Kirche und Sexualität
Weihbischof Schepers: „Auch queere Menschen sind Geschöpf und Abbild Gottes“
Queere Menschen sollen sich in der Kirche willkommen fühlen. Dafür setzt sich Weihbischof Ludger Schepers als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Queer-Pastoral ein. Vielfalt könne die Kirche nur beleben. Doch das sehen noch nicht alle so.
veröffentlicht am 02.08.2023
Auf der Homepage des Bistums Essen heißt es bei der Vorstellung Ihrer Person: „Er hat die Gabe, unterschiedliche Talente und Meinungen zusammenzuführen, auszugleichen, wo es erforderlich ist ...“ Wie oft müssen Sie diese Gabe als Queer-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz einsetzen?
Laufend und auf allen Ebenen. Meine Aufgabe ist es vor allem, Verständnis zu wecken. Die Themen waren zwar schon immer da, aber sie wurden nie offen angesprochen. Das ist eigentlich erst beim Synodalen Weg im Forum IV „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ geschehen. Vor etwa fünf Jahren hatten wir gerade einmal sechs oder sieben Personen aus verschiedenen Bistümern, die sich für die Belange queerer Menschen stark gemacht haben. Mittlerweile gibt es in mehr als 20 Bistümern Beauftragungen für queere Seelsorge. Da hat sich also einiges getan, auf das wir stolz sein können.
Die katholische Sexualmoral fokussiert sich auf die Ehe zwischen Mann und Frau. Was jenseits der Heterosexualität gelebt wird, kommt offiziell nicht vor. In der katholischen Kirche dauert es oft lange, bis sich Dinge ändern. Wie sieht Ihre Prognose in diesem Fall aus?
Es kommt einem vielleicht nicht so vor, aber diese Frage wird auch weltweit diskutiert. Sexualität gehört zu unserem Leben. In der Vergangenheit haben sich Kirche und Bischöfe viel zu sehr darauf fokussiert, herauszustellen, was nicht geht. Ich setze mich dafür ein, Wege aufzuzeigen, die jetzt schon beschritten werden können. Es kann nicht nur um Sexualität in der Ehe gehen, es muss um Sexualität in der Beziehung gehen. Als Kirche müssen wir die Verantwortung jedes Einzelnen wahrnehmen und anerkennen. Worauf es in einer Beziehung ankommt, sind Ehrlichkeit, Authentizität und gegenseitiger Respekt. Das kirchliche Denken beschränkt sich oftmals noch allein auf Mann und Frau als Geschlechter. Doch es gibt auch etwas dazwischen – Menschen, die intergeschlechtlich, transgeschlechtlich, non-binär sind. Diese Wirklichkeit ist bei vielen Verantwortlichen im Vatikan, so scheint mir, noch nicht angekommen.
Wie kann das geändert werden? Wie gelangt die Realität in den Vatikan?
Ich glaube, das gelingt nur durch persönliche Begegnungen. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen: Wenn man queere Menschen und ihr Glaubenszeugnis kennenlernt, verändert das auch die eigene Sichtweise. Es gibt viele queere Menschen, die in unserer Kirche leben und sich engagieren wollen, die sich aber auch durch unsere Kirche ausgegrenzt fühlen und Angst haben. Wir schauen da als Kirche leider auf eine lange Tradition der Queer-Feindlichkeit. Das darf nicht sein und muss überwunden werden. Kirche muss ein sicherer Ort für queere Menschen sein.
Beim Synodalen Weg haben 80 Prozent der deutschen Bischöfe für eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare gestimmt. Immerhin, dennoch sind es keine 100 Prozent. Können Sie verstehen, dass sich queere Menschen immer noch nicht voll in der Kirche angenommen fühlen? Dass sie den Eindruck vermittelt bekommen, sie seien Christen zweiter Klasse?
Ja, das kann ich nachvollziehen. Das erlebe ich auch in den Gesprächen beispielsweise mit den Verantwortlichen der Initiative „OutInChurch“, deren Forderungen noch lange nicht alle umgesetzt sind. Die Frage ist allerdings, ob wir das allein als deutsche Kirche schaffen. Da sage ich klar: nein. Das bekommen wir nur hin, wenn wir gemeinsam als Weltkirche auf dem Weg sind und die Sorgen und Nöte wahrnehmen. Das geht nicht per Knopfdruck.
Im Bistum Mainz gibt es zwei Beauftragte für Queer-Pastoral. Im Bistum Augsburg soll ab September ebenfalls eine Planstelle für queersensible Pastoral starten. Im Erzbistum Paderborn wurde Anfang des Jahres ein Arbeitskreis dazu ins Leben gerufen. Viele sind bereits auf dem Weg. Wieso sind solche Angebote in den Bistümern wichtig?
