Raus aus der Abwärtsspirale

Vorschulkinder: Auf die Stärken schauen statt auf die Schwächen

Vorschulkinder sollten allmählich in der Lage sein, sich zu konzentrieren und stillzusitzen – so die Erwartung mancher Eltern. Doch was, wenn ein Kind diese Erwartung nicht erfüllt? Ein Beitrag unseres Kooperationspartners „elternbriefe“.

veröffentlicht am 18.10.2024

„Unser Sohn Jonas ist gerade 5 Jahre alt geworden. Er ist nun ,Vorschulkind'. Wir machen uns große Sorgen um ihn, weil er sich nicht konzentrieren und nicht stillsitzen kann. Er ist ganz anders als seine beiden älteren Schwestern. Wir haben schon alles Mögliche probiert. Unser Kinderarzt bestätigt, dass mit Jonas alles in Ordnung ist. Doch wir haben den Eindruck, dass er entweder nicht lernen will oder es nicht hinkriegt. Mittlerweile sagt Jonas auch von sich selber, dass er nichts kann.“
Sarah, 32


Das alles hört sich sehr entmutigend an. Für Sie als Eltern und auch für Ihren Sohn. In Ihrer Situation kommen mehrere Faktoren zusammen: Vergleiche mit anderen Kindern und den Geschwistern. Eine negative Sicht auf Ihren Sohn. Und so sind Sie als Familie in eine Abwärtsspirale geraten...

Vergleiche mit anderen Kindern

Zunächst einmal: Es ist völlig normal, das eigene Kind mit anderen Kindern zu vergleichen. Doch unterm Strich werden Sie als Eltern damit keinem gerecht. Denn jedes Kind ist unterschiedlich – mit all seinen Stärken und Schwächen. Wenn alle Kinder gleich wären, ließe das keinen Raum für individuelle Entwicklung. Wichtig ist, jedem Kind seine Eigenartigkeit zu lassen und es in seiner Einzigartigkeit wahrzunehmen.

Abwärtsspirale stoppen

So wie Sie es beschreiben, ist Ihre ganze Familie in eine Art negativen Strudel geraten. Ihnen fallen nur noch die Defizite Ihres Sohnes auf und all das, was er nicht kann. Sogar er selbst hat diese Sichtweise übernommen. Sie befürchten, dass Jonas in der Schule nicht zurechtkommen wird. Daher bemerken Sie vor allem, was (noch) nicht klappt und wo er aus Ihrer Sicht nicht ausreichend ist. Um aus dieser Abwärtsspirale aussteigen zu können, geht es zunächst darum, innerlich wieder einen anderen Blick auf Ihren Sohn zu bekommen. Doch: Wie kann das gehen?

Eigene Perspektive kontrollieren

Im Moment nehmen Sie vor allem Jonas’ negative Seiten wahr. Um dieser Sichtweise entgegenzusteuern, ist es sehr wichtig, die Kompetenzen Ihres Sohnes wieder wahrzunehmen. Damit das gelingt, können Sie sich zum Beispiel als Elternpaar zusammensetzen und gemeinsam seine positiven Eigenschaften und Fähigkeiten sammeln. Oder Sie erzählen sich gegenseitig, was Sie an ihm mögen und schätzen. Sie können diesen Prozess auch kreativ angehen, indem Sie Ihre Gedanken auf bunten Zetteln notieren oder für jede gute Eigenschaft einen Punkt aufmalen. Es geht einzig und allein darum, von der negativen Sichtweise wegzukommen und Jonas’ Stärken wieder in den Blick zu nehmen. Denn erst wenn Sie selbst aus der Abwärtsspirale ausgestiegen sind, können Sie in einem nächsten Schritt Ihren Sohn ermutigen, sich etwas zuzutrauen. Dann wirkt Ihre Unterstützung glaubhaft: Ihr Sohn wird spüren, ob Sie authentisch sind oder nicht.

Kinder ermutigen

Ein Kind, das von sich denkt, nichts zu können, ist ein sehr entmutigtes Kind. Ihr Sohn braucht vor allem Ermutigung, um wieder an sich selbst und seine Fähigkeiten glauben zu können – und um etwas Neues zu lernen. Dabei können Sie als Eltern ihn unterstützen:

  • Betonen Sie die Bereiche, in denen Sie Ihr Kind als kompetent erleben, indem Sie benennen, was bereits gelingt („Das klappt ja gerade toll, wie du das Puzzle machst.“)
  • Behalten Sie berechtigte Forderungen bei. Dabei erleichtert es anstehende Aufgaben oder Vorhaben, sie in kleinen Schritten anzugehen: Wahrscheinlich ist es für Jonas einfacher, beispielsweise das Geburtstagsbild für Oma nicht in einem Stück zu malen, sondern sich immer wieder für kurze Zeit daran zu setzen.
  • Loben Sie Ihren Sohn nicht nur für fertige Ergebnisse, sondern ermutigen Sie ihn während des Prozesses („Schön, dass du es versuchst!“ / „Schau mal, was du schon geschafft hast.“ / „Klasse, dass du dranbleibst.“)
  • Machen Sie Angebote in den Bereichen, die Ihr Kind interessieren. Darin probiert es sich wahrscheinlich lieber aus und kann so sein Selbstvertrauen stärken.

Text: Sabine Maria Schäfer, Erziehungsberaterin, systemische Familientherapeutin und „Kess-erziehen“-Kurs-Referentin

Dieser Beitrag auf elternbriefe.de
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