Ratgeber

Welche Unterstützung Eltern nach einer stillen Geburt brauchen

Der Verlust eines ungeborenen Kindes ist meist auch für das Umfeld der Familie ein Schock. Viele wissen nicht, wie sie sich den Eltern gegenüber verhalten sollen. Astrid Gosch-Hagenkord vom Münchner Sternenkind Netzwerk beantwortet zehn häufige Fragen.

veröffentlicht am 16.11.2023

1. Was machen Menschen durch, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren haben?
Wie Eltern auf den Verlust ihres Kindes in der Schwangerschaft blicken, kann sehr unterschiedlich sein. Oft geht einer Schwangerschaft eine längere Zeit des Kinderwunsches voraus. Wenn dieses Kind dann verstirbt, sterben damit auch Erwartungen, die Hoffnung, die Freude, die man mit diesem Kind erleben wollte. Auch deshalb sind die Eltern häufig völlig planlos, wie es jetzt weitergehen soll. Dazu kommt der Schmerz, der besonders auf der Seite der Mutter oft auch mit Schuldgefühlen verbunden ist. Weil niemand das Kind richtig gekannt hat, auch die Eltern selbst nicht, gibt es keine gemeinsamen Erinnerungen, die man mit Freunden und Familie teilen kann.
Besonders bei Paaren mit einem frühen Verlust ist das Spektrum breiter: Für manche Eltern macht es keinen Unterschied, wann in der Schwangerschaft sie ihr Kind verlieren. Es ist ein großer Verlust, der mit tiefer Trauer verbunden ist. Andere hingegen sehen eine Fehlgeburt eher als einen natürlichen Vorgang und können deshalb gut damit abschließen. Diese Eltern wollen dann auch nicht in eine Trauer hineingedrängt werden, die sie nicht fühlen.
 
2. Wie kann ich reagieren, wenn mir Eltern vom Verlust ihres Kindes in der Schwangerschaft erzählen?
Zeigen Sie Verständnis für den Verlust, den die Eltern erlitten haben. Wenn Sie die Situation überfordert, etwa weil Sie von der Schwangerschaft noch nicht wussten, können Sie Ihre Unsicherheit und Ohnmacht ausdrücken. Sie können zum Beispiel antworten, wie sehr Sie der Verlust berührt oder dass Sie nicht wissen, was Sie sagen sollen. Wichtig ist, dass Sie den Verlust anerkennen und nicht kleinmachen. Sie können auch ein Gesprächsangebot machen oder konkrete Unterstützung im Alltag anbieten. Vielen Betroffenen hilft es, über das Erlebte zu reden. Auf keinen Fall sollten Sie unerbetene Ratschläge geben oder mit Floskeln wie „Wer weiß, wofür es gut ist“ antworten.
 
3. Ich weiß, dass meine Freunde ihr Kind in der Schwangerschaft verloren haben. Kann ich das Thema bei einem Treffen ansprechen, ohne die Eltern zu verletzen?
Sprechen Sie den Verlust ganz offen an. Das hilft den Eltern, zu akzeptieren, dass ihr Kind wirklich da war. Sie können zum Beispiel ein Gespräch oder konkrete Unterstützung im Alltag anbieten. Die Anerkennung des Schmerzes durch das Umfeld ist sehr wichtig. Wenn Sie unsicher sind, ob ihre Freundin oder ihr Freund darüber sprechen will, fragen Sie einfach nach. Und akzeptieren Sie auch ein Nein. Gerade in der ersten Zeit der Trauer ändern sich die Bedürfnisse manchmal aber auch sehr schnell. Sie können deshalb auch einige Tage später erneut ein Angebot machen und gegebenenfalls fragen, ob Sie es in ein oder zwei Wochen noch einmal versuchen sollen. Unerbetene Ratschläge und Floskeln sollten Sie unbedingt vermeiden.
 
4. Sollte ich aktiv auf Eltern zugehen, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren haben? Wie kann ich sie unterstützen?
Sie können Eltern, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren haben, immer Unterstützung anbieten. Sei es durch das Angebot eines Gesprächs oder Spaziergangs oder ganz konkret mit alltäglichen Dingen. Gerade wenn sich Betroffene sehr zurückziehen, kann es helfen, einfach einen Einkauf oder einen Topf heiße Suppe vorbeizubringen. Denn diese Dinge rücken für die Eltern in den ersten Tagen häufig in den Hintergrund. Haben die Betroffenen bereits weitere Kinder, können Sie auch anbieten, diese für ein paar Stunden zu betreuen.
Bei allem, was Sie anbieten, sollten Sie aber immer die Betroffenen in den Mittelpunkt stellen und nicht eigene Bedürfnisse oder Befindlichkeiten. Wenn Sie unsicher sind, ob etwas gerade hilfreich wäre, fragen Sie am besten bei den Betroffenen selbst nach. Und falls diese ein Angebot nicht wahrnehmen wollen, akzeptieren Sie das. Sie können einige Tage später einen neuen Anlauf starten oder fragen, ob Sie es später erneut versuchen dürfen.
 
