Theater für Kinder
Katharina Schrott: Leise Künstlerin mit lauten Botschaften
Sie macht kein Theater, sondern Kunst. Für Groß, Klein und ganz Klein. Die Choreografin Katharina Schrott leitet das Toihaus in Salzburg, organisiert das Internationale Theaterfestival für Klein(st)kinder „BimBam“ und will Raum für Experimente schaffen.
veröffentlicht am 16.12.2024
Kunst. Poetisch, emotional, anrührend. Theaterstücke, die magische Momente kreieren, indem sie Alltägliches in Szene setzen – durch Bewegungen und Musik, ohne Worte. Das Toihaus Salzburg nimmt seine kleinen Besucherinnen und Besucher ernst und zeigt, dass Theater für Kinder nicht automatisch laut und bunt sein muss. „Wir kämpfen natürlich mit diesem Image“, gibt Katharina Schrott, die zusammen mit Cornelia Böhnisch das Toihaus künstlerisch leitet, offen zu. „Aber wir gehen sehr erfolgreich einen anderen Weg. Wir sind an der Kraft der Kunst interessiert – und Kunst ist weder elitär noch altersexklusiv. Daher gilt bei uns ganz selbstverständlich, dass wir Kindern eine gleichwertige Qualität wie Erwachsenen bieten.“
Seit 2002 nimmt das Toihaus im Kleinstkinderbereich eine Pionierrolle ein. Das jüngste Publikum ist ein Jahr alt. Die Grenze nach oben ist offen. „Wir schaffen eine Verbindung zu vielen Generationen“, erklärt Katharina Schrott. „Wir können mit unserer Kunst die Kinder genauso wie die Eltern berühren. Unsere Bildsprache funktioniert für alle. Wir geben relativ wenig vor. Die Musik ist meistens abstrakt. Die Materialien sind zwar konkret, erzählen aber keine konkrete Geschichte. Wir bieten einen Raum für Experimente, in dem die Fantasie Platz nehmen kann.“
Und das kann sie hier besonders gut, denn das Toihaus ist eine sogenannte Black Box. Nichts lenkt durch eine aufwendige Kulisse ab. Der Theaterraum ist schwarz – schwarze Wände, schwarzer Boden. Die Konzentration liegt auf der Inszenierung. Wie zum Beispiel bei „Im Flatterland“.
Eltern wundern sich, dass ihre Kinder so ruhig zuschauen
Nebel breitet sich aus. Eine kleine weiße Wolke formt sich zu einem leichten Gebilde. Sie hat Ähnlichkeit mit einem Vogel. Daneben werden eine zweite und eine dritte Nebelwolke gesprüht. Zwei Künstlerinnen breiten ein großes weißes Tuch aus und beginnen, es mit kräftigen Bewegungen durch den Raum zu führen. Mal langsam, mal schnell. Eine Trommel setzt ein. Die Tänzerinnen rennen durch den Raum. Die veränderte Dynamik ist sofort zu spüren. Ein türkises Tuch kommt hinzu. Begleitet von einem Vibrafon plätschern die Wellen sanft vor sich hin. Doch sie verwandeln sich in brausende Wogen. Zuletzt wird ein drittes, dunkelblaues Tuch entrollt. Es wird zu einer Skulptur aufgetürmt, in die Nebel hineingeblasen wird.
