma, aber Sina Trinkwalder ist körperlich am Ende. Sie bekommt eine schwere Gürtelrose, die auf ihr Auge übergreift. Fünf Wochen kämpft Sina Trinkwalder in der Klinik, sie weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Danach ändert sie radikal ihr Leben. Sie fängt an zu joggen, nimmt 65 Kilogramm ab und gibt nach 30 Jahren das Rauchen auf.
Viel ruhiger wird es in ihrem Leben jedoch nicht. „Ich habe Hummeln im Hintern“, beschreibt sich Sina Trinkwalder selbst und so verfolgt sie auch weiterhin unermüdlich ihre Ziele. 2014 geht ihre Ehe in die Brüche. Das Paar trennt sich im Guten. Beide bleiben Freunde und Eltern ihres 16-jährigen Sohnes, der begeistert in ihrer Firma mithilft. Etwa beim Projekt „Brichbag“. Hier entstehen Rucksäcke aus Textilresten, die mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln an Obdachlose verteilt werden.
Funktionierendes Patchworkmodell mit Sohn und Ex-Mann
„Mein Sohn ist für mich das beste Beispiel, dass erziehen nicht ermahnen bedeutet, sondern vorleben“, sagt seine Mutter dazu. Ehrlichkeit sei einer der wichtigsten Werte gewesen, die sie ihm mitgeben wollte. „In der Ehrlichkeit steckt so viel Wertschätzung und Respekt für andere Menschen. Deshalb sind wir auch immer sehr ehrlich mit ihm umgegangen.“ Diese Offenheit hat auch dazu beigetragen, dass die Familie heute ein funktionierendes Patchworkmodell lebt. „Wir verstehen uns alle gut“, sagt Sina Trinkwalder dankbar.
Sie hat schon viel in ihrem Leben möglich gemacht. Dankbarkeit erwartet sie dafür nicht. „Es ist das, was ich kann und was mir Freude macht, und deshalb mache ich es auch weiter“, sagt sie. Halbe Sachen liegen ihr nicht. „Ich habe mal damit geliebäugelt, Opernsängerin zu werden. Ich war gut, aber nicht gut genug, und eine halbe Königin der Nacht wollte ich nicht sein“, sagt sie lachend. Das Gleiche gilt für eine politische Karriere. „Manche sagen, ich soll doch in die Politik gehen. Aber dafür bin ich zu undiplomatisch.“ Lieber erhebt sie ihre Stimme für die, die keine Stimme haben, und setzt sich in aller Freiheit dafür ein, was ihr am Herzen liegt.
Sina Trinkwalder – Biografie
Sina Trinkwalder wurde am 28. Januar 1978 in Oettingen in Bayern geboren. Mit 16 zog sie von zu Hause aus. Nach ihrem Abitur studierte sie Politik und Betriebswirtschaft an der LMU München sowie der Universität Augsburg und brach beide Studiengänge erfolgreich ab. Mit 21 Jahren gründete sie mit ihrem damaligen Mann eine Digitalagentur. 2005 kam ihr Sohn auf die Welt. 2010 gründete Sina Trinkwalder ihre Textilfirma Manomama, in der sie benachteiligte Menschen beschäftigt. Seit 2017 stellt die Firma unter dem Label „Brichbag“ Upcycling-Taschen für Obdachlose her. Sina Trinkwalder hat für ihr Engagement einige Preise erhalten. Darunter den Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit vom Rat für Nachhaltige Entwicklung, den Deutschen Fairness-Preis und das Bundesverdienstkreuz.