Tierliebe
Warum wir Menschen Tiere brauchen – Interview mit Verhaltensforscher Kurt Kotrschal
Mit Tieren zu leben, hat zahlreiche positive Auswirkungen auf den Menschen. Welche das sind und was unsere Beziehung zu Tieren von denen zu anderen Menschen unterscheidet, erklärt der Wiener Biologe und Verhaltensforscher Kurt Kotrschal.
veröffentlicht am 12.08.2021
Warum brauchen wir Menschen die Tiere?
Damit wir uns als Kinder gut entwickeln können und als Erwachsene glücklich sind – und auch im Alter brauchen wir Kontakt mit Tieren und Natur. Beziehungen zu anderen Menschen stehen zwar im Zentrum, aber die reichen nicht aus. Auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie haben wir gesehen, dass das Bedürfnis nach Kontakt mit der Natur enorm gestiegen ist. Die Leute gehen wieder wandern, die Nachfrage nach Schrebergärten ist gestiegen, aber besonders auch die Nachfrage nach Hundewelpen.
Was bedeutet denn das Haustier für uns?
Vorweg: Ich finde den Begriff „Haustier“ etwas irreführend. Man sollte lieber von „Kumpan-Tieren“ sprechen. In den letzten drei Jahrzehnten hat es einen eindeutigen und starken Einstellungswandel zu diesen Kumpan-Tieren gegeben. Das ist nicht nur in der Stadt so, sondern auch am Land. Das heißt, Hund, Katze und Co, Pferde inbegriffen, werden immer mehr zu Sozial-Kumpanen. Es geht also nicht mehr allein um ihre Funktion. Einen Hund hält man in der Regel schon lange nicht mehr im Zwinger, sondern er lebt im Haus als vollwertiges Familienmitglied. Es soll ja sogar Leute geben, meine Frau gehört auch dazu, die die Hühner nicht nur zum Eierlegen halten, sondern wirklich freundliche Beziehungen zu den eigenen Hühnern haben.
Welche positiven Effekte hat das Zusammenleben mit Tieren für uns Menschen?
Da gibt es eine ganze Palette an positiven Auswirkungen. Eine gute soziale Beziehung zu einem Kumpan-Tier wirkt beispielsweise stress- und blutdrucksenkend und sorgt für eine ausgeglichene Emotionalität und ein besseres Immunsystem. Das Leben mit Kumpan-Tieren hat also eindeutig gesundheitserhaltende Effekte. Nehmen wir Hundehalter: Sie müssen mit dem Hund raus und sich bewegen. Was passiert dann? Sie treffen andere Leute und kommen ins Gespräch. Hunde sind soziale Schmiermittel, verbessern also auch die sozialen Beziehungen ihrer Halter. Das heißt aber natürlich nicht, dass jeder Hundehalter länger lebt, gesünder und glücklicher ist. Aber Menschen ohne Kumpan-Tiere sind eigentlich nicht ganz vollständig. Wenn man daran denkt, dass wir allein mit Hunden bereits seit mindestens 35.000 Jahren zusammenleben und dass es seit der Zeit kaum Ethnien gibt, die ohne Hund gelebt haben, dann lässt das schon sehr tief blicken.
Was haben konkret auch Kinder davon, wenn sie mit Tieren aufwachsen? Und gibt es ein Alter, ab dem Kinder reif für ein Kumpan-Tier sind?
Ab der Geburt. Wenn es Kindern vergönnt ist, mit Tieren gemeinsam aufzuwachsen, kann man nachweisen, dass sie in der körperlichen, emotionalen und kognitiven Entwicklung Vorteile haben. Tiere allgemein sind wichtig, aber Hunde sind insofern unschlagbar, als dass sie unsere engsten Sozial-Kumpane sind und am meisten auf unsere sozialen Befindlichkeiten eingehen können. Mit ihnen können wir am besten und am komplexesten sozial interagieren. Aber eine Katze oder ein Meerschweinchen sind natürlich besser als nichts. Wichtig ist vor allem, dass die Kinder nicht erst ein Tier haben, wenn sie Verantwortung übernehmen können.
Manchmal werden die Kumpan-Tiere zum Partner- oder Kinderersatz. Gibt es eine übertriebene Tierliebe?
Die übertriebene Tierliebe existiert immer nur in den Augen der anderen. Da sollte man nicht urteilen. Hunde können vollwertige Sozialpartner sein, und man sollte mit Hunden auch so leben, dass sie vollwertige Sozialpartner sind. Ob ich den Hund jetzt dadurch verwöhnen muss, dass er nur das teuerste Markenfutter bekommt oder gar Markenkleidung aus Italien, das bleibt dahingestellt. Ich halte das nicht für nötig, aber ich bleibe da eher entspannt. Solange die wichtigen Dinge in der Beziehung zwischen Tier und Halter erfüllt sind, verträgt das Kumpan-Tier jede Menge Spinnerei der Halter.
Sie forschen seit langer Zeit über diese besondere Beziehung zwischen Mensch und Tier. Was macht für Sie die Faszination dieses Themas aus?
Es ist die Einsicht, wie ähnlich man einander ist. Es ist keine Vermenschlichung von Tieren, wenn man ihnen sozusagen möglichst auf Augenhöhe begegnet, denn sie sind wirklich weitgehend soziale Wesen wie wir. Mit Tieren hat man andere Beziehungen als mit Menschen – weniger komplexe, dafür zum Teil auf emotionaler Ebene essenziellere. Ich diskutiere mit unseren Hühnern kaum je über Politik, aber man versteht einander. Darin liegt eigentlich die Faszination. Genauso wie in der Frage: Warum sind wir uns selbst nicht genug? Ich habe zwei Hunde, die mir natürlich manchmal auf die Nerven gehen. Es ist auch nicht so, dass ich alle Hunde dieser Welt liebe. Es gibt auch ganz fürchterliche Köter, die man nicht mögen muss – aber Tiere machen das Leben schon vollständig.
Auf den Hund gekommen
Die fünf beliebtesten Hunderassen in Deutschland laut einer Erhebung für das Jahr 2020 der Tierschutzorganisation TASSO e.V.:
Platz 1: Mischling
Platz 2: Labrador Retriever
Platz 3: Deutscher Schäferhund
Platz 4: Französische Bulldogge
Platz 5: Chihuahua
55.649 Hunde waren laut statista.com 2020 in Wien registriert.