Man hört das Flattern des Tuches, man spürt den wohltuenden Wind, man sieht die unbändige Spielfreude der drei Künstlerinnen – aber es gibt keine vorgefertigten Dialoge. Das Stück ist nonverbal. Allein die Ästhetik und die Musik ziehen die Zuschauerinnen und Zuschauer in den Bann. Auch und vor allem die Kinder. „Kindern kann man viel mehr zutrauen, als oft gedacht wird“, sagt Katharina Schrott und lächelt. „Viele Eltern sind erstaunt, dass ihr Kind bei uns so ruhig zuschaut. Sie erkennen es nicht wieder. Doch Kinder wissen genau, welche Momente in Stille wirken sollen. Das wissen sie manchmal sogar besser als die Erwachsenen. Sie sind sehr feinfühlig für Stimmungen.“ Die Kinder tauchen im Toihaus quasi in die Stücke ein und ab. Daher müssen sie am Ende sogar mit einer extra Ansage motiviert werden, wieder ins Foyer zu gehen. „Da wird nicht gleich herumgetobt.“
Wenn Katharina Schrott über das Toihaus spricht, glänzen nicht nur ihre Augen, sondern in ihrer Stimme schwingen eine tief verankerte Überzeugung und eine wahre Begeisterung mit. „Wir haben mittlerweile eine sehr besondere Handschrift entwickelt, und wenn die Kinder sehr jung sind, ist das für Künstlerinnen und Künstler so ein spannendes Feld, weil die Kinder offen sind, nicht in Schubladen denken und in diesem Alter eine enorme Wahrnehmungsfähigkeit besitzen. Wir können ihnen da etwas Tolles mitgeben, und ich bin sehr glücklich darüber, in einer Position zu sein, dies mitgestalten zu dürfen.“
Sehr junge Kinder sind offen, denken nicht in Schubladen
Dass sie einmal selbst Künstlerin sein möchte, war Katharina Schrott schon früh klar. Bereits mit 15 Jahren äußerte sie den Wunsch, Choreografin zu werden. Sie wuchs in einer sehr künstlerischen Familie in Salzburg auf. Ihr Vater war Bassist und hatte ein eigenes Ensemble, ihre Mutter war Pädagogin am Orff-Institut. Die Eltern nahmen sie zu Konzerten und Theateraufführungen mit, auch ins Toihaus. „Das war ein sehr privilegiertes Großwerden“, erinnert sich Katharina Schrott an ihre Kindheit. „Meine Eltern waren nicht reich. Mit ‚privilegiert‘ meine ich daher keinen finanziellen Wohlstand. Aber meine Eltern haben mir in Sachen Bildung sehr viel ermöglicht und mir viele Freiheiten gelassen.“
Katharina Schrott verfolgte zielstrebig ihren Weg und wurde dabei von ihren Eltern unterstützt. Sie absolvierte eine Ausbildung in zeitgenössischer Choreografie, Tanz und Performance an der School for New Dance Development in Amsterdam, Wien und New York. Dabei ließ sich die 48-Jährige die nötige Zeit, um künstlerisch zu wachsen. „Ich war immer überrascht, wie manche so selbstbewusst etwas auf die Bühne zaubern. Zu denen habe ich nicht gehört. Ich bin eigentlich ein Mensch, der unsicher ist und vorsichtig in der künstlerischen Sprache“, erzählt sie. „Doch wenn etwas wirklich kräftig sein soll, muss es langsam wachsen. Das war bei mir so – und das merke ich auch im Toihaus. Jedes Stück nährt das andere. Wir lernen aus den Stücken und lassen unsere Ideen gedeihen. Dadurch wird es sehr stabil und durchlässig. Heute können wir mit feinen Tönen laut sein. Wir agieren mit feiner Qualität und werden gehört.“
Darauf ist Katharina Schrott stolz. Auch wenn sie das Wort „Stolz“ selbst nie verwenden würde. Und doch rutscht es ihr im Interview einmal heraus – im Zusammenhang mit dem Internationalen Preis für Kunst und Kultur der Stadt Salzburg, den sie und ihre Kollegin Cornelia Böhnisch 2022 erhalten haben. „Man muss sich vorstellen: Cornelia und ich haben 2018 als künstlerische Leiterinnen das Toihaus übernommen. Wir haben es in organisatorischer und künstlerischer Hinsicht umgekrempelt – und dann kam Corona. Wir waren erschüttert von dieser Zeit und hatten manchmal das Gefühl, ins Leere zu arbeiten. Durch den Preis gab es Anerkennung. Er hat uns Sichtbarkeit verliehen. Er hat unterstrichen, dass Kinder für die Gesellschaft wertvoll sind und dass das, was für Kinder gemacht wird, ebenso wertvoll ist – auch das, was wir auf unsere ganz besondere Weise tun. In dem Moment war die Freude sehr groß. Mit Stolz kann ich persönlich nicht viel anfangen, aber im Nachhinein war da doch Stolz.“
„Wir wollen uns nicht vergrößern, sondern vertiefen“
Das Toihaus hat nach der Corona-Pandemie längst wieder Fahrt aufgenommen. Die Vorstellungen sind immer ausverkauft. Ziel sei es jedoch nicht, sich zu vergrößern, sondern „wir wollen uns vertiefen“. Damit möglichst viele Kinder diese Kunst erleben können, geht das Toihaus auch direkt in die Kindergärten. Bei „Spieltöne“ wird Knete zum Star.