5. Ich habe selbst ein Kind in der Schwangerschaft verloren und glaube, meine Erfahrungen können Menschen in meinem Umfeld helfen, die gerade das Gleiche durchmachen. Sollte ich auf sie zugehen?
Wenn Sie Ihre eigenen Erfahrungen mit Eltern teilen wollen, die vor Kurzem ein Kind verloren haben, sollten Sie zuerst fragen, ob das erwünscht ist. Für viele Eltern sind Gespräche mit anderen Betroffenen besonders hilfreich, egal ob im privaten Umfeld oder in Selbsthilfegruppen. Aber nicht alle möchten das. Stellen Sie bei dem Angebot nicht sich selbst, sondern die Bedürfnisse Ihres Gegenübers in den Mittelpunkt. Denn nicht jeder erlebt Trauer gleich. Fragen Sie am besten, was sich die Eltern von Ihnen wünschen und was ihnen gerade helfen würde. Auch wenn Sie aufgrund ihrer eigenen Geschichte denken, dass Ihre Erfahrungen helfen können, sollten Sie die Betroffenen fragen, ob sie diese wirklich hören möchten.
 
6. Ich betreue kurz nach einer stillen Geburt ein Geschwisterkind des Sternenkindes. Soll ich mit ihm über die Situation sprechen?
Es ist wichtig, auch Kindern Raum für ihre Trauer zu geben. Personen außerhalb der Familie können für Kinder in Trauerfragen wichtige Ansprechpartner sein, etwa wenn sie ihre Eltern nicht fragen wollen, um sie nicht noch trauriger zu machen. Sie können zum Beispiel mit dem Kind darüber sprechen, wie es Ihnen gerade mit dem Verlust geht und danach fragen, wie es ihm selbst damit geht. Oder Sie fragen es nach seiner Vorstellung davon, wo das Geschwisterchen jetzt ist. Akzeptieren Sie aber auch, wenn das Kind gerade nicht darüber sprechen will. Für Kinder ist es typisch, schnell zwischen Trauer und Freude oder Spiel zu wechseln.
Es kann auch hilfreich sein, dem Kind einen trauerfreien Raum zu bieten, etwa durch einen Zoobesuch. Wenn es in dieser oder einer anderen Situation Trauerfragen stellt, beantworten Sie diese kurz und knapp. Wenn das Kind mehr wissen will, fragt es erneut nach.
 
7. Mein Kind ist kurz nach einer stillen Geburt mit den Geschwistern des Sternenkindes verabredet. Soll ich mein Kind entsprechend sensibilisieren?
Erklären Sie Ihrem Kind, dass seine Freundin oder sein Freund im Moment besonders traurig ist und warum das so ist. Mehr ist nicht nötig. Kinder helfen und unterstützen sich auf ihre ganz eigene Art und Weise.
 
8. Sollte ich Eltern, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren haben, lieber in Ruhe lassen?
Wenn Eltern sich nach diesem schlimmen Verlust zurückziehen, bedeutet das nicht, dass sie keine Unterstützung brauchen. Vielleicht möchten sie nur niemandem zur Last fallen oder haben Angst, sich zu öffnen. Andere hingegen brauchen den Rückzug. Was Betroffene wirklich benötigen, erfahren Sie nur, wenn Sie ihnen Unterstützung anbieten. Falls diese ein Angebot nicht wahrnehmen wollen, akzeptieren Sie das. Sie können es aber einige Tage später erneut versuchen.
 
9. Wie kann ich angemessen mein Beileid ausdrücken?
Wenn Sie den Eltern nicht besonders nahestehen, können Sie zum Beispiel eine Kondolenzkarte schreiben. Wenn Sie den Eltern nahestehen, können Sie ihr Beileid auch persönlich aussprechen. Sind Sie dazu noch nicht bereit, ist auch hier eine Kondolenzkarte ein guter Weg.
 
10. Was kann ich Eltern raten, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren haben?
Unerbetene Ratschläge sollten Sie unterlassen. Dieser Impuls rührt häufig von dem unbewussten Bedürfnis her, den Schmerz zu beenden. Das kann Betroffene sehr verletzen und es ihnen in der ohnehin schwierigen Situation noch schwerer machen. Denn es vermittelt ihnen den Eindruck, sie würden etwas falsch machen und müssten ihre Trauer schneller bewältigen. Wenn Sie Betroffenen helfen möchten, zeigen Sie Verständnis für den Verlust, den die Eltern erlitten haben. Wenn Sie die Situation überfordert, etwa weil Sie von der Schwangerschaft noch nicht wussten, können Sie Ihre Unsicherheit und Ohnmacht ausdrücken. Sie können auch ein Gesprächsangebot machen. Vielen Betroffenen hilft es, über das Erlebte zu reden.
Auch wenn Sie selbst ähnliche Erfahrungen gemacht haben und diese mit Eltern teilen wollen, die vor kurzem ein Kind verloren haben, sollten Sie zuerst fragen, ob das erwünscht ist. Achten Sie besonders auf die Bedürfnisse Ihres Gegenübers. Nicht jeder erlebt Trauer gleich. Fragen Sie am besten, was sich die Eltern von Ihnen wünschen und was ihnen gerade helfen würde.

Portrait Astrid Gosch-Hagenkord

Astrid Gosch-Hagenkord ist Geburts- und Trauerbegleiterin und selbst Mutter eines Sternenkindes. Sie ist Projektkoordinatorin des Münchner Sternenkind Netzwerks, ein Projekt des Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister München e.V.



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