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Was bedeutet Stille für mich?
Manche empfinden sie als wohltuend, andere gehen ihr lieber aus dem Weg: Stille wird ganz individuell erlebt. Wir zeigen drei Facetten.
veröffentlicht am 08.11.2024
Stille als Normalzustand
„Seit meinem zweiten Lebensjahr bin ich auf beiden Ohren taub. Stille umgibt mich jeden Tag und ist mein Normalzustand. Wenn mir meine hörenden Freundinnen erzählen, dass sie nachts wegen Lärmbelästigung nicht durchschlafen können, dann empfinde ich die Stille als großen Luxus für mich. Störende Geräusche kenne ich nicht, dadurch kann ich in Situationen entspannen, die für hörende Menschen unerträglich sind. Durch meine Gehörlosigkeit habe ich eine andere Wahrnehmung als hörende Menschen. Ich bin zum Beispiel sehr auf meinen Sehsinn angewiesen. Auf eine ruhige, unaufgeregte Landschaft zu schauen, ist für mich sehr entspannend und entspricht dem Gefühl von Stille.“
Helene Jarmer war die erste gehörlose Nationalratsabgeordnete in Österreich und ist seit 2001 Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes. Die studierte Pädagogin und Gebärdensprachübersetzerin setzt sich für mehr Inklusion, Barrierefreiheit und gesellschaftliche Teilhabe für die Gebärdensprach-Community ein.
Gotteserfahrung im Schweigen
„Stille und Schweigen sind für mich Labsal. Je näher man Gott kommt, desto mehr kommt man ins Schweigen. Gemäß den Worten Jesu „Geh zum Beten in deine Kammer, schließ sie zu ... Gott, der im Verborgenen ist, wird da sein“ (vgl. Mt 6,6) praktiziere ich mein Gebet im geschützten Rückzug. Er führte mich vom „Geplapper“ zur Gotteserfahrung in der Stille des Schweigens. Meine Vorbereitung für den inneren Vollzug religiösen Tuns geschieht seitdem in Stille. Das Erleben der Wirkmächtigkeit des Heiligen Wortes verrichte ich im Schweigen. Das Leben als Eremit – zurückgezogen und still – gibt mir einen klaren Blick auf mich selbst und die Welt.“
Pater Jürgen Knobel lebt seit zehn Jahren als Eremit des Erzbistums Berlin in der Klause Sankt Bernhard in Lindow. Der Künstler und Restaurator entdeckte während seiner Arbeit die Stille für sich, studierte katholische Theologie und wurde Priester und Seelsorger. In seiner Klause gibt es auch ein Gesprächszimmer für Gäste, die Rat suchen.
Weniger Geräusche – weniger Stress
„Seit Juli 2023 bieten wir jeden Dienstag von 18 bis 20 Uhr eine Stille Stunde in unserem Supermarkt an. Wir dimmen das Licht, räumen in der Zeit keine Waren ein und stellen den Piepton der Kasse, die Hintergrundmusik sowie die grellen Monitore aus. Das soll Menschen mit Autismus und anderen hochsensiblen Personen ein stressfreies Einkaufen ermöglichen. Aber auch ich mag diese Stille. Es macht schon etwas mit einem, wenn nicht überall Geräusche zu hören sind. Man fühlt sich entspannter und wird aufmerksamer. Wir achten jetzt auch außerhalb der Stillen Stunde mehr darauf, wo Lärm verhindert werden kann – denn das tut uns ja allen gut.“
Michael Glaser ist Kaufmann im Einzelhandel und Marktchef des Rewe-Supermarkts am Greifswalder Südbahnhof. Lärm und Trubel gehören zu seinem Berufsalltag dazu. Ruhe genießt er vor allem sonntags in seinem Schrebergarten.