Weil wir queeren Menschen endlich zeigen müssen, dass sie wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Sie sollen sich in ihrer Person ernst genommen fühlen – ohne Vorverurteilungen. Homophobie und die Angst vor dem Fremden sind in unserer Gesellschaft immer noch weit verbreitet. Denken wir nur an die Tötung des Trans*mannes in Münster. Wir müssen dem etwas entgegensetzen, damit jeder queere Mensch ein möglichst angstfreies Leben führen kann – auch in der Kirche.
Wie muss eine gelungene queere Pastoral aussehen?
Die kann nie für, sondern muss immer mit sein. Das bedeutet konkret: Wir dürfen uns nicht rein intellektuell und theologisch mit diesem Thema auseinandersetzen. Wir müssen mit queeren Menschen ins Gespräch kommen und gemeinsam mit ihnen Wege finden und entdecken, worauf es ankommt, wie sie Glauben leben, was sie sich wünschen und brauchen.
Gibt es schon Überlegungen, wie angehende Priester in ihrer Ausbildung darauf vorbereitet werden, in ihren späteren Gemeinden diversitätssensibel zu agieren?
Ich kann das nur für das Priesterseminar Borromaeum sagen, das die zukünftigen Priester der Bistümer Aachen, Essen, Osnabrück und Münster ausbildet. Dort ist das in verschiedenen Modulen durchaus Thema – und das gilt nicht nur für Priesteramtskandidaten, sondern generell für alle, die in der Seelsorge arbeiten. Auch in Kindertagesstätten und im Religionsunterricht tauchen diese Fragen immer häufiger auf. Da ist gerade viel im Wandel.
Die letzte Synodalversammlung war im März dieses Jahres. Die Satzung des Synodalen Weges sieht vor, dass drei Jahre danach noch einmal alle zusammenkommen, um zu evaluieren, was in der Zeit geschehen ist. Was wünschen Sie sich für den Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt? Welche Meilensteine sollen bis 2026 erreicht sein?
Wir müssen jetzt zuallererst mit den Verantwortlichen aus der queeren Community schauen, was wo umgesetzt werden kann – was ist vor Ort möglich, was kann deutschlandweit geschehen, was muss in Rom verhandelt werden. Was dann wirklich konkret angegangen wird und wie, liegt in der Hand eines jeden Bistums. Es kann keiner dazu verpflichtet werden.
Kein Bistum wird dazu verpflichtet. Das bedeutet im Rückschluss, dass in einem Bistum bestimmte Veränderungen eintreten können, im anderen allerdings nicht. Wie kann man queeren Gläubigen das verständlich machen?
Das wird schwierig sein. Ich kann nur jeden Bischofskollegen dazu ermutigen, sich auf die wirkliche Seelsorge zu besinnen und die Menschen in ihrer Persönlichkeit und in ihrer Freiheit ernst zu nehmen. Das hat unsere Kirche noch nicht so im Blick. Es geht nicht darum, Recht zu haben, sondern für die Menschen da zu sein und niemanden auszugrenzen oder zu diskriminieren. Alle Menschen, auch die queeren Menschen der LSBTIQ+-Community, sind Geschöpf und Abbild Gottes.
Fernab von allen Auseinandersetzungen, was macht Ihnen Freude an Ihrer Aufgabe als Queer-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz?
Freude daran macht mir, zu zeigen: Kirche kann auch anders. Als Queer-Beauftragter stehe ich für die Kirche und gehe offen auf alle Menschen zu und versuche zuallererst, zu verstehen. Ich höre denjenigen zu, die dem Ganzen ablehnend gegenüberstehen und die Angst haben. Ich höre denjenigen zu, die sich engagieren und viele Forderungen haben, die nicht von heute auf morgen eingelöst werden können. Und ich höre auch den Eltern, Großeltern, Freunden und Freundinnen queerer Menschen zu. Auch hier gibt es zwei Seiten – die Familien, die ihr queeres Kind verstoßen, und diejenigen, die nicht verstehen können, wie Kirche so mit dem eigenen geliebten Kind umgehen kann. Für all diese Menschen möchte ich als Hörender und Verstehender da sein.
Was bedeutet „queer“?
Queer ist ein Sammelbegriff für Menschen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht der zweigeschlechtlichen Norm entspricht. Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Transgender-Personen bezeichnen sich beispielsweise oft als queer. Als Sammelbegriff ist das Wort sehr offen und bietet vielen Menschen ein Identifikationsangebot.