Erinnerungen bewahren
„Sternengräber“ schenken verwaisten Eltern Trost und Halt
Manches Menschenleben endet noch bevor ein Kind überhaupt das Licht der Welt erblickt. Dennoch haben auch diese Kinder ein würdiges Andenken verdient – auch ein Eintrag beim Standesamt ist möglich.
veröffentlicht am 11.10.2024
In Deutschland erleidet etwa jede dritte Frau einmal im Leben eine Fehlgeburt. Doch die Trauer um das ungeborene Leben hat meist keinen Ort. Ähnlich ist es bei Kindern, die während der Schwangerschaft noch im Mutterleib sterben. Auch wenn sie das beginnende Leben gar nicht kennenlernen durften, löst der Tod dieses heranwachsenden Kindes bei den betroffenen Familien meist großen Schmerz aus. Wie also das Andenken angemessen bewahren?
Personalisierte Gemeinschaftsgräber können für verwaiste Eltern und Großeltern ein guter Erinnerungsort sein, findet Nicole Gehret. Solche sogenannten Sternengräber seien für die Hinterbliebenen „ein Anker“ im Leben, sagt die Vorsitzende des Bundesverbands Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland, der mit vielen Selbsthilfegruppen Familien beisteht. „Wir können sie besuchen, und die Kinder bleiben so ein Teil unseres Lebens.“
Die kurze Beziehung zwischen Eltern und Kind wird gewürdigt
„Das Kind wird nicht nur im Mutterleib, sondern auch im Bewusstsein der Eltern ausgetragen“, weiß der Lüneburger Psychiater und Psychotherapeut Michael Hase. Auch wenn das „Sternenkind“ nur eine sehr kurze Zeit im Leben der Eltern gewesen sei, hätten diese eine Beziehung zu ihm. Es gebe eine gemeinsame Geschichte – „und die bedarf der Würdigung“, unterstreicht Hase die Bedeutung von Sternengräbern.
Das Besondere an diesen Kindern sei, „dass niemand sie kennengelernt hat - nur die Eltern haben eine Geschichte und eine Erinnerung an dieses Kind», sagt Elke Heinen, die im schleswig-holsteinischen Tolk verwaisten Eltern in ihrer Trauer beisteht. Geschwister oder Großeltern hätten dagegen diese Gelegenheit nicht gehabt. Ohnehin seien während der Schwangerschaft verstorbene Kinder quasi unsichtbar. “Diese Unsichtbarkeit wird durch ein Sternengrab aufgelöst“, erklärt Heinen.
„Egal, wie klein das Kind ist - die Eltern haben ein Recht, das Kind beizusetzen“, stellt die Theologin klar. Das betreffe auch Fehlgeburten unter 500 Gramm und ohne Lebenszeichen, die nicht der Bestattungspflicht unterliegen. Wenn eine Frau bei einer drohenden Fehlgeburt im Krankenhaus aufgenommen werde, müsse sie also – oft traumatisiert von dem erwartbaren Verlust - noch vor der OP die belastende Entscheidung treffen, ob und in welcher Form das Kind bestattet werden soll, weiß Gehret. Trauerbegleiterin Heinen wünscht sich diesbezüglich mehr Sensibilität der Klinikmitarbeitenden. Diese müssten dann daran denken, damit das Kind nicht aus Hygienegründen „routinemäßig entsorgt“ werde.
„Sternenkinder“ beim Standesamt eintragen lassen
Tot- und fehlgeborene Kinder könnten zudem beim Standesamt in einer besonderen Akte eingetragen werden, sagt Heinen. Eltern könnten sich also auch für dieses Kind ein Dokument ausstellen lassen und diesem einen Namen geben, „das kann auch ein Fantasiename sein“. Solch ein Nachweis könne auch zehn Jahre rückwirkend ausgestellt werden, „man braucht nur ein Dokument vom behandelnden Krankenhaus oder Frauenarzt, der das belegt“.
Für verwaiste Eltern belastend sei indes nicht nur die oft mehrmonatige Wartezeit, bis die nächste Gemeinschaftsbeisetzung stattfindet, sagt Heinen. Auch wer ein Kind im dritten oder vierten Monat der Schwangerschaft verliere, habe den errechneten Geburtstermin weiter im Kopf. Verwaiste Eltern gerieten deshalb um diesen Termin oft in eine Krise, weiß die Trauerbegleiterin. „Sie hatten sich darauf eingestellt, dass an dem Termin ein neues Leben beginnt. Statt ins Kinderzimmer müssen sie nun auf den Friedhof gehen.“
Gräber spenden Trost in der Trauer
Kleine Windräder, Janosch-Figuren, Teddybären und Einhörner – Sternengräber sind meist sehr liebevoll gestaltet. Bei allem Schmerz spende solch ein Ort auch viel Trost, weiß Gehret, die selbst zwei Kinder sehr früh verloren hat. Tröstlich ist für die Erfurterin auch das Empfinden, dass „all die verstorbenen Kinder dort nun beieinander sind“. Zudem träfen verwaiste Eltern dort andere Familien, die das gleiche Schicksal erlitten hätten.
Viele Friedhofsverwaltungen seien bei der Gestaltung von Sternengräbern und der Trauer der Eltern inzwischen sehr entgegenkommend, sagt Gehret. „Alles hängt von den Verantwortlichen vor Ort ab.“ Sie verweist auf den „Regenbogenwald“ in Erfurt, in dem verwaiste Eltern einen Baum für ihr totes Kind pflanzen können. Einmal im Jahr treffen sich dort die Angehörigen zu einem Picknick mit Musik.
Trauerbegleiterin Heinen weiß, das solche Gemeinschaftsgrabstätten auch Gedenkorte für Menschen sein können, die dort gar kein eigenes Kind bestattet haben. Heinen erinnert sich an eine alte Frau, die sie einmal an einem Sternengrab getroffen hat. „Sie sagte mir: „Ich habe damals mein Kind auf der Flucht verloren, und ich hatte nie einen Ort, wo ich hingehen konnte“.“