Wie zum Beispiel an einem Mittwochvormittag in der Turnhalle eines Salzburger Kindergartens. Die Mädchen und Jungen lassen sich aufgeregt und kichernd auf den blauen Turnmatten nieder. Doch sobald es losgeht, sind sie mucksmäuschenstill und verfolgen mit großen Augen, was passiert. Eine Künstlerin lässt theatralisch Mehl und Zucker in eine Glasschüssel rieseln. So wird der Kuchenteig zu Hause wahrscheinlich nie angerührt. Öl tropft von einem großen Holzlöffel dazu. Lila Farbe wird in Wasser aufgelöst und als letzte Zutat in die Schüssel gegossen. Die Knete wird so lange bearbeitet, bis sie mit einem lauten Klatsch aus der Schüssel fällt. Die Künstlerin balanciert die Knete auf ihrem Rücken, sie tanzt mit ihr und macht Kopfstand darauf. Ein Mädchen kommentiert das ganz pragmatisch: „Da muss sie sich heute noch dringend waschen.“
Das Spiel wird von einer Musikerin auf dem Klavier begleitet. Die Künstlerin zerteilt die Knete in kleine Stücke und berührt damit die nackten Füße der Kinder. Dieses Signal braucht keine Worte: Jetzt dürfen die Kinder mitmachen. Sie versuchen, die Künstlerin zu imitieren, und legen sich mutig die Knete auf die Haare. Zwei Jungs liefern sich ein Duell, wer sie am lautesten auf den Boden schmeißen kann. Direkt daneben sitzen zwei Mädchen und bauen aus der klebrigen Masse einen Turm und eine Torte. Am Schluss formen alle zusammen wieder einen großen Knetklumpen. Die Stimmung: ausgelassen und fast ein wenig feierlich. „Dieses Stück haben wir anfangs nur für Kindergärten konzipiert“, erklärt Katharina Schrott. „Aber wir fanden, dass auch Familien es sehen sollten, und haben daraus eine zusätzliche Bühnenfassung entwickelt. In der Black Box wird noch einmal alles intensiviert. Die Magie des Theaters vergrößert alles.“
Familie und Arbeit sind in dem Betrieb vereinbar
Das Toihaus ist in Österreich einzigartig. Genauso einzigartig wie das Internationale Theaterfestival für Klein(st)kinder „BimBam“, das alle zwei Jahre vom Toihaus organisiert wird und 2025 seine zehnte Ausgabe feiert. Drei Wochen lang können Kinder im Alter von fünf Monaten bis sechs Jahren Kunst in ihren unterschiedlichsten Formen entdecken. „Das Witzige ist, dass es ein internationales Festival für Kleinkinder ist, aber alle Stücke sind nonverbal. Trotzdem sieht man, wie sich die Kulturen in der Ausdrucksweise unterscheiden“, so Katharina Schrott, die seit 2015 Kuratorin des „BimBam“-Festivals ist. Für sie eine spannende Aufgabe: „Ich mag dieses Feeling. Das ganze Team hat dann einen gemeinsamen Fokus. Es ist einfach ein tolles Gefühl und macht Spaß, solch ein Festival in Salzburg zu präsentieren.“
Katharina Schrott hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Als Leiterin will sie eine gute Arbeitgeberin sein. „Unser Betrieb ist extrem familienfreundlich. Das ist im Kulturbereich herausragend. Bei uns sind Familie und Bühne vereinbar. Mittlerweile sind meine Zwillinge 16 Jahre alt, aber als sie noch klein waren, hat mir die Flexibilität hier auch sehr geholfen.“ Als Künstlerin will sie Barrieren abbauen und „unscheinbare Momente im Leben groß machen“. Zart, kraftvoll, existenziell. Kunst.
Das Toihaus Salzburg
Drei Eigenproduktionen für Kinder und Erwachsene entstehen pro Jahr im Toihaus Salzburg. Jedes Stück ist ein Unikat, keines gleicht dem anderen. Gegründet wurde das Toihaus 1984. Seine unverkennbare Handschrift verdankt es seit 2018 einem Dreier-Leitungsteam, bestehend aus den künstlerischen Leiterinnen Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott sowie der administrativen Leiterin Karin Buchauer.
Das „BimBam“-Festival
Seit 2007 veranstaltet das Toihaus Theater das biennale Internationale Theaterfestival für Klein(st)kinder „BimBam“. Seine zehnte Ausgabe wird von 8. bis 28. März 2025 gefeiert. Insgesamt 60 Vorstellungen bereichern das Programm, zu dem etwa 3.000 bis 4.000 Kinder erwartet werden.