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10 Tipps einer erfahrenen Pflegemutter für zukünftige Pflegeeltern

Seit fast zehn Jahren engagiert sich Annika Schmitz (37) aus Nordrhein-Westfalen als Pflegemutter. Mit drei Pflegekindern weiß sie, worauf's ankommt, damit das „Abenteuer Pflegefamilie“ für alle gelingt.

veröffentlicht am 25.10.2022

1. Starke Nerven haben

Wer sich überlegt, ein Pflegekind aufzunehmen, sollte mit Herz dabei sein und vor allem ganz, ganz viel Geduld aufbringen. Als Pflegemama oder -papa muss man für alles und jeden Verständnis haben und sich in vielen Situationen selbst zurückstellen können.

2. Im Vorfeld klar eigene Wünsche äußern

Alle zukünftigen Pflegeeltern sollten sich vorab intensiv mit den Fragen beschäftigen, was sie tatsächlich wollen und welches Kind in das eigene Familiensystem passen würde. Das darf und muss klar und deutlich geäußert werden. Viele Pflegeeltern denken, sie müssen das erste Kind, das ihnen vorgeschlagen wird, gleich aufnehmen. Das ist aber falsch. Man muss sich vorher Gedanken machen, was man wirklich leisten kann – sich selbst und vor allem dem Pflegekind zuliebe, denn man kann es nicht einfach wieder „umtauschen“.

3. Langsam auf das Kind zugehen und ihm Ruhe gönnen

Wenn ein Pflegekind in die Familie kommt, muss es erst einmal viel Zeit haben, um sich auf die neue Situation einzustellen. Die Kinder haben eine große Krisensituation hinter sich, sie wurden aus ihrer Herkunftsfamilie herausgenommen und haben einen Bindungsabbruch erlebt. Ruhe und Gelassenheit sind jetzt ganz wichtig, um einfach da zu sein und Vertrauen aufbauen zu können. Am Anfang sollten auch nicht gleich zu viele Termine vereinbart werden. Das Kind muss erst einmal in der Kernfamilie ankommen, bevor es die komplette Verwandtschaft mit Großeltern, Tanten und Onkeln kennenlernt.

4. Immer wieder Bindungsangebote machen

Man sollte dem Pflegekind von Anfang an vermitteln, dass es nichts Negatives ist, in einer Pflegefamilie zu leben. Für das Pflegekind ist es oft zuerst schwer, Beziehung zuzulassen und Vertrauen aufzubauen. Für Pflegeeltern bedeutet das wiederum, viel Verständnis zu zeigen, nicht bei jeder Kleinigkeit zu schimpfen und vor allem immer wieder Bindungsangebote zu machen. Das Kind muss spüren, dass man immer miteinander reden und eine Lösung finden kann.

5. Familienregeln behutsam einführen

Wichtig ist, dass sich die Pflegekinder an Familienrituale gewöhnen. Zügig, aber mit Bedacht auf die jeweilige Vorgeschichte. Wenn ein Kind zum Beispiel sein Leben lang zum Frühstück immer nur eine Milchschnitte bekommen hat, wird es Schwierigkeiten haben, wenn es ab sofort jeden Tag Müsli essen soll. Da ist es sinnvoll, die eigenen Regeln erst einmal ein Stück weit zurückzustellen, sich auf das Kind einzulassen und es behutsam an das Familiensystem heranzuführen.

6. Konflikte aushalten

In jeder Familie kracht’s mal. Das ist bei Pflegefamilien nicht anders. Wenn Konflikte zwischen den eigenen Kindern und den Pflegekindern entstehen, ist das ganz normal. Die gibt’s in jeder Familie unter Geschwistern. Entweder man greift als Eltern ein oder man lässt die Kinder selbst eine Lösung untereinander finden. Auf jeden Fall sollte man sich davon nicht verunsichern lassen.

7. Altersgerecht über die Vorgeschichte sprechen

Das frühere Leben und die Herkunftsfamilie gehören zur Geschichte des Kindes dazu. Das darf kein Tabuthema sein. Im Gegenteil. Die Kinder müssen das, was sie erlebt haben, verarbeiten. Manchmal sind es nur kleine Dinge, manchmal schwerwiegendere Erfahrungen. Doch das Gespräch darüber ist immer wichtig. Entscheidend ist nur, dass es altersgerecht geschieht.

8. Die leiblichen Eltern nie abwerten

Man sollte nie das Verständnis für die leiblichen Eltern verlieren oder gar abwertend über sie sprechen. Sie haben ihr eigenes Päckchen zu tragen. Auch wenn sie nicht für ihre Kinder sorgen können, lieben die meisten ihre Kinder trotzdem.

9. Ein Netzwerk für die Kinder aufbauen

Pflegekinder können ihre Sorgen nicht richtig mit anderen Kindern teilen. Wenn ein Pflegekind seinem Schulfreund erzählt, dass der letzte Besuchskontakt mit der Mutter nicht gut verlief, kann dieser das nicht nachvollziehen. Ein anderes Pflegekind würde darauf vielleicht antworten: „Das war bei mir neulich auch so. Da musst du dir nichts denken. Beim nächsten Mal ist es wieder in Ordnung.“ Pflegekinder reden mit anderen Pflegekindern auf einer ganz anderen Ebene und die tut den Kindern total gut.

10. Sich nicht scheuen, um Hilfe zu bitten

Auch die Pflegeeltern brauchen ein Netzwerk, um sich austauschen zu können. Reden ist wichtig, um sich nicht überfordert zu fühlen. Viele denken, dass man als Pflegefamilie keine Fehler machen darf, weil man ja quasi Profi ist. Das stimmt so aber nicht. Pflegefamilien haben Probleme, die andere Familien nicht kennen. Da sollte man sich untereinander helfen oder auch Rat von Vereinen, dem Jugendamt oder Beratungsstellen einholen. Es ist nicht schlimm, um Hilfe zu bitten. Vielmehr ist das der Schlüssel dafür, dass das Leben in der Pflegefamilie zusammen gelingt.


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